Schwäbische Zeitung (Bad Waldsee / Aulendorf)
Kein Test für Kind, obwohl Opa Corona hat
Abstriche möglichst nur noch bei Menschen mit Symptomen und Risikopatienten
RAVENSBURG - Mark. S. (Name geändert) ist ratlos. Der Vater des 34jährigen Journalisten ist positiv auf das neue Coronavirus getestet worden, und sein sechsjähriger Sohn war länger zu Besuch beim Opa, ist also Kontaktperson der Kategorie eins. S. selbst hatte keinen Kontakt zu seinem Vater, fühlt sich aber mulmig. Folglich will der Ravensburger sich selbst und seinen Sohn testen lassen und begibt sich nach Rücksprache mit seinem Hausarzt zur Fieberambulanz der Kassenärztlichen Vereinigung, die in der früheren Notaufnahme des Elisabethen-Krankenhauses untergebracht ist.
Doch dort sagt man ihm, dass das leider nicht mehr gehe. Beziehungsweise, dass man ihn und seinen Sohn schon testen könne, aber das Labor Dr. Gärtner diese Tests wohl nicht auswerten werde. Grund: Da die Chemikalien, die man für die Auswertung der PCR-Tests benötigt, bundesweit knapp werden, sollen ab sofort nach Empfehlung des RobertKoch-Instituts mit einigen Ausnahmen hauptsächlich nur noch Patienten mit typischen Covid-Symptomen wie Husten, Atemnot oder Geschmacksverlust getestet werden.
Was nun dazu führt, dass Mark S. erst einmal freiwillig zu Hause bleibt, obwohl er das gar nicht müsste. Denn er ist verunsichert: Die Quarantäneverfügung gilt zwar nur für seinen sechsjährigen Sohn, der deshalb nicht in die Schule darf. Doch hätte sich dieser infiziert, was ja niemand weiß, weil er ohne Erkältungssymptome nicht getestet wird, wäre die Wahrscheinlichkeit hoch, dass er auch seine Eltern angesteckt haben könnte, meint Mark S., der sich verantwortungsvoll verhalten will.
„Ich kann problemlos aus dem Homeoffice arbeiten. Aber was machen Leute, die das nicht können?“, fragt sich der Journalist und gibt die Antwort gleich selbst: „Sie gehen normal zur Arbeit, zum Einkaufen und so weiter und stecken vermutlich viele andere an, wenn sie doch infiziert sind.“Die Dunkelziffer werde folglich in die Höhe schnellen, wenn nur noch restriktiv getestet wird. Hätte der 34-jährige Ravensburger Halsschmerzen vorgegaukelt, wäre er möglicherweise zum Zug gekommen. „Aber auf die Idee bin ich ehrlich gesagt gar nicht gekommen.“
Das MVZ-Labor Dr. Gärtner bestätigt, dass die Notvorräte an Reagenzien in den vergangenen Wochen durch ein enormes Aufkommen an Tests aufgebraucht worden seien. Das betreffe allerdings die meisten Labore in Deutschland. „Unsere wöchentliche Testkapazität liegt bei 20 000 Sars-CoV-2-PCR-Tests. Hierfür bekommen wir auch weiterhin gesichert die nötigen Test-Reagenzien.
In den letzten sechs Wochen wurden aber zwischen 25000 und 30 000 Testabstriche pro Woche eingesandt und alle trotzdem unter hohem Einsatz unseres Personals an sieben Tagen in der Woche von uns zeitnah abgearbeitet, um ein effizientes Containment durch die Gesundheitsbehörden zu ermöglichen. Dabei mussten wir allerdings unsere Notvorräte an Reagenzien verbrauchen“, erklärt Labor-Geschäftsführer Diethard Müller. Weil diese Chemikalien überall auf der Welt dringend benötigt würden und daher knapp seien, könnten die Lieferanten keine zusätzlichen Testreagenzien für die bestehenden Geräte liefern. „Es gibt derzeit auch kein Labor in Deutschland, welches uns überzählig eingegangene Abstriche zur Abarbeitung abnehmen kann, da aktuell alle Labore oberhalb ihrer Kapazitätsgrenzen arbeiten“, so Müller weiter.
Es sei aber nicht so, dass prinzipiell gar niemand mehr getestet werde, wenn er nicht an schwerem Husten, Atemnot, totalem Geruchs- und Geschmacksverlust ohne Schnupfen oder hohem Fieber leide oder einer Risikogruppe angehöre. Ausnahmen könnten durch ein lokales Gesundheitsamt etwa in Altenheimen oder in besonderen Corona-Hotspots angeregt werden. Dafür müsste der jeweilige Einsender vorab eine E-Mail ans Labor schreiben. Müller: „Diese Anmeldungen kommen auch regelmäßig und werden von uns bearbeitet. Hier kann dann auch ein geeigneter Zeitpunkt für die Abstricheinsendungen mit unserem Labor vereinbart werden, damit diese wichtigen Proben auch ohne zu große Zeitverzögerungen bei uns abgearbeitet werden können.“
Die Nationale Teststrategie sehe bei begrenzten PCR-Ressourcen für die Testung von asymptomatischen Verdachtsfällen auch den Einsatz von Antigen-Schnelltests vor, die nun vermehrt in Umlauf kommen. Diese sind zwar nicht ganz so zuverlässig wie PCR-Tests, gelten aber als gute Alternative.
Und wie entwickelt sich die Lage in den Krankenhäusern der Oberschwabenklinik (OSK)? Langsam, aber stetig steigt dort die Zahl an Covid-19-Patienten. Mittlerweile werden am Elisabethen-Krankenhaus in Ravensburg und im Westallgäuklinikum Wangen nach Auskunft von OSK-Pressesprecher Winfried Leiprecht insgesamt 19 Menschen behandelt, davon sechs auf den Intensivstationen
(vier in Ravensburg, zwei in Wangen). Am Montag waren es 17, vor einer Woche zwölf. Anders als viele Krankenhäuser in anderen Landstrichen, wo sich die Patientenzahlen zum Teil in Wochenfrist verdoppeln und die Intensivstationen vollzulaufen drohen, müssten bei der OSK noch keine Patienten mit planbaren, nicht so dringenden Eingriffen abgewiesen werden.
Derweil meldet das Landratsamt am Donnerstag 34 Neuinfizierte (davon 10 im Alter ab 50 Jahren) und 10 „Gesundmeldungen“für den Landkreis Ravensburg. Ein Fall aus Wolfegg aus den Vortagen wurde jedoch wieder abgezogen. Die Zahl der aktiven Fälle steigt damit auf 477. Die Sieben-Tage-Inzidenz klettert auf einen neuen Rekordwert von 71,9 (eigene Berechnung auf Grundlage der vom Landratsamt gemeldeten Zahlen). Wie so oft, gibt es besonders viele neue Fälle im Allgäu. Je vier in Wangen, Leutkirch und Aichstetten. Jeweils drei Fälle wurden in Ravensburg, Weingarten, Berg und Altshausen registriert, die restlichen verteilen sich auf Achberg (2), Amtzell (1), Aulendorf (1), Bad Waldsee (1) Baienfurt (1), Isny (1), Kißlegg (2) und Waldburg (1).