Schwäbische Zeitung (Bad Waldsee / Aulendorf)
Polizei rät bei Verwirrten zur Ruhe
Wie soll man vermutlich psychisch kranken Menschen in der Stadt umgehen?
RAVENSBURG - Wer keine Wohnung hat, ist oft auch psychisch krank. Das stellt auch Behörden, das Hilfesystem und nicht zuletzt die Bevölkerung vor Herausforderungen. Wie ist mit Menschen umzugehen, die auf der Straße leben und psychisch auffällig sind? Das sagen offizielle Stellen in Ravensburg dazu.
In Ravensburg lebt derzeit eine obdachlose Frau, deren Verhalten und deren Schicksal viele Bürger beschäftigt. Zuletzt wurde im Sozialen Netzwerk Facebook Erfahrungen im Umgang mit ihr ausgetauscht und von angeblichen Angriffen berichtet. Auch Unsicherheit, wie ihr zu begegnen sei, war aus den Kommentaren herauszulesen, genau so wie die Frage, ob sie die nötige Hilfe erhält.
„Dass Menschen in Ravensburg aufmerksam sind, was in ihrem Umfeld passiert, nehmen wir als sehr positiv war“, sagt die Sprecherin der Wohnungslosenhilfe in Ravensburg, Alexandra Freund-Gobs. „Es zeigt, dass die Menschen nicht wegschauen, gleichzeitig macht es ein Dilemma deutlich.“Denn ihrer Organisation seien in manchen Fällen die Hände gebunden. Der soziale Träger Dornahof betreibt in Ravensburg eine Tagesstätte und Beratungsstelle für Wohnungslose, und organisiert die Belegung der Ravensburger Notübernachtungsstelle. „Unsere Angebote der Wohnungslosenhilfe basieren auf Freiwilligkeit“, sagt Freund-Gobs. Betroffene müssten in der Lage sein, Hilfen anzunehmen. „Bei sehr komplexen Problemlagen ist dies oftmals nicht mehr möglich. Die Hilfen können nicht mehr greifen.“Zu der obdachlosen Frau habe man keinen Kontakt.
Eine Studie der Psychiatrie am Klinikum rechts der Isar der Technischen Universität München hat schon vor einigen Jahren wohnungslose Menschen in München untersucht und festgestellt, dass über zwei Drittel von ihnen unter psychischen Erkrankungen leiden, aber nur ein Drittel eine entsprechende Versorgung erhält. Über jemanden zu berichten, der sich selbst nicht zum Thema äußern kann, ist heikel. Eine SZ-Anfrage beim Betreuungsgericht, ob es einen rechtlichen Betreuer gibt, der sich äußern kann, blieb unbeantwortet.
Auch die Polizei kennt den Fall. „Häufig geht die Frau auf der Straße oder macht ein Lagerfeuer, weshalb die Polizei informiert wird“, sagt eine Sprecherin. Sie habe auch schon Kunden in einem Lebensmittelmarkt mit Bier bespritzt. Ein Angriff der Frau ist bei der Polizei aktenkundig, bei dem ein Mann nachts von der Frau leicht verletzt wurde, weil sie sich von ihm gestört gefühlt habe. Polizisten gegenüber sei die Frau zwar abweisend, befolge jedoch nach mehrmaliger Aufforderung meist deren Anweisungen, so die Sprecherin. „Grundsätzlich gelten auch für psychisch kranke Menschen dieselben Gesetze wie für alle Bürger. Die Polizei kann deshalb – je nach Vorfall – vom Platzverweis über eine Ordnungswidrigkeitenanzeige oder Strafanzeige bis hin zum Gewahrsam ihre rechtlichen Möglichkeiten ausschöpfen“, erklärt sie und fügt hinzu: „Alle uns bekannt gewordenen Vorfälle gingen in Berichtsform an die Stadt Ravensburg. Von dort wurde eine Einweisung in ein Zentrum für Psychiatrie angeregt, jedoch gerichtlich abgelehnt.“Eine Zwangseinweisung durch die Polizei sei nur im Akutfall möglich und an sehr eng gesteckte Grenzen gebunden.
Der Direktor des Amtsgerichts, Matthias Grewe, erklärt zur Rechtslage: „Eine Unterbringung in einem Zentrum für Psychiatrie ist ein schwerer Eingriff in das Bestimmungsrecht des einzelnen Menschen. Für diese Form des Eingriffs hat der Gesetzgeber zu Recht hohe Hürden eingerichtet.“Er erinnert an den stadtbekannten Tänzer von Ravensburg vor einigen Jahren, zu dem das Amtsgericht häufig Anregungen erhalten habe, diesen doch „einfach mal weg zu sperren“, und sagt: „Dies ist richtigerweise nicht möglich.“
Jemanden zwangsweise in ein psychiatrisches Krankenhaus zu bringen, sei nur unter den Voraussetzungen vorstellbar, dass die psychische Krankheit von einem Gutachter festgestellt wurde und die Person zusätzlich sich selbst oder andere gefährdet – und sei nur zeitlich befristet möglich. Nach Einschätzung der Wohnungslosenhilfe kann das auch schon der Fall sein, wenn jemand bei Minusgraden draußen schläft und eine Erfrierungsgefahr besteht. Dazu sagt Grewe aber, dass auch keine gerichtliche Entscheidung getroffen werden könne, wonach jemand eingesperrt werde, bis es im Frühling wieder warm wird.
Beschwerden über obdachlose Menschen erreichen auch die Stadtverwaltung immer wieder. Bei der Stadt Ravensburg sind das Ordnungsamt und das Amt für Soziales und Familie mit solchen Fällen befasst und stehen in Kontakt mit der Polizei. Wenn sich eine Person auffällig verhalte, werde sie von Sozialarbeitern darauf angesprochen und angehalten, ihr Verhalten zu ändern, und bekomme Hilfe angeboten, erklären die beiden Ämter auf Anfrage der „Schwäbischen Zeitung“. Das Ordnungsamt prüfe regelmäßig, ob aus Sicht der Stadt eine Unterbringung beantragt werden muss. Solange aber das Gericht keinen Bedarf sehe, könne nichts unternommen werden. „Die Stadt muss hierbei die Entscheidung des Amtsgerichtes akzeptieren und hat darüber hinaus keine eigenen Möglichkeiten“, wird weiter mitgeteilt. „Bei Gefahr kann die Person für einen oder zwei Tage in einer Klinik eingewiesen werden. Wirkt sie nicht mit und es liegt keine Eigenoder Fremdgefährdung mehr vor, ist sie unverzüglich wieder zu entlassen.“
Für den Umgang mit psychisch auffälligen Personen in der Öffentlichkeit rät die Polizei: „Oftmals machen psychisch Kranke einen sehr aggressiven oder angriffslustigen Eindruck. Es ist daher ratsam, Ruhe zu bewahren, sich auf keinen Fall provozieren zu lassen und die Polizei zu rufen.“Auch die Stadtverwaltung und die Pressesprecherin der Wohnungslosen-Hilfe in Ravensburg rät, den Notruf zu wählen, wenn sich eine Person selbst oder andere gefährdet.