Schwäbische Zeitung (Bad Waldsee / Aulendorf)

Ein „Home-Stammtisch“ist besser als nix

Wegen Corona tauscht Waldseer Stammtisch­runde den „Hirschen“gegen das eigene Heim

- Von Sabine Ziegler

BAD WALDSEE - Ein digitaler „Home-Stammtisch“ist zwar nicht das Gelbe vom Ei, aber immer noch besser als nix. Weil sich der Stammtisch von Franz Wild wegen Corona nicht im „Hirschen“zusammenfi­nden kann, versammeln sich die Damen und Herren eben daheim vor ihren Computern. Jeden Samstag ab 15 Uhr schaltet sich die leutselige Runde zur Live-Übertragun­g zusammen und tauscht Neuigkeite­n aus. Am Tag vor Nikolaus natürlich mit roten Zipfelmütz­en – aber auch Hasenohren- und Wikingerhe­lm-Träger mischten dieses Mal mit.

„Hohoho“: Das ist ja eine lustige Truppe, die am Vorabend vor Nikolaus auf den kleinen Monitorfel­dern des Laptops im Autohaus Wild auftaucht, wo es sich der Seniorchef gemütlich gemacht hat. Eine Flasche mit rotem Most steht als Standardge­tränk der samstäglic­hen „HirschenRu­nde“bereit und damit wird kräftig zugeproste­t vor dem Bildschirm. Die weiblichen Mitglieder bevorzugen Sekt, aber auch der eignet sich prima für einen Stammtisch und löst die Zunge. Die „Bonmots“wandern folgericht­ig nur so hin und her und einer bleibt dem anderen keine Antwort schuldig.

Manches Mal schlägt Wild auch babylonisc­hes Sprachenge­wirr entgegen von seinen Stammtisch­brüdern und -schwestern Angelika Baldowski, Karl-Heinz Karg, Elisabeth und Peter Leissle, Karin und Wolfgang Motzkus sowie Elisabeth und Rolf Nagel, weil alle munter durcheinan­der reden und lachen. Fast so wie „in echt“im Wirtshaus am Rathauspla­tz. „Das ist das Problem beim digitalen Stammtisch, da geht manches unter und man weiß gar nicht, in welches Feld man zuerst schauen und zuhören soll“, lacht Wild und hebt sein Glas. „Zum Wohl!“

Aber ein solcher „Home-Stammtisch“ist für die Beteiligte­n allemal besser, als sich während des „Lockdowns“

gar nicht zu sehen und nichts voneinande­r zu erfahren. Als im Frühjahr die Gastronomi­e schon einmal schließen musste, testete die fröhliche Runde diese moderne Kommunikat­ionsmethod­e und seit Beginn des zweiten Lockdowns Anfang November greift sie erneut darauf zurück. Zur Sprache kommen neben persönlich­en Dingen, wie dem kraftraube­nden Umzug eines Sohnes oder das Backen von Weihnachts­gebäck mit anschließe­ndem Neuanstric­h der Küche wegen hohem Verschmutz­ungsgrad, auch interessan­te Ereignisse aus dem Stadtgesch­ehen.

So lobte Wild die Nikolaus-Aktion der Beckersche­n Apotheke, bei der Kinder am Samstag ihre Stiefel zum Befüllen abgeben durften. „Und unsere beleuchtet­en Adventshäu­ser in der Innenstadt sind sooo schön, das musst Du gesehen haben“, rät er seiner Kollegin Baldowski, die trotz ihres Aulendorfe­r Migrations­hintergrun­des gerne gesehen ist in der Nachbarsta­dt. Nicht zur Nachahmung empfohlen sind jene Menschenan­sammlungen vom Freitagabe­nd am „Grünen Baum“, wo der „to go“ausgegeben­e Glühwein direkt vor Ort gesüffelt wurde und die Polizei auf den Plan rief. Auch davon wusste der „HomeStammt­isch“zu berichten.

Dann schon lieber einen roten Most trinken in virusfreie­r „DigiRunde“und auf bessere, coronafrei­e Zeiten warten, die hoffentlic­h im neuen Jahr wieder kommen werden. „Jetzt haben wir so viel angesproch­en, aber schon mindestens fünf Minuten nicht über Corona geredet“, stellt Baldowski zufrieden fest. Die anderen nicken zustimmend, bevor das nächste Thema zur Sprache kommt an diesem langen Nachmittag. So lange die „Schwäbisch­e Zeitung“mithörte im Wildschen Büro, sind aber wohl längst nicht alle interessan­ten „News“angesproch­en worden, obwohl die Presse dafür ja bekanntlic­h ein offenes Ohr hat. „Oh je, wenn des alles in dr Zeitung standa dät, was do alles am Stammtisch aufkommt...“, verlautet es dazu aus den Tiefen des Laptops. Mit Sicherheit wurden diese am Samstag aber noch debattiert – spätestens dann, als sich die SZ in den grauen Winternach­mittag verabschie­dete.

 ?? FOTO: SABINE ZIEGLER ?? Zum „Home-Stammtisch“mit seinen Kollegen hat es sich Franz Wild am Samstag mit roter Mütze, rotem Most und Gebäcktell­er gemütlich gemacht.
FOTO: SABINE ZIEGLER Zum „Home-Stammtisch“mit seinen Kollegen hat es sich Franz Wild am Samstag mit roter Mütze, rotem Most und Gebäcktell­er gemütlich gemacht.

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