Schwäbische Zeitung (Bad Waldsee / Aulendorf)
Spezialkommando holt Aktivisten von Baum
Professor Wolfgang Ertel äußert Kritik an Stadt Ravensburg und Oberbürgermeister
RAVENSBURG - Die Polizei hat mit einem Sondereinsatzkommando (SEK) am Dienstagabend den jugendlichen Klimaaktivisten Samuel Bosch von dem Baumhaus an der Ravensburger Schussenstraße geholt, nachdem er die Plattform nicht freiwillig verlassen wollte. Mit dem Camp in der Baumkrone wollten er und weitere Klimaschützer auf die Zerstörung der Natur aufmerksam machen und gegen die aus ihrer Sicht zurückhaltende städtische Politik in der Klimakrise protestieren. Die seit dem 12. Dezember andauernde Baumbesetzung war damit beendet (die SZ berichtete).
Am Dienstagabend, kurz vor 20 Uhr, bevor die nächtliche Ausgangssperre galt, rückte ein Großaufgebot von Polizei, Feuerwehr und Ordnungsamt zum Klimacamp aus. Zu den Gründen: Weder Versammlungsrecht noch die Corona-Verordnung des Landes würden eine Fortsetzung der Demonstration und Besetzung des Baumes rechtfertigen und erlauben, so eine Stellungnahme der Stadt. Außerdem müsse das Camp aus Gründen der Verkehrssicherheit aufgelöst werden.
Die Stadt hatte eine Auflösung der nicht genehmigten Baumbesetzung bereits vorab angekündigt. Samuel Bosch sagte am Mittwochmorgen jedoch: „Die Räumung kam unerwartet.“Ursprünglich wäre Bosch in dieser Nacht von dem Weingartener Hochschulprofessor Wolfgang Ertel unterstützt worden. „Ich war seit 16 Uhr auf dem Baum“, sagt Ertel, „und als ich abends für 20 Minuten abwesend war, belegten Einsatzfahrzeuge schon die Schussenstraße.“
Daraufhin habe sich eine Solidaritätsdemonstration mit 40 Teilnehmern rund um die Grünanlage versammelt, so Bosch. 60 Polizisten und 14 Einsatzfahrzeuge waren vor Ort.
„Spätestens, nachdem die Baumbesetzer jegliche Kompromissbereitschaft verweigerten und Absprachen nicht einhielten, wurden die Polizei und Stadt zum Handeln gezwungen“, heißt es in einer Pressemitteilung der Stadt Ravensburg. Ferner wisse man nicht, ob und wie die Plattform im Baum gesichert sei. „Wäre hier etwas durch ein Sturzgeschehen, durch Kälteeinwirkung oder gar einen Verkehrsunfall in diesem Kreuzungsbereich passiert, wäre der Ruf nach der öffentlichen Sicherheit selbstverständlich laut gewesen“, so die Vertreter
der Stadt. Innerhalb von zwei Stunden löste das Sondereinsatzkommando die Besetzung auf: Das Baumhaus, das Seil und alle daran aufgehängten Banner wurden entfernt. Klimacamper Bosch kletterte noch während der Räumung in das über die Straße gespannte Stahlseil, um ein Banner zu hissen, das auf das 1,5-Grad-Ziel des Pariser Klimaabkommens aufmerksam machte.
Die Spezialkräfte der Polizei waren laut Pressesprecher Markus Sauter deshalb angefordert worden, weil sie dazu ausgebildet sind, Menschen aus solchen Höhen zu holen. Von dort wurde der 17-Jährige schließlich von den Beamten abgeseilt.
„Die Polizei steht zum einen zum Klimaschutz und findet zum anderen solche Einsätze auch nicht gerade erbaulich“, sagte Ravensburg Polizeipräsident Uwe Stürmer am Mittwoch der „Schwäbischen Zeitung“. Das Vorgehen sei aber letztlich auch aus Sicherheitsgründen notwendig gewesen: „Die Gefahren von solchen Aktionen werden von vielen unterschätzt. Eine Straße mit bis zu 40 000 Fahrzeugen pro Tag zu überspannen, geht einfach nicht. Und alleine das Material des Klimacamps auf dem Baum wog eine Tonne“, so Stürmer. Der Polizeichef bedauert, dass bei den Initiatoren „keine Kooperationsbereitschaft“
gewesen sei.
„Die Einsatzkräfte waren sehr vorsichtig mit mir – es war entspannt“, sagt Bosch. Körperlichen Widerstand habe der Schüler nicht geleistet. „Es wird aber weitere Aktionen geben“, sagt der Jugendliche. „Es war eine friedliche Aktion, wir wurden anständig behandelt“, bestätigt Ertel. Enttäuscht und verärgert ist der Professor allerdings über das Vorgehen der Stadt. „Anstatt mit uns ins Gespräch zu kommen, schickt die Verwaltung das Ordnungsamt und die Polizei vor.“Er forderte, dass Oberbürgermeister Daniel Rapp vorab zum Gespräch hätte kommen müssen. Ertel wünscht sich einen Austausch.
Laut der Stellungnahme der Stadt ist man auch in der Verwaltung über „das zögerliche Handeln beim Klimaschutz im Großen frustriert – dennoch können nicht Recht und Gesetz ignoriert werden.“Den grundsätzlichen Protest der Baumbesetzer könne man aber gut nachvollziehen.
Laute Kritik übte Ertel an aus seiner Sicht lokal fehlenden Maßnahmen zur Umsetzung der bereits definierten Ziele: So finde er es zwar löblich, dass die Stadt Ravensburg dieses Jahr eine Klimakommission und damit das „ambitionierte Ziel“ erkennbar der jährlichen CO2-Reduktion um 13 Prozent festgelegt hat. „Doch die beschlossenen Maßnahmen reichen nicht, wenn Parkplätze an der Oberschwabenhalle dauerhaft kostenfrei sind.“Er fordert Kontrolle durch einen Klimarat, der politische Entscheidungen überwacht.
Breite Unterstützung hatte die Klimaschutzaktion in Ravensburg von mehreren Umweltschutzverbänden und Fridays-for-Future-Sympathisanten bekommen. „Es gibt auch innerhalb der Stadtverwaltung Leute, die etwas verändern wollen“, führt Ertel weiter aus.
Grundsätzliche Unterstützung gab es auch von der Grünen-Fraktion in Gemeinde- und Kreistag, zum Beispiel von Maria Weithmann, Fraktionschefin im Gemeinderat, und der neuen Klima-Liste. Auch in Ravensburg sei es Realität, dass die beschlossenen Maßnahmen im Klimakonsens bei Weitem nicht ausreichen, um das CO von 13 Prozent pro Jahr zu erreichen, so das Presseschreiben der Grünen. Im Jahr 2020 seien sogar noch Maßnahmen beschlossen worden, die im Widerspruch zu den Klimamaßnahmen stehen, zum Beispiel die Senkung von Parkgebühren in Ravensburg und die Genehmigung von Freiluftbeheizung.