Schwäbische Zeitung (Bad Waldsee / Aulendorf)
Stadtsee soll Neues zur Klimageschichte bringen
90 Teilnehmer bei digitaler „Kick-off-veranstaltung“zum „Bad Waldsee-projekt“
- Der Stadtsee ist nicht nur das „Wahrzeichen von Bad Waldsee“(Stadtarchivar Michael Tassilo Wild) und eine beliebte Freizeitstätte. Das stadtnahe Gewässer ist auch ein interessantes Geschichtsbuch, das nur richtig gelesen und gedeutet werden möchte. Auf diesen einfachen Nenner lässt sich die Intention eines innovativ angelegten und damit weltweit einzigartigen Forschungsprojektes der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) bringen. Die Analyse von Gesteinen (Sedimente) auf dem Seegrund und von Baumringen soll in Kombination mit historischer Forschung neue Erkenntnisse zur Klimageschichte und zum frühen Wirtschaftsund Sozialleben der Stadt zutage fördern.
Eigentlich hätte die Auftaktveranstaltung für dieses Vorhaben („Auf einen Blick“) im Beisein der Forscher-kapazitäten im Waldseer Rathaus über die Bühne gehen sollen. Corona verhinderte dies jedoch ,und so wurde der gut einstündige, von Wild moderierte Vortrag am Donnerstag ins Internet verlegt. Unter den 90 eingeloggten Teilnehmern waren neben Vertretern aus Wissenschaft
und Forschung auch Stadträte und (historisch) interessierte Bürger der Kurstadt. Bürgermeister Matthias Henne bedauerte in seinem Grußwort, dass man nicht in Präsenz tagen könne. „Wir freuen uns nämlich sehr, dass für dieses Projekt ausgerechnet unsere Stadt ausgewählt wurde, und ich bin sehr gespannt auf Ihre Erkenntnisse darüber, wie die Menschen ihrer Zeit jeweils auf die Umwelt gewirkt haben.“
Auch die Wissenschaftler wären zum offiziellen Auftakt lieber „in echt“an die Stätte ihrer Forschung gekommen. „Zumal der See dem Team bereits ans Herz gewachsen ist“, wie Sigrid Hirbodian von der Uni Tübungen bekannte. Und sie hob die Zusammenarbeit mit dem Stadtarchiv in Person Wilds hervor. „Ohne diese gute Kooperation wäre ein solches Großprojekt gar nicht möglich.“Die Projektleiter Hirbodian sowie Matthias Hinderer von der Uni Darmstadt und Oliver Nelle vom Landesamt für Denkmalpflege in Stuttgart gaben sich aber auch digital alle Mühe, die detailreichen Forschungsinhalte des Projektes möglichst bürgernah und verständlich auf den Punkt zu bringen.
Im Kern dessen geht es nach Angaben der Historikerin darum, fachübergreifend zu klären, wie Menschen auf ihre Umwelt einwirken, wie lange diese Auswirkungen bestehen bleiben und was dies für das Zusammenwirken von Mensch und Natur
grundsätzlich bedeutet. Und für diese Forschung, die mittelalterliche bis frühneuzeitliche Zeiträume untersucht, könnten aus dem Stadtsee Erkenntnisse gewonnen werden – und zwar durch die Analyse von Sedimenten.
„Zentrale historische Ereignisse in Ihrer Stadt vor Hunderten von Jahren, wie Kriege, Großbrände, Unwetter oder die Entwicklung von Handel und Gewerbe, hatten Auswirkungen auf das Gewässer und lassen sich bis heute mithilfe naturwissenschaftlicher Methoden aus den Gesteinen am Seegrund und Baumringen herauslesen“, ist Hirbodian überzeugt. Zusammengeführt mit den historischen Recherchen im Stadtarchiv, gewinne das Team dann Erkenntnisse dazu, „welche Folgen menschliche Aktivitäten auf die Umwelt hatten und haben“. Im Rahmen einer „interdisziplinären
Archivforschung“werden bei diesem Projekt also Erkenntnisse aus Schriftarchiv (Stadtarchiv), Sedimentarchiv (Seegrund) und Baumarchiv (Dendrologie) zusammengebracht, um ein möglichst umfassendes Bild zu erhalten von den umweltprägenden Ereignissen in den Jahren 1200 bis 1800.
Auf die Frage Wilds, warum sich dafür gerade der Stadtsee anbiete, meinte Hinderer: „Das Gewässer ist direkt in einer Stadt gelegen, das gibt’s nichts so häufig, die Sedimente am Boden sind sehr gut strukturiert, was wir von früheren Bohrungen wissen, die Quellenlage im Stadtarchiv ist ebenfalls gut und die Region ist bereits gut untersucht worden, bezogen auf ihre Wirtschaftsentwicklung – und dies alles zusammen ist eine hervorragende Ausgangslage für uns!“