Schwäbische Zeitung (Bad Waldsee / Aulendorf)
Es ist nicht alles schlecht
Das deutsche Gesundheitssystem hat sich im ersten Corona-jahr als stabil erwiesen – Doch es gibt auch Versäumnisse
- „Das Virus“, hat Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) im Herbst 2020 gesagt, „bestraft Halbherzigkeit“. Das heißt im Umkehrschluss: Ein erfolgreicher Kampf gegen die Pandemie braucht Entschlossenheit und eine Strategie. Das ist in einem föderalen Staat keine leichte Aufgabe – was auch die Kanzlerin bei ihrem Tv-auftritt am Sonntag bemängelte. Wie gut ist sie gelungen? Und wie geht es weiter?
Ausgangslage:
Zutreffend hat Merkel die Pandemie schon im Herbst 2020 als „Jahrhundertkatastrophe“bezeichnet. Anfangs kam Deutschland damit im Vergleich zu anderen Industriestaaten gut klar. Die deutschen Kliniken haben weit mehr Intensivbetten als andere. Der Grund: Die Fallpauschale für Intensivmedizin ist großzügig bemessen. Die Bundesregierung betont ja nun oft, dass in der Jahrhundertkatastrophe vieles gelungen sei: Zu keinem Zeitpunkt sei das Gesundheitswesen überfordert gewesen. Sprich: Nirgendwo mussten Kranke abgewiesen werden, die Intensivmedizin brauchten, oder Ärzte gar entscheiden, wen sie zu retten versuchen – und wer mangels Hilfe sterben muss. Dass deutsche Kliniken viele Intensivbetten haben, liegt aber nicht an Berlin, sondern eben an der hohen Pauschale, die nicht der Staat, sondern ein Fachgremium von Krankenkassen, der privaten Krankenversicherung und Kliniken festlegt.
In der Pandemie hat es sich auch als Glück erwiesen, dass sieben von acht Corona-patienten nie in eine Klinik mussten, sondern von den niedergelassenen Ärzten in den Praxen versorgt wurden. Dass Deutschland beides hat – Kliniken und Praxen – ist aber nicht das Verdienst der Großen Koalition, sondern schlicht die Struktur, die das Gesundheitswesen seit Jahrzehnten hat.
Nachverfolgung:
Wie jedes Gesundheitswesen hat aber auch das deutsche seine Schwächen. Und die heißen: Der öffentliche Gesundheitsdienst (Gesundheitsämter) war vielerorts technisch und personell nicht gut gerüstet und in vielen Kliniken und Altenheimen fehlen Pflegekräfte. Das war schon lange vor Corona so, trat jetzt aber mit Wucht zutage und tut es noch immer. Bis heute haben nicht alle Gesundheitsämter eine Software, die es einfach macht, die Kontakte von Infizierten rasch zu ermitteln und die Infektionskette zu brechen. Auch deshalb kann das Robert-koch-institut (RKI) häufig nicht sagen, in welchem Zusammenhang sich jemand infizierte: Am Arbeitsplatz? In der Ubahn? Im privaten Umfeld? In einem Restaurant? Die Folge: Angesichts steigender Fallzahlen verhängten Bund und Länder im Herbst einen allgemeinen Lockdown. Es kam also nicht darauf an, ob ein Gastronom, ein Friseur oder eine Kultureinrichtung gute Hygienekonzepte entwickelt und bezahlt hatten. Ihr Engagement war vergebens, weil Daten fehlen, um spezifischer entscheiden zu können, was angesichts steigender Zahlen geht – und was nicht mehr. Am Nichtwissen der Ämter kann
Berlin nichts ändern, weil sie Sache der Kommunen sind. Allerdings hat sich auch die Tracing-app, die der Bund in Auftrag gab, nicht als durchgängig effektives Mittel zur Nachverfolgung erwiesen. Die riesigen Chancen, die digitale Verfahren im Kampf gegen die „Jahrhundertkatastrophe“bieten (und die demokratische Länder wie Taiwan oder Südkorea mit Bravour nutzen), lässt Deutschland noch immer verstreichen. Das sei halt der Datenschutz, heißt es achselzuckend aus der Regierung. Sie hat den Bürgern aber nie die Frage gestellt, ob es eine Abwägung zwischen Datenschutz und effektiver Pandemie-bekämpfung geben soll.
Tests:
Zu den Schwächen des Gesundheitssystems gehört seit jeher auch die Prävention. Nur so ist zu erklären, dass die Schnelltests nicht viel früher ein Pfeiler in der Pandemie-bekämpfung geworden sind. Lange schürten viele, bis zu hin zu Gesundheitsminister Jens Spahn (CDU), einen falschen Gegensatz zwischen den Pcr-tests und den Schnell- und Eigentests, der den Eindruck vermittelte, als sei allein PCR als „Goldstandard“zuverlässig und sinnvoll. Für eine sichere Diagnose sind die Pcrtests unentbehrlich, das ist richtig. Nur braucht man dieses komplexere Verfahren erstmal nicht, wenn es darum geht, asymptomatische Infektionen zu entdecken und für eine begrenzte Zeit mehr Sicherheit zu erreichen. Damit die Schnelltests in Schulen, Heimen, Betrieben und Kommunen eine Waffe im Kampf gegen Corona sein können, müssten sie laufend und überall genutzt werden. Das geschieht aber noch nicht.