Schwäbische Zeitung (Bad Waldsee / Aulendorf)
Die Stimme von BAP
Wolfgang Niedecken hat Kölsch musikalisch chartfähig gemacht – Heute wird er 70
Derzeit scheint die Straße vor allem den selbsternannten Querdenkern zu gehören. Doch so lange ist es noch nicht her, dass sich große Demonstrationen gegen Rassismus oder für eine mutigere Klimapolitik aussprachen und dabei oft von breiten Bündnissen aus Kunst und Kultur unterstützt wurden. Gerne traten dabei auch Bands auf oder waren gleich selbst Organisatoren – etwa Kraftclub und Kollegen beim „Wir sind mehr“-konzert, das 2018 als Antwort auf die Ausschreitungen in Chemnitz stattfand.
Wenn man nun fragt „Wer hat es erfunden?“, dann ist Wolfgang Niedecken vielleicht nicht die uneingeschränkt richtige Antwort – wesentlich beigetragen zur Etablierung dieser Protestform hat der Musiker, der heute 70 Jahre alt wird, aber schon. Denn mit seiner Kölschrock-band BAP spielte Niedecken seit den 1980er-jahren auf zahlreichen Protestkonzerten etwa gegen die Natoaufrüstung, sowie dem „deutschen Woodstock“, dem „Anti-waahnsinns-festival“gegen die geplante Wiederaufarbeitungsanlage Wackersdorf. Für den Song zur Kölner Kampagne gegen Rassismus „Arsch huh, Zäng ussenander“textete Niedecken den gleichnamigen Song und trat natürlich auch mit seiner Band auf.
Nato-doppelbeschluss, Wackersdorf – das klingt für viele nach Themen aus einer lange vergangenen Zeit, auch wenn diese im Kern ungebrochen aktuell sind. Dieser Spagat prägt auch das Wirken von Niedecken in den letzten Jahren: weiterhin relevant bleiben, auch wenn man schon längst als „Urgestein“gilt. So spiegelt sich in seiner Biografie vieles der „alten Bundesrepublik“und der Kämpfe seiner Generation wider. An vorderster Stelle steht dabei die Auseinandersetzung mit dem dominanten Vater, die Niedecken auch vier Jahrzehnte nach dessen Tod noch beschäftigt. Auf eine als glücklich in Erinnerung gebliebene Kindheit folgte die Rebellion gegen den streng katholischen Patriarchen. Vor allem warf der Sohn ihm seine Nsdap-mitgliedschaft im Nationalsozialismus vor – ein vieltausendfacher Generationenkonflikt im Nachkriegsdeutschland.
Trotz – oder gerade wegen – dieser bis zum Tod unaufgelösten Spannungen prägte der Vater die Laufbahn des Musikers maßgeblich. Zum einen stand er für den Bandnamen Pate – denn der leitet sich vom „Bapp“her, wie Niedecken seinen Vater in breitem Dialekt nannte. Und zum anderen handelt der bekannteste Song von BAP von ihm – „Verdamp lang her“, erschienen 1981, thematisiert die Sprachlosigkeit zwischen Vater und Sohn. Auf Anhieb wurde der Song zum Hit und hat sich schon längst im Deutschrock-kanon etabliert, wird mittlerweile auch gerne beim Après-ski und anderswo gegrölt. Dass von dem nachdenklichen Text bei diesem Publikum nicht viel mehr ankommt als eine nostalgische Erinnerung an vergangene Tage, liegt sicher auch daran, dass Niedecken, ob mit Band oder Solo, konsequent auf Kölsch textet. In anderen Teilen der Republik klingt das teils wie eine fremde Sprache, was den deutschlandweiten Erfolg der Band noch beachtlicher macht. Die begann bezeichnenderweise als „Wolfgang Niedeckens BAP“und heißt mittlerweile auch wieder so. Von der Originalformation aus dem Jahre 1976 ist schon lange keiner mehr dabei, das dienstälteste Mitglied außer Mitgründer Niedecken ist Werner Kopal, am Bass seit 1996 aktiv.
Dabei waren BAP in den ersten beiden Jahrzehnten sehr wohl eine richtige Band, vor allem der Ausstieg von Gitarrist und „Verdamp lang her“-komponist Klaus „Major“Heuser betrübte 1999 viele Fans. Aber auch angesichts von mittlerweile 20 Ex-mitgliedern bleibt Niedecken Gesicht, Stimme und Sprachrohr der
Band. Wie viele seiner über einen langen Zeitraum erfolgreichen Kollegen probierte sich der Kölner mit der Zeit auf vielen Feldern aus – er griff die Malerei, die er einst studiert hatte, immer wieder auf, schrieb Bücher, es gab eine „Leopardenfell“-solo-tour mit Dylan-songs auf Kölsch und mehrere Filmprojekte zu BAP, darunter eine Dokumentation von Niedecken-freund Wim Wenders. Die trug schon 2002 den Titel „Viel passiert“und seitdem ist Niedecken trotz eines überstandenen Schlaganfalls höchst umtriebig geblieben.
Im letzten September erschien das 20. Bap-studioalbum mit dem programmatischen Titel „Alles Fliesst“, der Frontmann ist ungebrochen politisch aktiv, scheut sich aber auch nicht, mal bei seichteren Formaten wie „Sing meinen Song – Das Tauschkonzert“mitzumachen und einen Song von Xavier Naidoo anzustimmen. Verbringen wird der zweifache Großvater seinen 70. Geburtstag wohl in seinem Haus im Kölner Süden, geplant war das aber ganz anders: Mit einem großen Konzert in der Kölner Lanxess-arena. Nun soll das ganze im kommenden Jahr stattfinden und der Musiker, der sich ohnehin nicht allzu viel aus Geburtstagen macht, sieht die Sache ganz pragmatisch: „Dann feiern wir 2022 eben den Geburtstag 70a.“