Schwäbische Zeitung (Bad Waldsee / Aulendorf)
Machtkampf mit Bildern
Demo hat gezeigt: Auch im Allgäu sind Teile der „Querdenker“gut vernetzt, aggressiv und provozieren
- Die Frau im dunklen Mantel blickt auffordernd zu den Journalisten in der Nähe. „Mein Freund steht da. Er darf nicht rüber, keiner weiß, warum“, sagt sie in die Kamera. Dann geht sie wieder zurück zu dem Mann, der am Rande des Kemptener Hildegardplatzes von Polizeibeamten durchsucht wird. „Gehen sie zurück und stören sie die Maßnahme nicht“, warnt sie einer der Polizisten. Doch die Frau kommt näher, redet aggressiv auf die Beamten ein. Schließlich wird auch sie festgenommen – vor laufenden Kameras.
Das Statement der Frau ist später in einem Clip bei Youtube zu sehen, produziert von „Ruptly“. Ruptly ist eine Nachrichtenagentur, die im staatlichen russischen Auftrag arbeitet. Dass das Paar unbedingt durch die Absperrung auf den Platz wollte, als „Querdenker“sich dort versammelten, dass der Platz genau deshalb abgeriegelt worden war, dass die Beamten die beiden mehrfach mahnten, all das zeigt das Video nicht.
Der Aufmarsch der „Querdenker“und ihrer Sympathisanten am Samstag
in Kempten wird zur Machtprobe mit den Behörden, die im Kampf gegen die Pandemie Demonstrationen verboten hatten. Er wird zur Machtprobe mit der Polizei, die das Verbot durchsetzen muss. Er wird aber auch zum Kampf um die Meinungshoheit im Internet, um die Macht der Bilder bei Youtube, Whatsapp und im Kurznachrichtendienst Telegram, dem bevorzugten Kommunikationskanal der „Querdenker“-bewegung.
Das zeigt sich immer wieder am Samstag. Zum Beispiel, als Polizeibeamte die Fußgängerzone absperren, um Demonstranten und Gegendemonstranten zu trennen. Praktisch jeder filmt hier jeden mit seinem Smartphone. Es ist ein Wettstreit um passende Videos für die anschließende Propaganda im Internet. Als eine junge Frau – ohne Mund-nasenschutz – mehrfach einen Beamten provoziert, sich gegen ihn stemmt, um eine Absperrung zu durchbrechen, filmt ihre Begleiterin mit. Als eine Frau mit Hund sich bei einer Polizeikontrolle weigert, ihre Personalien zu nennen und deshalb festgehalten wird, kursieren etliche Videos davon wenig später im Netz.
In den „Querdenker“-kanälen werden solche Videos zigfach geteilt. Provokationen von Demonstranten, die den Platzverweisen oder Festnahmen vorhergehen, sind dagegen selten zu sehen. Wenn doch, werden sie gefeiert als „ziviler Ungehorsam“. Dass die Sympathisanten der „Querdenker“-szene vom Aussehen her meist bürgerlich auftreten, verstärkt den Eindruck nur. Andere Meinungen, etwa zur Notwendigkeit der Corona-maßnahmen, werden dagegen kaum zugelassen, bei Telegram ebenso wenig wie bei Demos auf den Straßen.
Deutlich wurde am Samstag, dass die Szene inzwischen bestens vernetzt und gut organisiert ist. Wer sich die Bilder und Videos der Demonstration genauer ansieht, entdeckt mehrere Personen, die in den Schlüsselsituationen immer vor Ort sind. Die beim „spontanen“Umzug durch die Stadt vorangehen, die die verbotenen Treffen der „Querdenker“-gruppen am Hildegardplatz offensichtlich steuern.
Wer genau sich da alles tummelt, ist schwerer zu durchschauen. „Die Spannweite reicht von Bürgern, die auf die Bedeutung ihrer Freiheiten hinweisen wollen, über Impfgegner, Esoteriker, generelle Staatsskeptiker bis hin zu Verschwörungstheoretikern“, heißt es beim bayerischen Landesamt für Verfassungsschutz. Auch Rechtsextremisten oder Reichsbürger seien bei einzelnen „Corona-demos“in einstelliger oder niedrig zweistelliger Zahl oft dabei, gäben sich nach außen hin in der Regel aber nicht zu erkennen. „Die Veranstaltung am 17.04.2021 in Kempten zeichnet sich ebenfalls durch dieses Muster aus“, so die Verfassungsschützer.