Schwäbische Zeitung (Bad Waldsee / Aulendorf)
Lesbische Politikerinnen fordern Solidarität im Alltag
Bernadette Behr aus Bad Waldsee und Josefine Paul sprechen über ihr Coming-out und die berufliche Laufbahn danach
- Wie das Symbol des Regenbogens vor wenigen Tagen durch ganz Deutschland zog, habe sie tief bewegt, erzählen die beiden Politikerinnen Bernadette Behr (Gemeinderätin der Freien Wähler im Gemeinderat Bad Waldsee) und Josefine Paul (Fraktionsvorsitzende der Grünen im Landtag in Nordrhein-westfalen). Die beiden haben bei einem Abend der Initiative „Bora - Frauen für die Politik“aus den Landkreisen Bodenseekreis und Ravensburg über ihre beruflichen Laufbahnen als offen lesbisch lebende Politikerinnen gesprochen. Warum auf Schloss Achberg? Weil dort Werke einer Pionierin der offen ausgelebten Homosexualität ausgestellt werden.
Die Regenbogenfahne steht für Toleranz und Vielfalt und wird heute für die Lgbtq-community verwendet. Der Regenbogen soll die Vielfalt von nicht-heterosexuellen Lebensweisen repräsentieren. Zuletzt gab es beim Em-spiel Deutschland gegen Ungarn am 22. Juni Debatten darum, ob die Fußballarena als Zeichen der Solidarität in den bunten Farben des Regenbogens leuchten darf.
Der Fußballverband UEFA sagte nein – aber zahlreiche Fußballfans sagten ja. Bunte Fahnen wurden geschwenkt, der Regenbogen ziert seither Firmenlogos, Profilbilder, Kleidung. Ein Zeichen der Hoffnung, sagte Kommunalpolitikerin Bernadette Behr: „Es ist schön zu sehen, dass der Regenbogen auch durch unsere Region wandert.“Sie hoffe, so Josefine Paul, dass die durch den Regenbogen symbolisierte Offenheit und Toleranz sich langfristig in der Gesellschaft manifestieren.
Beide Politikerinnen, so erzählten sie im Talk, haben durch ihr Comingout keine Nachteile in ihrer beruflichen Laufbahn erfahren, sondern Unterstützung und Akzeptanz. „Homosexualität spielt in der Kommunalpolitik keine Rolle, es geht um die Qualität der Arbeit“, sagte Behr. Für mehr Sichtbarkeit von lesbischen
Politikerinnen habe sie zusammen mit ihrer Frau ein Interview in einer Zeitung gegeben, erzählte Paul: „In erster Linie sind wir Politikerinnen, aber wir sind auch Vorbilder und wollen bestärken.“Gäbe es noch mehr Frauen in der Politik, gäbe es rein statistisch gesehen auch mehr lesbische Politikerinnen.
„Liebe ist Liebe“, so Paul, und das sei beispielsweise durch die Ehe für alle politisch anerkannt worden. Trotzdem dürften solche Meilensteine nicht darüber hinwegtäuschen, dass es immer noch Diskriminierung und Vorbehalte in der Gesellschaft gebe.
Die Zeichen der Solidarität in der Region Bodensee-oberschwaben empfinde sie als ehrlich, sagte Bernadette Behr und wünschte allen, die ihren eigenen Weg noch finden müssen: „Lebe, was dich glücklich macht.“Moderiert wurde das virtuelle Gespräch von Stefanie Huber und Carola Wagener vom Format Fabelhafte
Frauen aus Ravensburg.
Thematisch abgerundet hat den Abend eine Führung für die 20 Boragäste durch die aktuelle Ausstellung im Schloss Achberg: „Martha Stettler - Eine Schweizer Impressionistin in Paris“. Die Künstlerin (1870-1945) lebte mit einer Frau zusammen und hat ihre Sexualität nie versteckt.
Doch nicht nur deswegen passe Stettler gut zu Bora, sagte Martina Schmidt, Leiterin der Kontaktstelle Frau und Beruf Ravensburg, Bodensee-oberschwaben, nach der Führung: „Martha Stettler hat eine Akademie gegründet, um andere Frauen in ihrem Werdegang als Künstlerinnen zu unterstützen. Sich als Frau für andere Frauen einzusetzen, ist auch heute noch wichtig.“
Allgemein sei das Thema Künstlerinnengeschichte derzeit ein großes Thema, erklärte Melanie Löckel, die die Besucherinnen durch die Ausstellung führte: „Derzeit gibt es viel Forschung dazu, Künstlerinnen aus der Vergessenheit zu heben. Das ist ein sehr wichtiger Prozess.“
Doch natürlich wolle Bora die Künstlerin nicht auf ihre Sexualität reduzieren, so Heike Engelhardt, die Fraktionsvorsitzende der SPD Ravensburg, die durch den gesamten Abend führte: „Frauen sind vielfältig, und wir haben eine weitere Facette der Künstlerin kennengelernt.“Eine Vielfalt und ein Facettenreichtum, der sich nach dem Wunsch von Bora auch in der Politik widerspiegeln sollte.
Die Ausstellung „Martha Stettler Eine Schweizer Impressionistin in Paris“ist noch bis 18. Juli zu sehen. Das Schloss Achberg hat freitags von 14 bis 18 Uhr und samstags, sonn- und feiertags von 11 bis 18 Uhr geöffnet. Den ganzen Talk der Politikerinnen kann man auf der Facebookseite „Bora Frauenpolitik“anschauen.