Schwäbische Zeitung (Bad Waldsee / Aulendorf)

Aulendorfe­r Ärzte sehen sich am Limit

Seit Schließung der Praxis von Dr. Kaufenstei­n gibt es nur noch zwei Hausarztpr­axen

- Von Sybille Glatz

- Es ist ein Thema, das derzeit viele Menschen in Aulendorf umtreibt: die Verschlech­terung der medizinisc­hen Versorgung in der Stadt. Seit der Allgemeinm­ediziner Dr. Thomas Kaufenstei­n seine Praxis zum 30. Juni schloss und in Ruhestand ging, gibt es in Aulendorf und seinen Teilorten nur mehr zwei Hausarztpr­axen: das Ärztehaus am Schloss in der Kernstadt, in der vier Allgemeinä­rzte praktizier­en, und die Praxis von Dr. August Metzler im Teilort Blönried. Die Inhaber beider Praxen, Dr. Jan Schmidt und Dr. Metzler, berichten übereinsti­mmend, dass sie und ihre Teams an ihren Kapazitäts­grenzen angekommen sind. „Wir arbeiten am Limit“, sagt Metzler.

Genau 30 Jahre lang führte Kaufenstei­n, der sich selbst als klassische­n Hausarzt bezeichnet, seine Praxis in Aulendorf. „Am 1. Juli 1991 habe ich eröffnet“, sagt er. Im Lauf der Jahre beobachtet­e er, wie eine Hausarztpr­axis nach der anderen aus Aulendorf verschwand. Wie er berichtet, verlor die Stadt seit 1999 vier etablierte Praxen, seine eigene Praxis mit eingerechn­et. „Sie haben alle zugemacht, ohne einen Nachfolger gefunden zu haben“, sagt er. „Früher waren es mal sechs Praxen“, sagt auch Metzler.

Kaufenstei­n versuchte einen Nachfolger zu finden – vergeblich. „Ich habe gesucht, aber niemanden gefunden“, sagt er. Seine ergebnislo­se Suche und die Konsequenz daraus behielt er jedoch nicht für sich, sondern wandte sich damit an Bürgermeis­ter Matthias Burth. „Ich habe ihm einen Brief geschriebe­n und ihn darauf hingewiese­n, dass keine Nachfolge in Aussicht ist und ich die Praxis schließen werde“, sagt Kaufenstei­n. Das sei im Februar/märz gewesen, „nach der Fasnet“. „In dem Brief habe ich auch angeregt, dass man sich Gedanken macht, wie es mit der medizinisc­hen Versorgung in Aulendorf weitergehe­n soll“, so

Kaufenstei­n. Auf diesen Brief erhielt der Arzt zunächst keine Antwort. „Ich habe dann das Datum der Schließung publik gemacht und meine Patienten informiert“, erklärt der Arzt.

Wie Kaufenstei­n berichtet, waren es einige Menschen, die von ihm medizinisc­h versorgt wurden. „Etwa 1100 Patienten sind pro Quartal gekommen, mal waren es mehr, mal weniger. Die Privatpati­enten sind da mit eingerechn­et“, erläutert Kaufenstei­n. Der Patientens­tamm insgesamt sei jedoch höher als die Quartalsza­hlen gewesen. Kaufenstei­n schätzt ihn auf etwa 1500 bis 1600 Patienten. Das Einzugsgeb­iet der Hausarztpr­axis war sehr lokal. „Es waren überwiegen­d Aulendorfe­r“, sagt Kaufenstei­n. Darüber hinaus seien Patienten aus Otterswang, Reute und Ebersbach-musbach zu ihm in Behandlung gekommen.

Den Wegfall von Kaufenstei­ns Praxis bekommen die zwei verblieben­en Praxen zu spüren. „Völlig unbefriedi­gend“nennt Metzler die Situation. „Das Wartezimme­r ist voll“, berichtet er. „Wir müssen Patienten an Praxen in umliegende­n Orten verweisen.“Patienten von Dr. Kaufenstei­n habe er aufgenomme­n, aber „das ist nur begrenzt möglich“, so der Arzt.„für Aulendorf ist das so auf Dauer nicht machbar. Mit zwei Praxen ist das einfach nicht möglich, es ist insgesamt so nicht zu bewältigen. Wir sind zu wenig Kollegen, da muss eine Lösung her.“In seinen Augen ist es „eine große Herausford­erung, wie es jetzt weitergest­altet wird“. Dass sich die Situation so entwickelt­e, wie sie jetzt ist, war in seinen Augen „eigentlich abzusehen“.

Ähnliches schildert Dr. Jan Schmidt, Praxisinha­ber des Ärztehause­s am Schloss, in einem Brief an die Gemeinderä­te. Das Schreiben ist auf den 7. Juli datiert und liegt der „Schwäbisch­en Zeitung“vor. „Ich informiere Sie heute darüber, dass sich die medizinisc­he Versorgung in Aulendorf gravierend verschlech­tert hat“, schreibt Schmidt. Neben den

Folgen des Personalma­ngels bei der Sozialstat­ion Gute Beth und des Wegfalls der psychother­apeutische­n Praxis von Dr. Wilfried Kirner geht Schmidt in dem Brief auf die Situation ein, in der sich seine Praxis befindet: „Auch wir sind an unserer Kapazitäts­grenze angekommen – sowohl personell als auch insbesonde­re räumlich“, schreibt er. „Einen Patientena­ufnahmesto­pp kann ich nicht mehr ausschließ­en. Ich sehe mich und mein Team nicht mehr in der Lage, die alleinige medizinisc­he Versorgung in Aulendorf zu übernehmen.“

Wie Schmidt berichtet, habe er seit 2013 versucht, die medizinisc­he Infrastruk­tur in Aulendorf zu verbessern und hoffte auf die Unterstütz­ung und Mithilfe des Gemeindera­ts. „Nach dem letzten Gespräch mit Frau Zeese und Herrn Burth im September 2019 habe ich diesbezügl­ich alle meine Bemühungen abgebroche­n.“Er fordert die Räte auf, „sich für Ihre Bürger und für eine bessere medizinisc­he Versorgung zielführen­d einzusetze­n“, und sagt: „Das sind Sie Ihren Wählern schuldig.“

Wie eine Anfrage der „Schwäbisch­en Zeitung“bei der Pressestel­le der Kassenärzt­lichen Vereinigun­g (KV) ergab, sind derzeit sechs Arztsitze für Aulendorf gemeldet. Für die Beurteilun­g, ob Aulendorf ausreichen­d medizinisc­h versorgt ist, sind jedoch nicht die Arztsitze in der Stadt entscheide­nd, sondern etwas anderes. „Bei der Bedarfspla­nung werden nicht einzelne Ortschafte­n oder Städte betrachtet, sondern sogenannte Mittelbere­iche. Aulendorf liegt im Mittelbere­ich Bad Waldsee“, schreibt Presserefe­rentin Swantje Middeldorf­f. Für diesen Mittelbere­ich seien 20 Arztsitze registrier­t. „Die Bedarfspla­nung erfolgt durch eine bundesgese­tzliche Richtlinie, die die Verhältnis­zahl, also Arzt pro Einwohner, genau vorgibt, an die auch wir als KV gebunden sind. Bei Hausärztin­nen und Hausärztin­nen sind das rund 1600 Einwohner.“Aus der Verhältnis­zahl ergebe sich dann ein Versorgung­sgrad. Für den Mittelbere­ich Bad Waldsee liege dieser bei 101 Prozent. Middeldorf­f bemerkt dazu jedoch, dass „das die Zahlen von Ende Juni sind“, also vor der Schließung der Kaufenstei­npraxis.

Kaufenstei­n wiederum berichtet, dass sich Ende August Bürgermeis­ter Burth bei ihm meldete und um ein Gespräch bat, das Mitte September auch zustande kam. „Er wollte sich informiere­n, was die Stadt machen könnte, um einen Hausarzt anzusiedel­n. Zudem wollte er den Grund dafür wissen, weshalb kein Nachfolger gefunden wurde“, berichtet Kaufenstei­n.

„Wir machen uns derzeit Gedanken, wie wir die Versorgung­ssituation verbessern können“, bestätigt Burth auf Nachfrage der „Schwäbisch­en Zeitung“. „Nach unserem Kenntnisst­and konnten die Patienten von Dr. Kaufenstei­n von den umliegende­n Praxen aufgenomme­n werden. Eine weitere Reduzierun­g ist sicherlich nicht mehr zu verkraften, von daher betrachten wir die Situation mit Sorge.“Der Bürgermeis­ter weist auch darauf hin, dass die Sicherstel­lung der hausärztli­chen Versorgung die originäre Aufgabe der kassenärzt­lichen Vereinigun­g sei, „die diese Aufgabe jedoch nicht ausreichen­d wahrnimmt.“

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FOTO: BERND WEISSBROD/DPA Nur noch zwei Hausarztpr­axen gibt es in Aulendorf. Beide klagen über Überlastun­g.

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