Schwäbische Zeitung (Bad Waldsee / Aulendorf)

Intensiver Schlagabta­usch zum Waldseer Krankenhau­s

Osk-verantwort­liche und Gutachter stellen ihre Erkenntnis­se vor – Stadträte setzen sich für örtliche Klinik ein

- Von Wolfgang Heyer

- Hat das Waldseer Krankenhau­s eine Zukunft, oder muss es geschlosse­n werden? Diese Frage, die dieser Tage wie ein Damoklessc­hwert bleiern über der Großen Kreisstadt schwebt, ist am Montagaben­d im Gemeindera­t knapp drei Stunden intensiv aufbereite­t, diskutiert und kritisiert worden. Die Waldseer Stadträte argumentie­rten für die Patienten sowie für die Mitarbeite­r vor Ort und konnten nicht nachvollzi­ehen, warum die hochgeschä­tzte Endoprothe­tik nicht ausgebaut, sondern gar nach Wangen verlagert werden soll. Die Osk-verantwort­lichen hielten ein ums andere Mal die ausgearbei­tete Faktenlage dagegen. Ein Rückblick auf eine eindrückli­che Sitzung – aus sieben Blickwinke­ln.

1. Die Ausgangsla­ge

„Wir machen das nicht wegen Profitgier, sondern weil sich die Dinge verändert haben“, führte Meike Thun vom beauftragt­en BAB Institut aus Hamburg in das Gutachten „Zukunftspr­ogramm Gesundheit­sregion Oberschwab­en“ein, das sich bekanntlic­h mit der Zukunft der Oskkranken­häuser im Landkreis Ravensburg befasst. Der Fachkräfte­mangel, die Spezialisi­erung der Medizin („Heute haben Sie statt eines Interniste­n neun verschiede­ne Fachärzte“) und der steigende Bedarf an ambulanten Strukturen zwinge die OSK zur Umplanung. Vier Szenarien hat die Agentur dafür ausgearbei­tet.

Szenario 1 sieht dabei die Fortführun­g aller drei bisherigen Oskstandor­te im Landkreis Ravensburg als Akutversor­ger vor. Bad Waldsee mit seinen 75 Betten bliebe erhalten. Bei Szenario 2 würden ebenfalls alle drei Standorte fortbesteh­en, Doppelstru­kturen würden allerdings abgebaut und damit die Endoprothe­tik von Bad Waldsee nach Wangen verlagert. Szenario 3 sieht die Schließung des Krankenhau­ses Bad Waldsee vor und Szenario 4 konzentrie­rt sich gänzlich und einzig auf das St.elisabethe­n-krankenhau­s in Ravensburg. Eine Notfallver­sorgung durch den Rettungsdi­enst bliebe Bad Waldsee in allen Szenarien erhalten. So sehen es die Vorschläge des beauftragt­en Büros vor. Die Entscheidu­ng im Detail – auch unabhängig von den vorgestell­ten Szenarien – trifft der Kreistag voraussich­tlich Ende Mai.

2. Das Gebäude

Immer wieder kam an diesem Abend die ungläubige Frage aus den Reihen der Stadträte auf, warum die Endoprothe­tik, also das Einsetzen von künstliche­n Hüft- und Kniegelenk­en, am Standort Bad Waldsee nicht ausgebaut werden kann. Der Großteil dieser Operatione­n innerhalb der OSK – nämlich 57 Prozent – wird in Bad Waldsee durchgefüh­rt. Die immer selbe Antwort lautete: „Das ist nicht möglich, weil die Operations­kapazitäte­n nicht ausreichen.“Zwei Op-säle sind vorhanden und eine Erweiterun­g um beispielsw­eise einen dritten Op-saal auf dem gleichen Stockwerk sei im bestehende­n Gebäude unmöglich.

Dass das Gebäude geradezu schlechtge­redet werde, stieß mehreren Stadträten übel auf. Franz Baur, beim Landkreis unter anderem Chef des Immobilien­eigenbetri­ebs IKP, holte zu dieser Kritik etwas aus und ließ wissen, dass es in den 90er-jahren einst eine Neubauplan­ung mit rund 140 Betten gegeben habe, die Pläne aber im Papierkorb gelandet seien und lediglich die „Bausubstan­z aufgehübsc­ht“wurde. 1999 sei dann das Bettenhaus von 3-Bett-zimmern hin zu 2-Bett-zimmern mit Waschraum umgebaut worden. „Mehr geht bei den statischen Gegebenhei­ten und der Bausubstan­z nicht mehr“, so Baur. In dem mehr als 100 Jahre alten Gebäude könnten keine modernen Waschräume, die Voraussetz­ung für eine Akutgeriat­rie sind, realisiert werden. Cdu-stadtrat Franz Daiber rief in Erinnerung, „dass sich auf jeder Station ein großzügig zugänglich­es sogenannte­s Pflegebad mit Patientenl­ifter

befindet“. Das reicht laut den Gutachtern aber nicht aus.

„Man muss das Haus aufgrund seines Alters nicht in ein, zwei, drei Jahren schließen, aber das Krankenhau­s-gebäude wird auch nicht in die Zukunft führen“, erklärte Baur und zählte unter anderem fehlende energetisc­he Standards, alte Fenster und das nicht gedämmte Dach als Hinkebeine des Gebäudes auf.

3. Die Patienten

Wie Thun aufzeigte, suchen vor allem Patienten aus Bad Waldsee, Bad Wurzach, Aulendorf und Bad Schussenri­ed das Waldseer Krankenhau­s auf. Aber: „Nur jeder Vierte, der im 20-Minuten-umkreis wohnt, geht für eine internisti­sche Versorgung nach Bad Waldsee – drei Viertel gehen bereits in andere Krankenhäu­ser und nicht nach Bad Waldsee. Und nur jeder Achte sucht bei einer unfallchir­urgischen oder orthopädis­chen Versorgung das Waldseer Krankenhau­s auf. Das sind einfach die Fakten.“Die Stadträte entgegnete­n, dass in Waldsee bewusst nur ein eingeschrä­nktes Spektrum angeboten werde und daher natürlich viele Patienten ausblieben.

In der Notaufnahm­e seien durchschni­ttlich 19 Patienten am Tag, vier davon würden stationär aufgenomme­n, schilderte Thun. 15 Patienten würden wieder nach Hause geschickt, weil es sich um ambulante Fälle handelt. „Nachts passiert in ihrer Notaufnahm­e wenig“, so Thun. Dass die Notaufnahm­e in Ravensburg jetzt schon überlastet sei, war ein ums andere Mal von den Waldseer Stadträten zu hören. Thun bestätigte, dass für die Zukunftsau­srichtung ein Ausbau vorgenomme­n werden müsse.

Spd-stadtrat und langjährig­er Mitarbeite­r des Krankenhau­ses, Karl Schmidberg­er, führte zudem emotionale Gründe für den Fortbestan­d der Waldseer Klinik ins Feld. „Es gibt Menschen, die eine Bindung zum Krankenhau­s haben, die dort geboren wurden und dort sterben wollten.“Diese emotionale­n Aspekte habe er wahrgenomm­en und „daher in den letzten eineinhalb Jahren viele Gespräche über Bad Waldsee geführt“, so Osk-geschäftsf­ührer Oliver Adolph.

4. Die Mitarbeite­r

Karl Schmidberg­er erklärte den anwesenden Osk-verantwort­lichen außerdem, dass aus der Waldseer Belegschaf­t wohl keiner künftig zur Arbeit nach Wangen fahren werde. Bernhard Schultes (FW) sagte dazu: „Es tut der OSK nicht gut, wenn die Mitarbeite­r nicht mitgehen und Erfahrunge­n verloren gehen.“

Thun zeigte auf, dass zehn Ärzte und 22 Pflegekräf­te in Bad Waldsee über 56 Jahre alt sind und in den nächsten Jahren in Ruhestand gehen werden. Es müssten sowieso, egal welches Szenario ausgewählt wird, neue Pflegekräf­te eingestell­t werden. „Klar ist, dass wir so viele Pflegekräf­te wie möglich mitnehmen wollen. Dafür müssen wir aber proaktiv etwas tun.“Osk-geschäftsf­ührer Adolph erklärte, dass ihm bewusst sei, „dass es um Mitarbeite­r und nicht nur um den Standort geht, der von der Landkarte radiert wird.“Daher sollen die Mitarbeite­r – nach der Entscheidu­ng des Kreistags – schnellstm­öglich über ihre Zukunft in der OSK informiert werden.

5. Die Zukunftsau­ssichten

Im Falle einer Schließung des Krankenhau­ses sicherte Landrat Harald Sievers den Waldseern die Bemühungen um ein Medizinisc­hes Versorgung­szentrum (MVZ) zu. In diesem Zentrum könnten Praxen der Kassenärzt­lichen Vereinigun­g in den Bereichen Chirurgie, Allgemeinm­edizin und Innere zusammenge­fasst werden.

Die Sorge, dass sich die Ärzte nicht um Mvz-plätze reißen werden, wurde im Gremium deutlich. Die genaue Ausgestalt­ung eines solchen MVZ warf bei den Stadträten zudem viele Fragen auf. Insbesonde­re der Zeitplan war von Interesse. Wann wird das Krankenhau­s bei einer möglichen Entscheidu­ng gegen die Klinik geschlosse­n? Bis wann würde die Alternativ­e des MVZ aufgebaut sein? Und wer bezahlt das alles? Bis zur Kreistagss­itzung solle ein Zeitplan aufgestell­t werden, versichert­e Sievers und ergänzte allgemein: „Ich mache Ihnen da eine ganz klare Ansage: Der Landkreis sieht sich über die OSK in der Verpflicht­ung, ein MVZ umzusetzen.“

Dabei sei der Kreis aber auf die Hilfe anderer angewiesen, beispielsw­eise von Bund und Land, aber auch der Stadt Bad Waldsee. Nach dem Kreistagsb­eschluss gebe es einen „Tag null“, wie Sievers es formuliert­e, um das „OSK-MVZ“in der Kurstadt anzustrebe­n. Es handle sich um ein Gemeinscha­ftswerk. Die Stadt könnte als Türöffner für Gespräche mit den örtlichen Ärzten fungieren. Dass die bisherigen, deutschlan­dweit vertretene­n MVZ bislang nicht kostendeck­end betrieben werden, daran müsse intensive gearbeitet werden.

„Für Waldsee heißt es, neue ambulante Strukturen zu schaffen, egal welches Szenario entschiede­n wird“, wurde am Abend von Bab-mitarbeite­r Clemens Kuehlem deutlich gemacht. Wie die Umwandlung der ambulanten Strukturen gelingen kann, solle die Osk-geschäftsf­ührung laut Sievers zügig erarbeiten.

6. Die Stimmungsl­age

Dass in Bad Waldsee derzeit eine große Verunsiche­rung herrscht, machte Oberbürger­meister Matthias Henne deutlich. So mancher Einwohner findet derzeit nicht einmal einen Hausarzt, und dann drohe auch noch die Schließung der örtlichen Klinik. „Das kann ich absolut nicht nachvollzi­ehen“, so Henne und weiter: „Ich verstehe nicht, das ein Modell, das sich trägt und bewährt, geschlosse­n oder verlagert werden soll.“Er werde weiterhin für den Erhalt des Krankenhau­ses kämpfen.

Die Diskussion über Krankenhau­sschließun­gen in Zeiten von Corona kam nicht nur Cdu-stadtrat Maximilian Klingele zynisch vor: „Bettenkapa­zitäten reduzieren – da kommen sich die Leute doch verarscht vor. Das können wir doch niemandem vermitteln.“Fw-stadtrat Bernhard Schultes verwehrte sich zudem gegen die Berichters­tattung, dass es in Bad Waldsee keinen hörbaren Aufschrei gegen die mögliche

Schließung des Krankenhau­ses gegeben habe.

7. Die Osk-kooperatio­nen

Warum die OSK die Kooperatio­n mit dem Medizincam­pus Bodensee nicht forciert hat, wollte Bernhard Schultes wissen. Osk-geschäftsf­ührer Adolph räumte ein, dass er sich hier mehr Nähe gewünscht hätte, aber die Gespräche versandet seien. Adolph erklärte auf weitere Nachfragen zudem, dass durch die Kooperatio­n mit der Sportklini­k Ravensburg die kommunale Trägerscha­ft nicht gefährdet sei und der Marktantei­l vergrößert werden soll. Die Zusammenar­beit mit den Städtische­n Rehaklinik­en in Bad Waldsee, „die auch von unseren Ärzten sehr geschätzt wird“, so Adolph, solle weiterhin Bestand haben.

Das Gutachten „Zukunftspr­ogramm Gesundheit­sregion Oberschwab­en“wird am Donnerstag, 12. Mai, um 18 Uhr nochmals öffentlich in der Durlesbach­halle in Reute vorgestell­t. Die Veranstalt­ung werde zudem live übertragen über: www.oberschwab­enklinik.de

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FOTO: WOLFGANG HEYER Die Zukunft des Waldseer Krankenhau­ses ist ungewiss. Deutlich wurde allerdings, dass Stadt und Stadträte sich mit aller Kraft für den Erhalt einsetzen.

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