Schwäbische Zeitung (Bad Waldsee / Aulendorf)
Strafe für Demo vor Kretschmanns Haus
Udo S. zieht mit einem Holzkreuz durch Laiz – Nun muss er 30 000 Euro zahlen
- Die Justiz zeigt sich unbeeindruckt von einem streitbaren Verteidiger und einem Angeklagten, der seinen christlichen Glauben als Motiv angibt: Der Anführer eines Corona-protestzugs, der im Februar zum Privathaus von Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne) im Sigmaringer Ortsteil Laiz geführt hat, muss 30 000 Euro Strafe zahlen. Nach drei Verhandlungstagen hat das Amtsgericht Sigmaringen am Montag das Urteil gesprochen. Richterin Kristina Selig verdonnert Udo S. zu 120 Tagessätzen à 250 Euro – damit ist der 52-Jährige vorbestraft.
Ganz in Weiß erscheint Udo S. vor Gericht. Das Leinenhemd trägt er offen, um den Hals ein Medaillon und ein Schal – mit der Kleiderwahl will der hünenhafte 52-Jährige wohl seine Unschuld symbolisieren. Vor dem Amtsgericht muss sich der Geschäftsmann verantworten, weil er einen nicht genehmigten Demonstrationszug zum Privathaus des Ministerpräsidenten geführt haben soll.
Die Kernfrage, die Richterin Kristina Selig klären muss: War Udo S. der Anführer oder war er lediglich Teilnehmer? Laut dem Versammlungsgesetz ist der Leiter einer unangemeldeten Versammlung zu bestrafen. An die Gegner der Corona-maßnahmen gerichtet, sagte Oberstaatsanwalt Karl-heinz Beiter, sie dürften ihre Meinung äußern, müssten Demonstrationen aber ordnungsgemäß anmelden.
Im Laufe der drei Verhandlungstage sagen mehrere Corona-demonstranten aus. Keiner von ihnen will Udo S. als den Anführer wahrgenommen haben. Manche Aussagen kommen skurril daher: Ein Teilnehmer will in Laiz an besagtem Sonntag einen Faschingsumzug gesehen haben, weil ein Mann als Skelett verkleidet war.
Eine 59-jährige Lehrerin, die vor Gericht sehr redegewandt auftritt, lobt den demokratischen Austausch mit ihren Gleichgesinnten: „Ich bin froh, dass ich diesem Land meine Meinung kundtun darf.“Im gleichen Atemzug spricht sie über einen Beitrag in einem sozialen Netzwerk, in dem Kretschmann als „hirnverbrannter Landesvater“geschmäht wird – und findet daran überhaupt nichts Anstößiges. Immer wieder lassen Zeugen die Justiz ihre Ablehnung spüren, wollen selbst entscheiden, welche Fragen zur Wahrheitsfindung beitragen, was sie beantworten und was nicht.
War Udo S. also der Anführer? Laut den Teilnehmern nein, laut den Polizeibeamten, die Kretschmanns Privathaus sicherten, eindeutig ja. Zwei Beamte, die vor Ort waren, lassen vor Gericht keinen Zweifel daran, dass Udo S. die 55 Menschen zum Privathaus Kretschmanns führte. Er habe sogar Polizisten angesprochen und nachgefragt, warum die Straße abgesperrt sei, so ein Beamter.
Oberstaatsanwalt Karl-heinz Beiter: „Man hat sich an ihm orientiert, er war der Ortskenner und hat die Teilnehmer zielgerichtet zu Kretschmanns Haus geführt.“
Sein Verteidiger Tomislav Duzel, der den ursprünglich auf einen Tag angesetzten Prozess mit allerhand Beweisanträgen und juristischen Scharmützeln in die Länge zog, fordert einen Freispruch und unterstellt der Justiz zum Schutz der Privatsphäre Kretschmanns ein besonderes hartes Vorgehen. „Es macht keinen Unterschied, ob man bei Herrn Kretschmann, einem Amtsgerichtsdirektor oder einer Kloputzfrau demonstrieren geht.“
Doch, es mache einen Unterschied, entgegnet der Oberstaatsanwalt: „Wir setzen damit ein Signal, dass wir die Einschüchterung von politischen Mandatsträgern nicht zulassen.“Richterin Kristina Selig sieht dies ebenso: „Eine Demo vor einem Privathaus darf es nicht geben – die Wahl des Ortes war strafschärfend.“
Der stattliche Mann führte bei verschiedenen Corona-demos in Sigmaringen ein Kreuz mit sich – so auch im Februar in Laiz. Jesus habe ihm ein Zeichen gegeben, das Holzkreuz aus Haselnuss zu bauen, sagte S. über seinen Glauben.
„Vielleicht ist es deshalb für die Masse und die Polizei so rübergekommen, dass er der Leiter ist“, führt sein Verteidiger Tomislav Duzel als Erklärung an. Und er argumentiert: „Woher sollte mein Mandant wissen, dass die Demonstration illegal ist, wenn die Polizei nicht einschreitet?“
Laut der Rechtsprechung komme es gar nicht darauf an, ob ein Anführer im Vorfeld einer nicht angemeldeten Demonstration aktiv sei, zitiert der Oberstaatsanwalt ein Urteil des Amtsgerichts Heilbronn. Vielmehr sei entscheidend, ob jemand während der Demonstration ihren „äußeren Gang“bestimme.
Verteidiger Duzel hatte zu Beginn des Prozesses angekündigt, dass Udo S. Angaben zu seinen Vermögensverhältnissen machen werde. Doch davon will er am Montag nichts mehr wissen. S. selbst legt lediglich Lohnbescheinigungen vor, die sein monatliches Nettoeinkommen auf 2300 Euro beziffern. Die Staatsanwaltschaft hingegen ist der Meinung, dass der Angeklagte über monatliche Lohn-, Miet- und Pachteinnahmen in Höhe von 23 000 verfügt – daher die Höhe der Geldstrafe.
Udo S. will sie nicht zahlen. Noch im Gerichtssaal unterschreibt er die von seinem Anwalt handschriftlich aufgesetzte Berufung. In nächster Instanz wird sich das Landgericht Hechingen mit der Sigmaringer Corona-demo befassen müssen.