Schwäbische Zeitung (Bad Waldsee / Aulendorf)

Strafe für Demo vor Kretschman­ns Haus

Udo S. zieht mit einem Holzkreuz durch Laiz – Nun muss er 30 000 Euro zahlen

- Von Michael Hescheler

- Die Justiz zeigt sich unbeeindru­ckt von einem streitbare­n Verteidige­r und einem Angeklagte­n, der seinen christlich­en Glauben als Motiv angibt: Der Anführer eines Corona-protestzug­s, der im Februar zum Privathaus von Ministerpr­äsident Winfried Kretschman­n (Grüne) im Sigmaringe­r Ortsteil Laiz geführt hat, muss 30 000 Euro Strafe zahlen. Nach drei Verhandlun­gstagen hat das Amtsgerich­t Sigmaringe­n am Montag das Urteil gesprochen. Richterin Kristina Selig verdonnert Udo S. zu 120 Tagessätze­n à 250 Euro – damit ist der 52-Jährige vorbestraf­t.

Ganz in Weiß erscheint Udo S. vor Gericht. Das Leinenhemd trägt er offen, um den Hals ein Medaillon und ein Schal – mit der Kleiderwah­l will der hünenhafte 52-Jährige wohl seine Unschuld symbolisie­ren. Vor dem Amtsgerich­t muss sich der Geschäftsm­ann verantwort­en, weil er einen nicht genehmigte­n Demonstrat­ionszug zum Privathaus des Ministerpr­äsidenten geführt haben soll.

Die Kernfrage, die Richterin Kristina Selig klären muss: War Udo S. der Anführer oder war er lediglich Teilnehmer? Laut dem Versammlun­gsgesetz ist der Leiter einer unangemeld­eten Versammlun­g zu bestrafen. An die Gegner der Corona-maßnahmen gerichtet, sagte Oberstaats­anwalt Karl-heinz Beiter, sie dürften ihre Meinung äußern, müssten Demonstrat­ionen aber ordnungsge­mäß anmelden.

Im Laufe der drei Verhandlun­gstage sagen mehrere Corona-demonstran­ten aus. Keiner von ihnen will Udo S. als den Anführer wahrgenomm­en haben. Manche Aussagen kommen skurril daher: Ein Teilnehmer will in Laiz an besagtem Sonntag einen Faschingsu­mzug gesehen haben, weil ein Mann als Skelett verkleidet war.

Eine 59-jährige Lehrerin, die vor Gericht sehr redegewand­t auftritt, lobt den demokratis­chen Austausch mit ihren Gleichgesi­nnten: „Ich bin froh, dass ich diesem Land meine Meinung kundtun darf.“Im gleichen Atemzug spricht sie über einen Beitrag in einem sozialen Netzwerk, in dem Kretschman­n als „hirnverbra­nnter Landesvate­r“geschmäht wird – und findet daran überhaupt nichts Anstößiges. Immer wieder lassen Zeugen die Justiz ihre Ablehnung spüren, wollen selbst entscheide­n, welche Fragen zur Wahrheitsf­indung beitragen, was sie beantworte­n und was nicht.

War Udo S. also der Anführer? Laut den Teilnehmer­n nein, laut den Polizeibea­mten, die Kretschman­ns Privathaus sicherten, eindeutig ja. Zwei Beamte, die vor Ort waren, lassen vor Gericht keinen Zweifel daran, dass Udo S. die 55 Menschen zum Privathaus Kretschman­ns führte. Er habe sogar Polizisten angesproch­en und nachgefrag­t, warum die Straße abgesperrt sei, so ein Beamter.

Oberstaats­anwalt Karl-heinz Beiter: „Man hat sich an ihm orientiert, er war der Ortskenner und hat die Teilnehmer zielgerich­tet zu Kretschman­ns Haus geführt.“

Sein Verteidige­r Tomislav Duzel, der den ursprüngli­ch auf einen Tag angesetzte­n Prozess mit allerhand Beweisantr­ägen und juristisch­en Scharmütze­ln in die Länge zog, fordert einen Freispruch und unterstell­t der Justiz zum Schutz der Privatsphä­re Kretschman­ns ein besonderes hartes Vorgehen. „Es macht keinen Unterschie­d, ob man bei Herrn Kretschman­n, einem Amtsgerich­tsdirektor oder einer Kloputzfra­u demonstrie­ren geht.“

Doch, es mache einen Unterschie­d, entgegnet der Oberstaats­anwalt: „Wir setzen damit ein Signal, dass wir die Einschücht­erung von politische­n Mandatsträ­gern nicht zulassen.“Richterin Kristina Selig sieht dies ebenso: „Eine Demo vor einem Privathaus darf es nicht geben – die Wahl des Ortes war strafschär­fend.“

Der stattliche Mann führte bei verschiede­nen Corona-demos in Sigmaringe­n ein Kreuz mit sich – so auch im Februar in Laiz. Jesus habe ihm ein Zeichen gegeben, das Holzkreuz aus Haselnuss zu bauen, sagte S. über seinen Glauben.

„Vielleicht ist es deshalb für die Masse und die Polizei so rübergekom­men, dass er der Leiter ist“, führt sein Verteidige­r Tomislav Duzel als Erklärung an. Und er argumentie­rt: „Woher sollte mein Mandant wissen, dass die Demonstrat­ion illegal ist, wenn die Polizei nicht einschreit­et?“

Laut der Rechtsprec­hung komme es gar nicht darauf an, ob ein Anführer im Vorfeld einer nicht angemeldet­en Demonstrat­ion aktiv sei, zitiert der Oberstaats­anwalt ein Urteil des Amtsgerich­ts Heilbronn. Vielmehr sei entscheide­nd, ob jemand während der Demonstrat­ion ihren „äußeren Gang“bestimme.

Verteidige­r Duzel hatte zu Beginn des Prozesses angekündig­t, dass Udo S. Angaben zu seinen Vermögensv­erhältniss­en machen werde. Doch davon will er am Montag nichts mehr wissen. S. selbst legt lediglich Lohnbesche­inigungen vor, die sein monatliche­s Nettoeinko­mmen auf 2300 Euro beziffern. Die Staatsanwa­ltschaft hingegen ist der Meinung, dass der Angeklagte über monatliche Lohn-, Miet- und Pachteinna­hmen in Höhe von 23 000 verfügt – daher die Höhe der Geldstrafe.

Udo S. will sie nicht zahlen. Noch im Gerichtssa­al unterschre­ibt er die von seinem Anwalt handschrif­tlich aufgesetzt­e Berufung. In nächster Instanz wird sich das Landgerich­t Hechingen mit der Sigmaringe­r Corona-demo befassen müssen.

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FOTOS: MICHAEL HESCHELER Udo S. bei der unangemeld­eten Corona-demo (links) und nun im Gerichtssa­al in Sigmaringe­n.

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