Schwäbische Zeitung (Bad Waldsee / Aulendorf)
Land will Pflegekräfte zurück in den Beruf locken
Bis zu 80 000 Euro Prämie für gute Ideen aus der Praxis – Pflegeverbände fordern bessere Rahmenbedingungen
- In Baden-württemberg fehlen Tausende Pflegekräfte – und dieser Mangel wird sich laut Studien in den kommenden Jahren zuspitzen. Eine Gegenmaßnahme will die Landesregierung am Dienstag auf den Weg bringen: Das Kabinett von Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne) will eine Million Euro in einen Ideenwettbewerb investieren. Mit bis zu 80 000 Euro sollen zwischen zehn und 15 Einrichtungen ausgezeichnet werden, die gute Wege gefunden haben, Pflegekräfte zur Rückkehr in den Beruf zu bewegen und zu halten. Das Geld soll aus der Corona-rücklage des Landes kommen.
„Sowohl im Krankenhaus- wie auch im Pflegebereich zeichnet sich seit Längerem ein Pflegepersonalmangel ab, der sich auch mit Blick auf die demografische Entwicklung weiter verschärfen dürfte“, heißt es in der Kabinettsvorlage, die der „Schwäbischen Zeitung“vorliegt. Studien aus jüngster Vergangenheit stützen die Einschätzung. Tausende Pflegekräfte haben ihren Beruf während der Corona-pandemie aufgegeben. Rund 40 Prozent der Mitarbeitenden in der Altenpflege liebäugelten zudem mit diesem Schritt, hatte der Deutsche Berufsverband für Pflegeberufe (DBFK) Anfang des Jahres verkündet. Die Krankenkasse Barmer kam anhand einer Studie im Februar zu der Prognose, dass allein im Südwesten bis 2030 zusätzlich 4000 Pflegekräfte gebraucht würden.
Das Land nimmt nun jene Fachkräfte in den Blick, die nicht mehr in der Pflege tätig sind. „Der Wiedereinstieg ist neben der Anwerbung von
Fachkräften aus dem Ausland eine der wenigen Möglichkeiten, die Personalausstattung in den Krankenhäusern und Pflegeeinrichtungen kurzfristig zu stärken“, heißt es in der Kabinettsvorlage, die der Ministerrat am Dienstag absegnen soll. Das sei gerade auch wegen einer möglichen weiteren Coronawelle im Herbst nötig. Der Wettbewerb soll besonders herausragende Maßnahmen prämieren und im Land bekannt machen – in der Hoffnung, dass diese Beispiele Nachahmer finden.
Der Ideenwettbewerb geht zurück auf ein Sofortprogramm Pflege, das die Grünen-fraktion im Landtag im Januar vorgeschlagen hat. „Wir wissen, dass viele Pflegekräfte, die ihren Job verlassen haben, bereit sind, dorthin zurückzukehren“, sagt Petra Krebs, Sprecherin für Pflege in der Grünen-fraktion. Die Wangener Abgeordnete
war lange in der Krankenpflege tätig. Eine Rückkehr in den Beruf knüpften viele Pflegekräfte aber an Bedingungen. „Mit dem Sofortprogramm Pflege – eine Art Comebackund Stay-in-programm in einem – wollen wir schnell und niederschwellig möglichst viele Pflegekräfte in Baden-württemberg gewinnen und in der Branche halten“, so Krebs. Dabei gehe es nicht nur um Entlastung, sondern auch um Motivation, damit die Fachkräfte möglichst lange in Beruf verblieben.
Tatsächlich kam die Studie „Ich pflege wieder, wenn...“der gewerkschaftsnahen Hans-böckler-stiftung unter ehemaligen Pflegekräften und solchen in Teilzeit kürzlich zu dem Ergebnis, dass zwischen 300 000 und 660 000 Pflegekräfte in ihren Beruf zurückkehren würden, wenn sich die Rahmenbedingungen verbesserten.
Von mehr Geld ist die Rede, vor allem aber von mehr Zeit für die Pflege am Menschen, verbindliche Dienstpläne, mehr Wertschätzung.
Auf diese Studie verweist Irene Gölz, Fachbereichsleiterin für Gesundheit und Soziales bei Verdi in Baden-württemberg. „Wenn Beschäftigte gesichert bessere Arbeitsbedingungen haben, dann ist die Bereitschaft zurückzukommen relativ hoch“, sagt sie. „Mehr Zeit für Pflege bedeutet aber mehr Personal – das ist das Grundproblem. Alles andere ist Kosmetik.“Hier nachzubessern ist aber Aufgabe des Bundes. Deshalb seien alle Ideen, die das Land zur Rückgewinnung von Pflegekräften tue, auch grundsätzlich zu begrüßen.
„Das ist sicher nicht verkehrt oder schädlich“, sagt entsprechend auch Frank Stricker-wolf, Vize-geschäftsführer der DBFK Südwest, zum Ideenwettbewerb des Landes. „Aber es ist sicher nicht das, womit man Pflegekräfte, die aus dem Beruf ausgestiegen sind, zurückbekommt. Tatsächlich ist die Entlastung das Thema, das die Pflegekräfte umtreibt“– gerade nach der fordernden Corona-zeit. Eine wichtige Maßnahme sei es, mehr in die Pflegeausbildung zu investieren und Entwicklungsmöglichkeiten zu bieten, sagt er.
Hier hat das Land bereits nachgesteuert und im Februar zwei Millionen Euro für Kliniken und Heime freigegeben, die Studierenden der noch jungen Pflegewissenschaften Praxiserfahrung bieten. Im Gegensatz zum Praxiseinsatz von Pflegeazubis gab es hierfür noch keine Mittel vom Bund. Sozialminister Manfred Lucha (Grüne) sprach von einer „Regelungslücke“, die das Land dauerhaft schließen wolle.