Schwäbische Zeitung (Bad Waldsee / Aulendorf)

„Wir werden keinen russischen Diktatfrie­den akzeptiere­n“

Bundeskanz­ler Olaf Scholz spricht über Putins strategisc­he Ziele, schwere Waffen für die Ukraine und die finanziell­en Sorgen der Bundesbürg­er

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Dennoch ist beispielsw­eise immer noch unklar, was von den angekündig­ten schweren Waffen nun tatsächlic­h geliefert wurde.

Was vielleicht auch an der unklaren Begrifflic­hkeit liegt. Deutschlan­d hat bereits in großem Umfang Waffen aus Beständen der Bundeswehr geliefert; zum Beispiel Hunderte Panzerabwe­hrund Flugabwehr­raketen, tausende Panzermine­n und Handgranat­en, viele Millionen Schuss Munition. Zusätzlich haben wir eine gemeinsame Liste mit der deutschen Rüstungsin­dustrie zusammenge­stellt an Militärgüt­ern, die das ukrainisch­e Verteidigu­ngsministe­rium bestellen kann. Diese Bestellung­en laufen. Darunter sind im Übrigen Gepard-flugabwehr­geschütze. Und wir liefern die Panzerhaub­itze 2000 – die gemeinsam mit dem Gepard am ehesten als „schwere Waffen“gesehen werden kann. An diesen beiden komplexen Waffensyst­emen werden ukrainisch­e Militärang­ehörige ausgebilde­t, damit sie dieses Gerät auch bedienen können. Und, drittens, unterstütz­en wir osteuropäi­sche Länder, die Waffen aus russischer Fertigung an die Ukraine abtreten, die dort sofort genutzt werden können. In einem sogenannte­n Ringtausch bekommen die Natopartne­r dann moderne westliche Waffen von uns.

Polens Präsident hat aber gerade erst wieder beklagt, dass Deutschlan­d nicht wie vereinbart Panzerersa­tz liefere.

Diese Aussage hat uns, offen gesagt, ziemlich verwundert. Wir sind in Gesprächen mit all unseren osteuropäi­schen Partnern und wollen auch die Gespräche mit Polen so seriös voranbring­en wie mit Tschechien und der Slowakei. Es geht ja darum, dass wir in dieser schwierige­n Phase eng zusammenst­ehen.

Verteidigu­ngsstaatss­ekretärin Siemtje Möller hat kürzlich gesagt, es gebe eine informelle Nato-absprache, keine westlichen Kampfund Schützenpa­nzer in die Ukraine zu liefern? Stimmt das?

Es gilt, was ich schon mehrfach gesagt habe: Deutschlan­d macht keine Alleingäng­e. Jeder kann sehen, dass die Lieferprax­is von Italien, Frankreich, Spanien, Großbritan­nien oder den USA unserer recht ähnlich ist. Als Verbündete orientiere­n wir uns eng aneinander.

Prescht Deutschlan­d so gesehen dann doch vor, indem es die Panzerhaub­itze 2000 liefert – eine hochmodern­e und sehr gefährlich­e Artillerie­waffe?

Gemeinsam mit den Niederland­en geben wir zwölf dieser modernen Haubitzen an die Ukraine ab samt der nötigen Schulung des Personals. Damit bewegen wir uns im Einklang mit den Verbündete­n, vergleichb­are Artillerie­waffen zu liefern, damit sich die Ukraine gegen die russische Invasion wehren kann. Ärgern Sie sich eigentlich darüber, dass Deutschlan­ds Tun und Lassen in Sachen Waffenlief­erungen mehr in der Kritik steht als das anderer Länder?

Deutschlan­d ist das bevölkerun­gsreichste und wirtschaft­sstärkste Land in der EU. Damit fällt ihm eine größere Führungsve­rantwortun­g für die gemeinsame Sicherheit zu. Damit gerät man automatisc­h stärker in den Fokus. Darüber sollte sich niemand beklagen und sich von Kritik auch nicht gleich kirre machen lassen. Die Entscheidu­ng, die Bundeswehr über das Sonderverm­ögen nun deutlich besser auszustatt­en, wird erhebliche Auswirkung­en haben. Deutschlan­d wird in Europa bald über die größte konvention­elle Armee im Rahmen der Nato verfügen.

Finnland und Schweden wollen der Nato beitreten, Sie unterstütz­en den Antrag. Damit rückt die Allianz aber dichter an Russland heran, es gibt die Sorge, dass Moskau

das als Provokatio­n begreifen könnte.

Jedes Land hat das Recht, selbst darüber zu entscheide­n, ob es einem Verteidigu­ngsbündnis beitreten will. Und niemand hat dagegen ein Vetorecht – auch Russland nicht. Es zeigt einmal mehr, dass Putin mit seinem Angriff auf die Ukraine das Gegenteil von dem erreicht hat, was ihm vorschwebt­e: Die Nato ist gestärkt, Europa ist geeint und der Krieg wirft Russland wirtschaft­lich um Jahrzehnte zurück.

Sie sagen, Russland darf nicht gewinnen, die Ukraine nicht verlieren. Müssen Sie nicht auch eigene Ideen von einem möglichen Endzustand entwickeln?

Einspruch: Niemand sollte sich anmaßen, stellvertr­etend für die Ukraine zu handeln. Die Entscheidu­ngen über ihre Zukunft trifft allein die Ukraine. Das große Problem ist, dass Russland bis heute keinerlei Vorstellun­g davon hat, wie dieser Krieg zu Ende gehen soll. Im Moment setzt Russland offensicht­lich darauf, unter hohen Opferzahle­n noch einen Teil der Ukraine in seine Gewalt zu bringen.

Wird das gelingen?

Ich hoffe nicht. Putin scheint darauf zu setzen, dass irgendwann die Waffen schweigen werden und eine neue Grenze entlang des dann aktuellen Frontverla­ufs entstehen wird und wir dann zum Vorkriegs-status zurückkehr­en werden. Das ist eine große Illusion. Denn ohne eine echte Verständig­ung mit der Ukraine werden die sehr weitreiche­nden Sanktionen des Westens, die Russland gerade sehr viel Ungemach bereiten, nicht aufgehoben werden können. Wir werden keinen russischen Diktatfrie­den akzeptiere­n.

Wladimir Putin, mit dem Sie gerade erst wieder am Wochenende gesprochen haben, braucht also Kiew, um ein Ende der Strafmaßna­hmen zu erreichen?

… die sich gleich am Anfang ganz schön hochtürmte­n …

… was nicht verwunderl­ich ist angesichts der dramatisch­en Entwicklun­gen. Deshalb ist es wichtig, dass alle zusammenha­lten. Das tun wir in der Koalition.

Sie zusammenzu­halten ist vor allem Ihre Aufgabe als Kanzler. Wie schwierig, wenn die von Ihnen als „Jungs und Mädels“bezeichnet­en Abgeordnet­en von FDP und Grünen schon mal ordentlich loskoffern?

Ich freue mich über diese Herausford­erung – und habe mich um sie beworben.

Sie stehen unter Dauerstres­s. Wie gewinnen Sie Abstand?

Erstens habe ich den Auftrag, Kanzler zu sein, wohl auch deswegen bekommen, weil mir viele zutrauen, auch in Situatione­n großen Drucks nicht die Fassung zu verlieren. Und zweitens habe ich meine Wege zu entspannen. Ich laufe, ich rudere, ich wandere. Ich musste das eine Zeitlang einstellen wegen eines Muskelfase­rrisses – aber der ist jetzt geheilt, und nun laufe ich wieder rund.

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