Schwäbische Zeitung (Bad Waldsee / Aulendorf)
Die Rückkehr zu Meile, Zoll, Pint, Fuß und Steinen
Zum Thronjubiläum der Queen will Premier Johnson imperiale Maßeinheiten wiederbeleben
- Eine Krone, hurra! Pünktlich zu den viertägigen Feiern des 70. Thronjubiläums, mit dem die Nation von Donnerstag an ihre Queen ehrt, wartet die Regierung von Premierminister Boris Johnson mit einer patriotischen Nachricht auf: Auf den Pint-gläsern (0,568 Liter) im Pub werde sich demnächst wieder eine Königskrone finden. „Cheers, Your Majesty“, titeln begeisterte Boulevardblätter ganz im Sinn des derzeitigen Bewohners von Downing Street Nummer Zehn, wo bekanntlich auch in schwersten Lockdown-zeiten alkoholisierter Frohsinn nicht fehlen durfte.
Die Zeitungen sind vom royalen oder doch eher ganz profanen Rausch so benebelt, dass sie nicht einmal fünf Monate zurückschauen können. Zu Jahresbeginn veröffentlichte der Regierungschef eine Brexit-bilanz, genau ein Jahr nach dem endgültigen Austritt des Königreiches aus Binnenmarkt und Zollunion der EU. Schon damals wurde die Krone als Errungenschaft der neuen Freiheit außerhalb des ungeliebten Bündnisses gefeiert. Ebenso brüstete sich Johnson Anfang Januar damit, er habe „das Verbot“aufgehoben, Waren in Pfund zu verkaufen anstatt in Kilos.
Natürlich steckten hinter dem angeblichen Verbot auch damals die verruchten Brüsseler Bürokraten – wobei Verurteilungen gegen Obstverkäufer, die ihre Ware in Pfund an die Konsumenten bringen, auf dem Kontinent nicht bekannt geworden waren. Lediglich auf der Insel hatten übereifrige Lebensmittelkontrolleure altmodisch gesinnten Händlern eine Verwarnung ausgesprochen. Als diese vor Gericht zogen, schrieben die Brüssel-feindlichen Zeitungen alsbald von „metrischen Märtyrern“.
Pünktlich zum royalen Jubiläum wärmt Johnson die vergnügliche Nostalgie wieder auf. In der ausgerufenen „Ära von Großzügigkeit und Toleranz“gegenüber alten, sogenannten „imperialen“Maß-, Längen und Gewichtseinheiten sieht der Brexit-marktschreier „altehrwürdige Freiheiten“wiederbelebt. Schon warnen Spaßvögel auf Twitter, die Regierung wolle den freiheitsliebenden Briten wohl die Freude am Kuddelmuddel nehmen.
Tatsächlich herrscht auf der Insel fröhliche Anarchie bei der Beschreibung. Distanzen auf der Autobahn werden in Meilen angegeben, Autotachometer verkünden die Geschwindigkeit groß in Meilen (1,6 Kilometer) und klein in Kilometern. In
Supermärkten stehen Vier-pintmilchcontainer einträchtig neben Zwei- und Fünf-literdosen Olivenöl.
In Arztpraxen wird die Größe nicht etwa in Fuß (foot gleich 30,48 Zentimeter) und Zoll (inch gleich 2,54 Zentimeter) gemessen, sondern in Zentimetern. Damit wird den vielen Patienten, die zu viele Kilos – nicht etwa Stone (gleich 6,35 Kilo) und Pfund (453 Gramm) – wiegen, die Berechnung des ebenso gefürchteten wie umstrittenen Body Mass Index (BMI) erleichtert. Vom Schock der übermäßigen Wampe erholen sich die Übergewichtigen oder geradezu Adipösen im Pub bei einem Pint Bier oder aber einem Glas Wein, das in Zentilitern gemessen wird.
Apropos Pint – die kuriose Menge von 568 Millilitern ist auf der Insel seit 1698 das Maß aller Dinge, woran auch 47 Jahre Mitgliedschaft in EWG und EU nichts änderten. Das Gesetz aus dem ausgehenden 17. Jahrhundert
liest sich heute wie eine Aufforderung zum Kampf-trinken: Bier durfte nur noch mindestens in Pints ausgeschenkt werden. Freilich betrug der Alkohol-anteil damals nicht viel mehr als zwei oder drei Prozent, während heute Starkbiere mit zweistelligem Alkoholanteil üblich sind. Vorschriften aus jüngerer Zeit ermöglichten immerhin die Halbierung des Pint-masses, weshalb alle Pub-besucher die Frage kennen: „A Pint or a half?”
Vor mehr als zehn Jahren versuchte sich die konservative Regierung an der Einführung neuer Maßeinheiten. Neben Pints dürften nun in Pubs auch Schooner befüllt werden, also Gläser, in die 425 Millimeter passen. „Wir befreien die Branche von unnötigen Vorschriften und geben damit den Konsumenten größere Wahlmöglichkeiten”, hieß es damals zur Begründung. Die neumodische Maßnahme scheiterte an jener Nostalgie, die der Premierminister nun schürt, indem er imperialen Maßund Gewichtseinheiten neues Leben einhauchen will.
Die politisch Interessierten in London beschuldigen ihn deshalb eines zynischen Ablenkungsmanövers, im Westminster-jargon „tote Katze“(dead cat) genannt. Der Ausdruck geht auf Johnsons australischen Strategieberater Lynton Crosby zurück: Wer die vorherrschende Debatte verändern will, muss der Nation eine neue Sensation, etwa ein totes Haustier auf dem Küchentisch, servieren. Dazu gehört dem Leitartikler der konservativen „Sunday Times“zufolge die Regierungsinitiative zugunsten der hergebrachten Maße: „Leider gibt es kein imperiales Maß für politischen Zynismus.“