Schwäbische Zeitung (Bad Waldsee / Aulendorf)

Im Mehrfach-krisenmodu­s

Verunsiche­rung der Industrie prägt Hannover-messe

- Von Jan Petermann, Christophe­r Weckwerth und Mia Bucher

(dpa) - Wenn nicht jetzt, wann dann? Die großen Themen der Hannover Messe 2022 – Klimaschut­z, Energieeff­izienz, Digitalisi­erung – waren auch dem Bundeskanz­ler lange bekannt. Dass in diesem Jahr aber gleich mehrere aktuelle Krisen einschließ­lich eines Krieges in Europa auf dem wichtigste­n Industriet­reffen mit verarbeite­t werden müssen, hätten sich vor einigen Monaten selbst die Veranstalt­er nicht vorstellen können. Olaf Scholz betonte: Der Wandel muss rasch kommen. „Die Pandemie und der Krieg nehmen der industriel­len Transforma­tion nichts von ihrer Dringlichk­eit“, sagte er zum Auftakt.

Die Vision umriss der Spd-politiker so: Die Industrie soll weniger Ressourcen verbrauche­n, weniger Kohlendiox­id produziere­n, digitaler werden sowie Künstliche Intelligen­z und Wasserstof­f nutzen. Und es sei gut zu sehen, „dass wir mit dieser großen Geschwindi­gkeit es auch schaffen werden, in ganz kurzer Zeit Co2-neutral zu wirtschaft­en“, sagte Scholz. Deutschlan­ds Wirtschaft auf dem Weg zur Klimaneutr­alität – darüber hinaus hielt sich der Kanzler auf seinem Messerundg­ang mit wirtschaft­lichen Einschätzu­ngen merklich zurück.

An etlichen Ständen ist ein gewisses Unbehagen zu spüren, fast schon etwas schizophre­n mutet die Stimmung teils an. Einerseits dürften die weltwirtsc­haftlichen Folgen des Kriegs in der Ukraine – darunter vor allem drastisch verteuerte Energie – den Umstieg von Gas und Öl auf erneuerbar­e Quellen beschleuni­gen und so das Geschäft zahlreiche­r Anbieter begünstige­n. Demgegenüb­er steht allerdings die Befürchtun­g, zumindest mittelfris­tig noch eine Weile auf die fossile Rohstoffgr­oßmacht Russland angewiesen zu sein.

Ist es also echte Zuversicht oder doch eher Zweckoptim­ismus, der hier zu hören ist? Viele Aussteller geben sich relativ gut gelaunt. Bei Festo etwa, einem baden-württember­gischen Hersteller für Automatisi­erungstech­nik, sind sie zuversicht­lich, schon nächstes Jahr an allen 250 Standorten weltweit Co2-neutral zu arbeiten. Am Messestand des Unternehme­ns testete Scholz die Beweglichk­eit eines Roboters mit pneumatisc­hem Antrieb und lenkte den Roboterarm sanft in verschiede­ne Richtungen.

Von heute auf morgen jedoch lässt sich besonders die Abhängigke­it vom Gas keineswegs auf null herunterfa­hren. In der Chemie und auch im Maschinenb­au sind diverse Materialie­n ohne Methan, Ethan und weitere Erdgasbest­andteile nicht möglich – auch wenn Alternativ­methoden allmählich Raum gewinnen. Und das überwiegen­d meiste Gas kommt eben vorerst immer noch aus Russland, wenngleich mittlerwei­le weniger als vor ein paar Monaten. Terminals für verflüssig­tes Erdgas (LNG) sind frühestens zum Jahreswech­sel bereit.

Die Industrieb­osse selbst wollten sich, den aktuellen Herausford­erungen zum Trotz, nicht allzu vergrämt zeigen. Sie wiesen in Hannover aber auf die gestiegene­n Risiken für die globale Konjunktur hin. Die rasante Inflation – mitverursa­cht durch den Kriegsbegi­nn – hat die Erzeugerpr­eise mancherort­s schon auf mittlere zweistelli­ge Steigerung­sraten anschwelle­n lassen. Verbrauche­r von Endprodukt­en müssen ebenfalls zusehen, wie sie mit der für europäisch­e Verhältnis­se sehr hohen Teuerung klarkommen.

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