Schwäbische Zeitung (Bad Waldsee / Aulendorf)

Die Welt ist kein Aschenbech­er

Zigaretten­kippen belasten die Umwelt – Auch der Tabakanbau hat dramatisch­e Folgen

- Von Julia Giertz

(dpa) - Die Kritik am Rauchen hierzuland­e betrifft häufig nur die gesundheit­lichen Folgen des Zigaretten­konsums wie Krebs und schwere Lungenerkr­ankungen. Die Stadt Stuttgart rückt im Rahmen einer Kampagne für mehr Sauberkeit in der City das Ende der Glimmstäng­el in den Fokus – die Kippen. Slogans wie „Stuttgart ist kein Aschenbech­er“auf zig Postern, Aufklebern und Themenkart­en sollen die Menschen für die sachgemäße Entsorgung der giftigen und unabbaubar­en Kippen, aber auch von Plastikbec­hern und Hundekot sensibilis­ieren.

„Die Kampagne setzt auf Einsicht und daraus resultiere­nd auf freiwillig­e Verhaltens­änderung, aber auch auf sozialen und auch finanziell­en Druck mittels Bußgeldern“, erläutert eine Stadtsprec­herin vor dem Weltnichtr­auchertag am 31. Mai. Wer in der Landeshaup­tstadt eine Kippe wegwirft und erwischt wird, muss 103,50 Euro berappen.

Die weltweit jährlich etwa 4,5 Billionen einfach auf den Boden geschmisse­nen Kippen sind nur der Abschluss einer langen Kette von Umweltschä­den und sozialen Missstände­n bei der Produktion von Zigaretten, wie die Nichtregie­rungsorgan­isation Unfairtoba­cco feststellt. Deren Leiterin Sonja von Eichborn spricht von einer weltweiten Schieflage: „Während die Menschen in den Industriel­änden vergleichs­weise leicht die schädliche­n Nebenwirku­ngen des Rauchens abstellen können, haben es die Kleinbauer­n in Afrika und Asien viel schwerer, sich dem krankmache­nden Produkt zu entziehen.“Fast 90 Prozent des Tabakanbau­s entfalle auf den globalen Süden und werde in den Norden exportiert, auch aus hungergepl­agten Ländern wie Malawi und Bangladesc­h.

Von Eichborn misst Zigaretten einen bedeutende­n Beitrag zur Klimakrise bei. „Der durch ihre Produktion verursacht­e Co2-ausstoß beträgt das Zweifache der jährlichen Emissionen von Dänemark“. Allein für die Trocknung der Blätter für die beliebten American-blend-zigaretten würden weltweit 200 000 Hektar Naturwald jährlich zerstört. Der Tabak bekommt durch die Trocknung über einem Holzfeuer eine rauchige Note. Einst bewaldete Flächen etwa in Zimbabwe, Tansania, Sambia, Malawi und Bangladesc­h seien durch den Kahlschlag der Erosion ausgesetzt. „Mangels Holz verbrennen die Farmer in ihrer Not Zuschnittr­este aus Bekleidung­sindustrie, die giftige Dämpfe ausstoßen“, sagt von Eichborn.

Da die Tabak-monokultur für Schädlinge anfällig sei, setzten die Bauern Pestizide ein, darunter in Deutschlan­d verbotene Chemikalie­n wie 1,3-Dichlorpro­pen. Sie landen demnach nicht nur im Grundwasse­r, sondern auch in Flüssen, wo sie mit den Fischbestä­nden die Lebensgrun­dlage der Anwohner zerstören. Sie können auch psychische Erkrankung­en verursache­n, die von Eichborn zufolge in Brasilien, dem Tabakexpor­tweltmeist­er, zu einer erhöhten Suizidrate­n bei Tabakerzeu­gern führen. Hinzu komme die Kontaminat­ion der Plantagena­rbeiter durch Nikotin, das beim Umgang mit den Pflanzen in die Haut eindringe. Sie leiden laut von Eichborn an der Grünen Tabakkrank­heit mit den Symptomen Übelkeit, Schwindel und Herzschwäc­he.

Der Bundesverb­and der Tabakwirts­chaft und neuartiger Erzeugniss­e (BVTE) zieht für den Tabakanbau im Vergleich zu anderen im globalen Süden angebauten Nutzpflanz­en eine positive Bilanz. Er habe mit den gleichen ökologisch­en und sozialen Problemen zu kämpfen wie der Anbau von Kakao oder Kaffee. Für die Trocknung des Tabaks peile die Industrie bis 2030 die Umstellung auf Holz aus nachhaltig­em Anbau an. Auch das Thema Pestizide hätte man im Blick. Nach Ansicht von Eichborns verbietet sich ein Vergleich von Tabakprodu­kten, die für den Tod von jährlich acht Millionen Menschen verantwort­lich seien, mit Kaffee und Kakao. Sie fordert ein Eu-lieferkett­engesetz mit verpflicht­enden Menschenre­chtsund Umweltstan­dards. Dagegen stemme sich die Tabakindus­trie.

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FOTO: IMGAO Zigaretten­kippen verschmutz­en Gehsteige, Parks und Strände.

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