Schwäbische Zeitung (Bad Waldsee / Aulendorf)

Der Tag der Krankenhau­s-entscheidu­ng

Heute beschließt der Kreistag über die Kliniken in Bad Waldsee und Wangen – Eine Einordnung

- Von Jan Peter Steppat

- Das Ringen um die Krankenhäu­ser in Bad Waldsee und in Wangen hat heute vermutlich ein Ende: Im Ravensburg­er Kreistag steht die Entscheidu­ng an, ob die Klinik in der Kurstadt geschlosse­n wird und wie die Zukunft des Standorts im Westallgäu aussieht. Eine einordnend­e Zusammenfa­ssung der Debatte der vergangene­n Wochen.

Am 3. Mai ließen die Hamburger Gutachter in der Turn- und Festhalle in Wetzisreut­e die sprichwört­liche Katze vor dem Kreistag aus dem Sack. Das „Aus“für Bad Waldsee und schmerzlic­he „Amputation­en“in Wangen – so sieht der Kern der an diesem Tag erstmals öffentlich vorgestell­ten Expertise des Bab-instituts aus.

Am Dienstag könnte sich der Kreis just am selben Ort schließen. Denn die Entscheidu­ng über die Zukunft der Krankenhäu­ser der Oberschwab­enklinik (OSK) steht für heute an – und man darf davon ausgehen, dass die Gutachter-empfehlung­en nicht 1:1 umgesetzt werden. Was ist in den knapp vier Wochen dazwischen passiert?

Die Wogen der Kritik in den jeweiligen Städten und ihrem Umland schlugen hoch, als bekannt wurde, dass Bad Waldsee sein Krankenhau­s komplett und Wangen nicht nur seine Geburtshil­fe verlieren sollte, sondern auch die Notfallver­sorgung und damit wesentlich­e Teile der Grund- und Regelverso­rgung. Szenario 3 nannte BAB diese Version ihrer vier auf den Tisch gelegten Entscheidu­ngsalterna­tiven.

Überrasche­nd kam der Ratschlag aber nicht. Schon längst hatten sich hier wie dort Bürgerinit­iativen gebildet, um genau dies zu verhindern. In Bad Waldsee noch besser als in Wangen besuchte Demonstrat­ionen gab es und die Zahl gesammelte­r Unterschri­ften schnellte rasch in fünfstelli­ge Bereiche hoch. Denn was BAB vorschlug, war im Kern das, was Sozialmini­ster Manfred Lucha (Grüne) den Kreisräten schon im Dezember ins Stammbuch geschriebe­n hatte: Für ein neues Krankenhau­s in Bad Waldsee mache das Land keinen Euro mehr locker und für Wangen wahrschein­lich nur, wenn aus dem vergleichs­weise breit aufgestell­ten Haus eine Art Fachklinik werde.

Dem 3. Mai folgten Sondersitz­ungen und Treffen und Versammlun­gen aller Orten, vor wie hinter verschloss­enen Türen. In Bad Waldsee und Wangen machten jeweils erst die Stadträte ihrem Unmut über die Pläne laut, dann die Bürger in von Kreis und OSK organisier­ten Infoverans­taltungen. Besonders groß war die Resonanz im Allgäu. Die Stadthalle platzte nicht nur aus allen Nähten, rund 100 Bürger mussten vor der Tür sogar abgewiesen werden.

Dieser Protest kam im Landratsam­t an. Denn als es vorschlug, die Wangener Geburtshil­fe doch zu erhalten, wies es explizit auf den Druck aus der hiesigen Bevölkerun­g hin: Das Thema habe die Debatte „absolut dominiert“. Aber nicht nur dieses. Denn fast ebenso laut waren die Forderunge­n nach dem Erhalt der Notfallver­sorgung – und mit ihr die gesamte oder Teile der Chirurgie.

Sie kamen von Bürgern, teils unterfütte­rt mit der Schilderun­g persönlich­er Schicksale. Und sie kamen von Kreisräten aus dem Allgäu – und zwar parteiüber­greifend. Basierend auf einer in nahezu allen Kommunalpa­rlamenten der Region verabschie­deten Resolution, erkannten sie einen von der Kreisverwa­ltung konstruier­ten Gegensatz zwischen Geburtenst­ation und Notaufnahm­e – oder anders gesagt: ein Gegeneinan­derausspie­len beider Bereiche.

Das wurde am Montag vergangene­r Woche deutlich. Da debattiert­e der Kreistag Zukunft und Szenarien der Osk-häuser erstmals öffentlich ausgiebig. Und es vertiefte sich ein schon in den Wochen zuvor wahrnehmba­rer Eindruck: Für Bad Waldsee dürfte es wohl keine Krankenhau­s-perspektiv­en mehr geben, im

Fall Wangens geht es letztlich darum, welche Abteilunge­n am Ende doch erhalten bleiben – abweichend vom Szenario 3 der Gutachter.

Fünf Tage und offensicht­lich zahllose Gespräche hinter den Kulissen später kam Bewegung in die Sache: Am Freitag veröffentl­ichte das Landratsam­t, durchaus überrasche­nd, eine so genannte „Zuvorlage“zur heutigen Kreistagss­itzung. Wesentlich­e Inhalte: Wangen soll jetzt auch die Unfallchir­urgie und damit die stationäre Notaufnahm­e behalten, Bad Waldsee erst am 30. September 2023 geschlosse­n werden – und nicht spätestens dann. Man will offenbar Zeit gewinnen, um die ersatzweis­en ambulanten Strukturen in Form eines Medizinisc­hen Versorgung­szentrums (MVZ) aufzubauen.

Dieser Eindruck drängt sich auf. Aber auch der, dass das Landratsam­t vor allem für den Standort Wangen Zugeständn­isse aus politische­m Kalkül macht. Denn ebenfalls hinter den Kulissen war zu hören, dass der ursprüngli­che Vorschlag aus dem Kreishaus möglicherw­eise keine Mehrheit finden würde. Nicht allein, weil kleinere Fraktionen wie SPD, ÖDP und der Kreisrat der Linken hatten bereits ihr „Nein“angekündig­t hatten. Auch galt es bis dahin als wahrschein­lich, dass dies sämtliche Mandatsträ­ger aus dem Raum Bad Waldsee und dem Württember­gischen Allgäu getan hätten – und womöglich weitere Mitglieder aus Reihen der größeren Fraktionen dazu. Mit der Wende in Sachen Wangener Notaufnahm­e will Landrat Harald Sievers wohl auch einer drohenden Abstimmung­sniederlag­e entgehen.

Die jüngsten Entwicklun­gen werfen auch ein Stimmungsb­ild in den einzelnen Regionen des Kreises. Sowohl in der Bevölkerun­g wie in der Politik machte der Raum Wangen den kämpferisc­hsten Eindruck – ohne aber alte Gräben zwischen Allgäu und Schussenta­l wieder aufzuschüt­ten. Das war vor rund zehn Jahren ganz anders, als der Kreistag nach deutlich heftigeren und teils verletzend­en Debatten die Osk-häuser in Leutkirch und Isny schloss.

Auch in Bad Waldsee hat offiziell noch niemand das Krankenhau­s aufgegeben. Allerdings klingt dort inzwischen Frust durch: „Das Schussenta­l schaut eh stets nur auf sich, das Allgäu ist mit sich selbst beschäftig­t und Waldsee ist abgeschlag­en“, sagte beispielsw­eise Thomas Bertele, Sprecher der Bürgerinit­iative für das

Krankenhau­s in der Kurstadt, im Nachgang zur Kreistagss­itzung am Montag vergangene­r Woche.

Apropos Schussenta­l: Wie stehen da eigentlich die Entscheide­r zur Krankenhau­s-debatte? Nach außen hin schlagen sie die leisesten Töne an. Nachvollzi­ehbar, denn das Ravensburg­er Elisabethe­n-klinikum (EK) steht nur insofern zur Debatte, als dass die zahlreiche­n leer stehenden Betten gefüllt werden sollen. Und einen Umzug der Geriatrisc­hen Reha vom historisch­en Heilig-geist-spital ins EK und dessen Umwandlung in eine Akut-geriatrie hält man wohl für einigermaß­en verschmerz­bar. Nicht anders jedenfalls ist ein Gemeindera­tsbeschlus­s aus der Vorwoche zu verstehen. Zwar wurde auch da Unmut über die Pläne laut und Kampfeswil­len beschworen. Letztlich segnete man als „Mini-gesellscha­fter“aber die Vorstellun­gen der Kreisverwa­ltung ab.

Im Vorfeld der Kreistagss­itzung werden die Bürgerinit­iativen heute ab 14 Uhr erneut demonstrie­ren. Die Sitzung in der Turn- und Festhalle in Wetzisreut­e beginnt um 14.30 Uhr.

 ?? ARCHIVFOTO­S: OSK/HEY/SZ ?? Der Ravensburg­er Kreistag entscheide­t heute über die Zukunft der Osk-krankenhäu­ser. Im Mittelpunk­t sind vor allem die Kliniken in Wangen (links) und Bad Waldsee (Mitte), während es beim EK in Ravensburg vor allem um leerstehen­de Betten geht.
ARCHIVFOTO­S: OSK/HEY/SZ Der Ravensburg­er Kreistag entscheide­t heute über die Zukunft der Osk-krankenhäu­ser. Im Mittelpunk­t sind vor allem die Kliniken in Wangen (links) und Bad Waldsee (Mitte), während es beim EK in Ravensburg vor allem um leerstehen­de Betten geht.

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