Schwäbische Zeitung (Bad Waldsee / Aulendorf)
Der Tag der Krankenhaus-entscheidung
Heute beschließt der Kreistag über die Kliniken in Bad Waldsee und Wangen – Eine Einordnung
- Das Ringen um die Krankenhäuser in Bad Waldsee und in Wangen hat heute vermutlich ein Ende: Im Ravensburger Kreistag steht die Entscheidung an, ob die Klinik in der Kurstadt geschlossen wird und wie die Zukunft des Standorts im Westallgäu aussieht. Eine einordnende Zusammenfassung der Debatte der vergangenen Wochen.
Am 3. Mai ließen die Hamburger Gutachter in der Turn- und Festhalle in Wetzisreute die sprichwörtliche Katze vor dem Kreistag aus dem Sack. Das „Aus“für Bad Waldsee und schmerzliche „Amputationen“in Wangen – so sieht der Kern der an diesem Tag erstmals öffentlich vorgestellten Expertise des Bab-instituts aus.
Am Dienstag könnte sich der Kreis just am selben Ort schließen. Denn die Entscheidung über die Zukunft der Krankenhäuser der Oberschwabenklinik (OSK) steht für heute an – und man darf davon ausgehen, dass die Gutachter-empfehlungen nicht 1:1 umgesetzt werden. Was ist in den knapp vier Wochen dazwischen passiert?
Die Wogen der Kritik in den jeweiligen Städten und ihrem Umland schlugen hoch, als bekannt wurde, dass Bad Waldsee sein Krankenhaus komplett und Wangen nicht nur seine Geburtshilfe verlieren sollte, sondern auch die Notfallversorgung und damit wesentliche Teile der Grund- und Regelversorgung. Szenario 3 nannte BAB diese Version ihrer vier auf den Tisch gelegten Entscheidungsalternativen.
Überraschend kam der Ratschlag aber nicht. Schon längst hatten sich hier wie dort Bürgerinitiativen gebildet, um genau dies zu verhindern. In Bad Waldsee noch besser als in Wangen besuchte Demonstrationen gab es und die Zahl gesammelter Unterschriften schnellte rasch in fünfstellige Bereiche hoch. Denn was BAB vorschlug, war im Kern das, was Sozialminister Manfred Lucha (Grüne) den Kreisräten schon im Dezember ins Stammbuch geschrieben hatte: Für ein neues Krankenhaus in Bad Waldsee mache das Land keinen Euro mehr locker und für Wangen wahrscheinlich nur, wenn aus dem vergleichsweise breit aufgestellten Haus eine Art Fachklinik werde.
Dem 3. Mai folgten Sondersitzungen und Treffen und Versammlungen aller Orten, vor wie hinter verschlossenen Türen. In Bad Waldsee und Wangen machten jeweils erst die Stadträte ihrem Unmut über die Pläne laut, dann die Bürger in von Kreis und OSK organisierten Infoveranstaltungen. Besonders groß war die Resonanz im Allgäu. Die Stadthalle platzte nicht nur aus allen Nähten, rund 100 Bürger mussten vor der Tür sogar abgewiesen werden.
Dieser Protest kam im Landratsamt an. Denn als es vorschlug, die Wangener Geburtshilfe doch zu erhalten, wies es explizit auf den Druck aus der hiesigen Bevölkerung hin: Das Thema habe die Debatte „absolut dominiert“. Aber nicht nur dieses. Denn fast ebenso laut waren die Forderungen nach dem Erhalt der Notfallversorgung – und mit ihr die gesamte oder Teile der Chirurgie.
Sie kamen von Bürgern, teils unterfüttert mit der Schilderung persönlicher Schicksale. Und sie kamen von Kreisräten aus dem Allgäu – und zwar parteiübergreifend. Basierend auf einer in nahezu allen Kommunalparlamenten der Region verabschiedeten Resolution, erkannten sie einen von der Kreisverwaltung konstruierten Gegensatz zwischen Geburtenstation und Notaufnahme – oder anders gesagt: ein Gegeneinanderausspielen beider Bereiche.
Das wurde am Montag vergangener Woche deutlich. Da debattierte der Kreistag Zukunft und Szenarien der Osk-häuser erstmals öffentlich ausgiebig. Und es vertiefte sich ein schon in den Wochen zuvor wahrnehmbarer Eindruck: Für Bad Waldsee dürfte es wohl keine Krankenhaus-perspektiven mehr geben, im
Fall Wangens geht es letztlich darum, welche Abteilungen am Ende doch erhalten bleiben – abweichend vom Szenario 3 der Gutachter.
Fünf Tage und offensichtlich zahllose Gespräche hinter den Kulissen später kam Bewegung in die Sache: Am Freitag veröffentlichte das Landratsamt, durchaus überraschend, eine so genannte „Zuvorlage“zur heutigen Kreistagssitzung. Wesentliche Inhalte: Wangen soll jetzt auch die Unfallchirurgie und damit die stationäre Notaufnahme behalten, Bad Waldsee erst am 30. September 2023 geschlossen werden – und nicht spätestens dann. Man will offenbar Zeit gewinnen, um die ersatzweisen ambulanten Strukturen in Form eines Medizinischen Versorgungszentrums (MVZ) aufzubauen.
Dieser Eindruck drängt sich auf. Aber auch der, dass das Landratsamt vor allem für den Standort Wangen Zugeständnisse aus politischem Kalkül macht. Denn ebenfalls hinter den Kulissen war zu hören, dass der ursprüngliche Vorschlag aus dem Kreishaus möglicherweise keine Mehrheit finden würde. Nicht allein, weil kleinere Fraktionen wie SPD, ÖDP und der Kreisrat der Linken hatten bereits ihr „Nein“angekündigt hatten. Auch galt es bis dahin als wahrscheinlich, dass dies sämtliche Mandatsträger aus dem Raum Bad Waldsee und dem Württembergischen Allgäu getan hätten – und womöglich weitere Mitglieder aus Reihen der größeren Fraktionen dazu. Mit der Wende in Sachen Wangener Notaufnahme will Landrat Harald Sievers wohl auch einer drohenden Abstimmungsniederlage entgehen.
Die jüngsten Entwicklungen werfen auch ein Stimmungsbild in den einzelnen Regionen des Kreises. Sowohl in der Bevölkerung wie in der Politik machte der Raum Wangen den kämpferischsten Eindruck – ohne aber alte Gräben zwischen Allgäu und Schussental wieder aufzuschütten. Das war vor rund zehn Jahren ganz anders, als der Kreistag nach deutlich heftigeren und teils verletzenden Debatten die Osk-häuser in Leutkirch und Isny schloss.
Auch in Bad Waldsee hat offiziell noch niemand das Krankenhaus aufgegeben. Allerdings klingt dort inzwischen Frust durch: „Das Schussental schaut eh stets nur auf sich, das Allgäu ist mit sich selbst beschäftigt und Waldsee ist abgeschlagen“, sagte beispielsweise Thomas Bertele, Sprecher der Bürgerinitiative für das
Krankenhaus in der Kurstadt, im Nachgang zur Kreistagssitzung am Montag vergangener Woche.
Apropos Schussental: Wie stehen da eigentlich die Entscheider zur Krankenhaus-debatte? Nach außen hin schlagen sie die leisesten Töne an. Nachvollziehbar, denn das Ravensburger Elisabethen-klinikum (EK) steht nur insofern zur Debatte, als dass die zahlreichen leer stehenden Betten gefüllt werden sollen. Und einen Umzug der Geriatrischen Reha vom historischen Heilig-geist-spital ins EK und dessen Umwandlung in eine Akut-geriatrie hält man wohl für einigermaßen verschmerzbar. Nicht anders jedenfalls ist ein Gemeinderatsbeschluss aus der Vorwoche zu verstehen. Zwar wurde auch da Unmut über die Pläne laut und Kampfeswillen beschworen. Letztlich segnete man als „Mini-gesellschafter“aber die Vorstellungen der Kreisverwaltung ab.
Im Vorfeld der Kreistagssitzung werden die Bürgerinitiativen heute ab 14 Uhr erneut demonstrieren. Die Sitzung in der Turn- und Festhalle in Wetzisreute beginnt um 14.30 Uhr.