Schwäbische Zeitung (Bad Waldsee / Aulendorf)
Kinder zeigen mehr psychisch auffälliges Verhalten
Schüler und Familien haben unter der Pandemie gelitten – Folgen an der Grundschule Aulendorf sichtbar
- Die Stadt Aulendorf erhöht die Schulsozialarbeit an der örtlichen Grundschule um 50 Prozent. Das bedeutet, dass ab dem neuen Schuljahr neben Anna Halder eine weitere Fachkraft sich um die etwa 390 Schülerinnen und Schüler kümmern wird. Der Anlass für die Erhöhung ist jedoch kein erfreulicher. Klaus Kappeler vom Haus Nazareth berichtete in der jüngsten Gemeinderatssitzung von einem gestiegenen Konfliktpotenzial unter den Schülerinnen und Schülern und von einem höheren Hilfebedarf bei einzelnen Kindern. Der Grund für den gestiegenen Bedarf an Begleitung führte Kappeler auf die Auswirkungen einer zwei Jahre andauernden Pandemie zurück. „Die Krise nach der Krise ist erkennbar.“
Die Schulsozialarbeit an der Grundschule und an der Schule am Schlosspark wird seit 2016 durch das Haus Nazareth abgedeckt. Seit 2018 ist Anna Halder mit einer Vollzeitstelle als Schulsozialarbeiterin an der Grundschule. Die Schulsozialarbeit besteht eigentlich aus mehreren Bausteinen, wie Kappeler ausführte. Neben der Hilfe für einzelne Schüler organisiert die Schulsozialarbeiterin Gruppenangebote und führt Klassenprojekte beispielsweise zur Stärkung der Klassengemeinschaft oder zur gewaltfreien Kommunikation durch. Doch für solche Angebote bleibe leider weniger Zeit, so Kappeler. „Nach zwei Jahren Pandemie stellen wir bei den Kindern eine Zunahme von Verhaltensauffälligkeiten, von Konflikten in der Familie und von einer Zunahme von psychischen Belastungen fest.“
Als weitere Punkte nannte Kappeler einen überhöhten Medienkonsum,
Schulangst, Bildungslücken und materielle Notlagen. Das führt dazu, dass die Schulsozialarbeiterin sich vor allem um einzelne Kinder kümmern muss, bei denen akute Probleme auftauchen, sogenannte Einzelfallhilfe. Hier berichtete Kappeler von „konstant hohen Zahlen“, die zwischen 79 (Schuljahr 2017/18) und 68 Fällen (Schuljahr 2020/21) liegen. „Die Zahlen sind auch während der Schulschließung sehr hoch geblieben“, sagte Kappeler. Und im aktuellen Schuljahr, in dem es keine Schließungen mehr gab, stieg die Zahl noch einmal an und zwar auf 62 Fälle allein im ersten Halbjahr.
Bei der Einzelfallhilfe gehe es laut Kappeler vor allem um Schwierigkeiten im Schulleben, mangelnde soziale Fähigkeiten und Probleme mit Gleichaltrigen (Peergroup). Doch psychische Instabilität und Schwierigkeiten in der Familie würden zunehmend eine Rolle spielen. „Wir stellen fest, dass nicht nur die Zahl der Fälle stark zugenommen hat, sondern auch die Intensität.“Allein im Schuljahr 2020/21 gab es unter der Einzelfallhilfe auch fünf sogenannte Kinderschutzfälle, bei denen die Schulsozialarbeiterin eine Einschätzung der Gefahr für das jeweilige Kind vornahm. Kappeler ging hier nicht ins Detail, nannte aber Vernachlässigung, psychische und physische Gewalt als Stichworte.
Als eine Folge der Schulschließungen machte Kappeler ein teilweise fehlendes Bewusstsein für Regeln und ein verändertes Klassengemeinschaftsgefühl aus. „Wir stellen auch ein enormes Konfliktpotenzial in den Pausen fest“, so Kappeler. Das führe zu einem Mehrbedarf an Interventionsarbeit und Prävention.
Als Fazit fasste Kappeler zusammen, dass die Schulsozialarbeit aufgrund des hohen Bedarfs nicht mehr alle Aufgabenbereiche zufriedenstellend erledigen könne. „Die Schulsozialarbeit agiert derzeit oft nur als Feuerwehr.“Das Haus Nazareth sehe daher den Bedarf einer Stellenerhöhung um 50 Prozent.
Diese Einschätzung teilte Schulleiter Oliver Trzeciok. Er berichtete, dass einige Kinder vor der Grundschule nicht im Kindergarten gewesen seien und es nicht gewohnt seien, sich in einer Gruppe mit Gleichaltrigen zu bewegen. Zudem kämen einige Kinder aus familiär belasteten Situation. Zudem machte Trzeciok die Folgen von einem erhöhten Medienkonsum aus. „Das sind teilweise auch Medien, die nicht für Kinder in diesem Alter geeignet sind.“
Und er stellte grundsätzliche Beobachtungen an. „An der Grundschule kommen Gruppen in der Stadt zwangsweise zusammen, die sonst nichts miteinander zu tun haben wollen.“Trzeciok berichtete von Konflikten zwischen Eltern und Schülern. Manche Eltern hätten in der Pandemie auch ihr Erziehungsverhalten geändert. „Es gibt vermehrt egoistische Schüler. Ihre Eltern vermitteln ihnen: Nimm dir, was du willst.“Diese Tendenzen zur Spaltung der Gesellschaft in der Stadt empfand der Schulleiter als „Warnzeichen“.
Der Vorschlag einer Erhöhung der Schulsozialarbeit stieß bei den Stadträten auf offene Ohren. Sowohl die Freien Wähler, als auch die Busfraktion und die SPD signalisierten ihre Zustimmung. Nach Angaben der Stadtverwaltung wird die neue Stelle knapp 39 400 Euro im Jahr kosten. An Fördermitteln erhält die Stadt 15 500 Euro. Den Rest von knapp 23 900 Euro trägt die Stadt.