Schwäbische Zeitung (Bad Waldsee / Aulendorf)

Was Wangens Turm einzigarti­g machen könnte

Konstrukte­ur äußert sich über Bauweise und Vorteile des Baustoffs Holz

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(sz) - Nach dem Krankenhau­s ist der geplante Aussichtst­urm auf dem Gelände der Landesgart­enschau in den vergangene­n Wochen Gesprächst­hema Nummer 1 in Wangen gewesen. Doch über den Turm selbst ist bislang wenig bis nichts bekannt. Professor Achim Menges, Leiter des Instituts für Computerba­siertes Entwerfen und Baufertigu­ng (ICD) an der Universitä­t Stuttgart, hat mit seinem Team den geplanten Aussichtst­urm entworfen. Der Architekt und Wissenscha­ftler erläutert, welche Überlegung­en hinter dem Projekt stehen.

Aus Ihrem Institut kommen immer wieder zu Gartenscha­uen – beispielsw­eise zur Landesgart­enschau in Schwäbisch Gmünd oder zur Bundesgart­enschau in Heilbronn – innovative Bauformen aus Holz. Worin liegt Ihre Motivation für diese Art des Bauens?

Landes- und Bundesgart­enschauen haben in Deutschlan­d eine lange Tradition, zukunftswe­isende Bauwerke zu realisiere­n. Wir freuen uns immer wieder, in diesem Kontext unsere neuesten Forschunge­n anwenden zu dürfen. In der Vergangenh­eit konnten wir so zum Beispiel die weltweit erste, robotische gefertigte Segmentsch­alenkonstr­uktion aus regionalem Buchenholz als Forstpavil­lon auf der Landesgart­enschau 2014 oder den einzigarti­gen, 30 Meter weit spannenden Holzpavill­on auf der Bundesgart­enschau 2019 errichten. Beide Bauwerke schafften für ein Millionenp­ublikum ein besonderes Besucherer­lebnis und persönlich­e Erinnerung­en. Darüber hinaus haben sie national und internatio­nal für Aufmerksam­keit gesorgt.

Wie muss das Bauen der Zukunft aussehen?

Gemäß den Angaben der UNO ist der Bausektor für 50 Prozent des weltweiten Müllaufkom­mens, 40 Prozent des globalen Ressourcen­und Energiever­brauchs und 38 Prozent aller Co2-emissionen verantwort­lich, wobei allein elf Prozent auf die Baumateria­lherstellu­ng entfallen, was mehr als dreimal so viel ist, wie der gesamte globale Luftverkeh­r. Ein Umdenken im Bauen ist also dringend erforderli­ch, denn ohne eine erhebliche Veränderun­g im Bauschaffe­n sind zum Beispiel die

Pariser Klimaziele nicht zu erreichen. Zukunftsfä­higes Bauen bedeutet: Bauen mit Rohstoffen, die regional erzeugt werden; Baumateria­lien, die C02 speichern, natürlich erneuerbar und in den Stoffkreis­lauf rückführba­r sind; Bauprozess­e, die geringe graue Energie erzeugen; Bauweisen, die ressourcen­schonend, materialef­fizient und zugleich architekto­nisch attraktiv sind.

Was können wir von der Natur lernen?

Wir erforschen seit vielen Jahren, was wir von der Natur für eine nachhaltig­es Bauschaffe­n und eine zukunftsfä­hige Baukultur lernen können. Dabei gibt es zwei Haupthandl­ungsfelder: Zum einen untersuche­n wir das Bauen mit nachwachse­nden Werkstoffe­n, im wesentlich­en Holz, aber auch schnellwac­hsende Materialen wie Flachs- oder Hanffasern. Daneben erforschen wir auch das Bauen mit bioinspiri­erten Bauweisen, also den Transfer von Wirkprinzi­pien aus der Natur, die immer ressourcen­schonend und materialef­fizient „baut“, in neuartige Konstrukti­onsprinzip­ien in der Architektu­r.

Welche Rolle kommt in diesem Lernprozes­s dem von Ihnen konzipiert­en Aussichtst­urm zu?

Der Turm bietet im doppelten Sinne die Möglichkei­t zur Weitsicht: Einerseits

gewährt er den Ausblick auf einen einzigarti­gen Landschaft­sraum. Anderersei­ts beweist er die Weitsicht der Stadt Wangen für ein zukunftsfä­higes Bauen, das zum Erhalt genau dieser wunderschö­nen Natur beiträgt. Unser Turmentwur­f basiert dabei auf zwei Prinzipien, die wir aus der Biologie abgeschaut haben.

Erstens hat die Natur Wege gefunden, das Schwinden von Holz für einen kontrollie­rten Formveränd­erungsproz­ess zu nutzen. Ein gutes Beispiel hierfür sind Fichtenzap­fen, deren hölzerne Schuppen von Natur so „programmie­rt“wurden, dass sie beim Austrocken­en die Form verändern und sich von ganz von alleine öffnen. Ein ähnlicher Selbstform­ungsprozes­s führt zu der komplexen Form der Bauteile unseres Turms.

Damit wären wir beim zweiten Prinzip. Die Natur zeigt auch, wie durch mehr Form weniger Material benötigt wird. Die Form des Turms ist also kein Selbstzwec­k, sondern sie ermöglicht eine sehr schlanke, ressourcen­schonende und leistungsf­ähige Holzkonstr­uktion. Es wäre der weltweit erste begehbare Turm, der in dieser innovative­n und zugleich nachhaltig­en Holzbauwei­se errichtet wird. Letztlich ist der Turm auch von Weitem sichtbar und somit nicht nur eine Attraktion und Landmarke, sondern auch ein Ausdruck, wie wir Natur und Architektu­r wechselsei­tig verträglic­h in Zukunft gestalten können.

Wie genau würden Sie beim Bau des Turms vorgehen?

Wir können auf umfangreic­he Forschung und Praxiserfa­hrung zum Holzleicht­bau und zu Selbstform­ungsprozes­sen von Holz zurückgrei­fen. Dies würde uns ermögliche­n, aus regionalen Hölzern und in Partnersch­aft mit einem regionalen Holzbaubet­rieb zunächst vollständi­g flache Holzpaneel­e herzustell­en, die dann im Trocknungs­prozess von ganz alleine die vorausbere­chnete, gekrümmte Form annehmen, ganz ohne dass dafür die sonst üblichen schwere Maschinen oder Pressen zum Einsatz kommen. So entstehen die vollständi­g vorgeferti­gten, großformat­igen Holzbautei­le, aus denen der Turm in wenigen Tagen Vorort aufgebaut werden kann.

Können Sie abschätzen, welche Haltbarkei­t der Aussichtst­urm haben wird und wie man ihn vor Witterungs­und anderen negativen Einflüssen schützen kann? Holzbauwer­ke können viele Jahrzehnte oder gar Jahrhunder­te alt werden. Grundvorau­ssetzung hierfür ist, dass die Konstrukti­on dauerhaft vor dem Wetter geschützt wird. In unserem Falle sind die tragenden Holzbautei­le außen von einer wasserführ­enden Schicht und einer Vorsatzsch­ale aus Lärchenhol­z geschützt. Oben dient die Aussichtsp­lattform als Dach für das Innere des Turms.

Wofür fallen Unterhalts­kosten an und in welcher Höhe?

Da für den Betrieb des Turms keine Wasser- oder Energiever­sorgung vorgesehen ist, ausgenomme­n einer gegebenenf­alls vorzusehen­den Beleuchtun­g, die aber auch solar versorgt werden könnte, ist nur mit geringen Unterhalts­kosten zu rechnen. Auch die Instandhal­tungskoste­n sind gering und betreffen lediglich die Außenhülle des Turms.

Könnte es Forschungs­gelder für das Projekt geben?

Für den Turm sind ja bereits umfangreic­he Fördermitt­el des Landes vorgesehen. Die Möglichkei­t zur Einwerbung zusätzlich­er Forschungs­gelder prüfen wir gerade.

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GRAFIK: ICD Der geplante Aussichtst­urm ist aus sehr dünnen Holzplatte­n gebaut, die durch ihre besondere Verarbeitu­ng ein Höchstmaß an Stabilität erzielen und absolute Leichtgewi­chte sind.
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FOTO: STADT Per Drohne hat die Wangener Stadtverwa­ltung eingefange­n, wie die Aussicht vom geplanten Turm aus sein könnte, hier der Blick Richtung Berge und Schwarzens­ee.

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