Schwäbische Zeitung (Bad Waldsee / Aulendorf)
Die Grundängste der Deutschen
Der möglicherweise versiegende Nachschub russischen Gases setzt schon jetzt den Panikmodus in Gang. Werden wir im Winter frieren? Zu all dem kommt jetzt eine Debatte, die bislang mit dem Verweis auf die Rechtslage abgewimmelt wurde: Wie steht es um die Gasversorgung von Privathaushalten? Lange hieß es, diese würden als Letztes abgeschaltet. Doch nun hat Wirtschaftsminister Robert Habeck ihre Priorisierung infrage gestellt – zugunsten der Industrie. Sein Argument: Eine langfristige Unterbrechung der industriellen Produktion hätte massive Folgen, auch für die Versorgung der Bevölkerung.
Habeck hat mit seiner Äußerung Grundängste der Deutschen aufgewühlt. Die schlimmen Winter nach dem Zweiten Weltkrieg, in denen es nicht genug Heizmaterial gab, sind vielen Älteren noch in Erinnerung. Gleichzeitig jagt die Regierung den Besitzern älterer Häuser Angst ein, dass sie eine kaputte Gasheizung aus Klimaschutzgründen ab 2024 nicht mehr austauschen dürfen, sondern ihr komplettes Haus werden energetisch umbauen müssen. Zusammen mit den Inflationssorgen bildet diese Szenerie eine Melange, die den sozialen Frieden gefährden kann.
Habeck hat recht, wenn er auf die Wichtigkeit der Wirtschaft verweist. Denn das Land hat nichts davon, wenn seine Bewohner in der warmen Stube sitzen, am Ende des Winters aber arbeitslos sind und die Hälfte der Unternehmen pleitegeht, weil sie kein Gas zur Produktion hatten. Am Ende wird eine Einsparung für Privathaushalte wohl über Gesetze geregelt werden. In jedem Fall muss sich Deutschland auf Verzicht einstellen, wenn es am Ziel der Unabhängigkeit von russischer Energie festhalten will. Vielleicht gehören auch Zwangserfahrungen dazu, wenn Heizung und Warmwasser in Mietshäusern heruntergeregelt werden. Je mehr Freiwilligkeit dabei möglich ist, umso besser. Denn die Verteidigung der Freiheit mit ihrer gleichzeitigen Einschränkung zu bezahlen, ist heikel. Gleichwohl wäre die Alternative – Wladimir Putin anzubetteln, den Hahn wieder aufzudrehen – weitaus schmerzvoller.