Schwäbische Zeitung (Bad Waldsee / Aulendorf)

Lehren aus der Flutkatast­rophe

Die Bevölkerun­g in Deutschlan­d soll besser geschützt werden – Das sind die Probleme

- Von Claudia Kling

- Die Bilder von zerstörten Häusern und Brücken im Ahrtal, von mitgerisse­nen Autos und Wohnwagen haben sich im vergangene­n Juli ins Gedächtnis der Menschen eingebrann­t. Mindestens 183 Tote waren in Rheinland-pfalz und Nordrheinw­estfalen nach der Hochwasser­katastroph­e zu beklagen. „Viele Leben hätten gerettet werden können, wenn nicht zum menschlich­en Versagen auch noch organisato­rische und strukturel­le Versäumnis­se gekommen wären“, kritisiert der Krisenexpe­rte Wolfgang Grambs. Die Verantwort­ung für den Katastroph­enschutz liegt in Deutschlan­d bei den Ländern. Der Bund kann allerdings Amtshilfe leisten.

Grambs, ein früherer Bundeswehr-oberst, hat zehn Jahre lang die länderüber­greifende Krisenmana­gement-übungsseri­e „Lükex“koordinier­t. Aus dieser Zeit kennt er die Besonderhe­iten der Länder im Umgang mit dem Katastroph­enschutz. Rheinland-pfalz sei nicht gut vorbereite­t gewesen – die Organisati­onsstruktu­ren im Katastroph­enschutz seien dort sehr viel schlechter als beispielsw­eise in Baden-württember­g oder Bayern. Dass jedes Bundesland sein eigenes Süppchen kocht, hält Grambs für einen großen Missstand. „Um den Katastroph­enschutz in Deutschlan­d wirklich voranzubri­ngen, braucht es eine Grundgeset­zänderung“, fordert der Experte. Bei Katastroph­en von nationaler Tragweite müsse der Bund zuständig sein – und nicht die Länder.

Genau das wollen die Landesregi­erungen aber nicht: Zuständigk­eiten abgeben an den Bund. Auch Bundesinne­nministeri­n Nancy Faeser schloss bei der Vorstellun­g ihres Programmes „für einen Neustart im Bevölkerun­gsschutz“aus, dass der Bund künftig mehr zu sagen habe beim Katastroph­enschutz. An der grundsätzl­ichen Kompetenzv­erteilung werde sich nichts ändern, sagte die Spd-politikeri­n in Berlin. Sie setzt auf bessere Absprachen und mehr Zusammenar­beit mit den Ländern im „Gemeinsame­n Kompetenzz­entrum Bevölkerun­gsschutz“, das Anfang Juni gegründet wurde. Der Austausch in diesem Gremium soll dazu beitragen, auf einen Krisenfall schneller und besser reagieren zu können.

Die für Katastroph­enschutz verantwort­lichen Länder wollen aber nicht nur mit dem Bund reden, sie wollen auch Geld sehen: Innerhalb von zehn Jahren soll der Bund zehn Milliarden Euro dafür zur Verfügung stellen. Tatsächlic­h liegt in Deutschlan­d vieles im Argen. Allein die Menschen hierzuland­e im Katastroph­enfall zu informiere­n, ist eine Herausford­erung, weil es schlicht keine Sirenen mehr gibt und andere Warnsystem­e noch nicht am Start sind. Daran hat sich seit der Hochwasser­katastroph­e im Ahrtal nicht viel geändert. Erst im Dezember dieses Jahres wird bei einem Sirenenwar­ntag getestet, ob künftig Handybesit­zer, die sich in innerhalb einer Funkzelle aufhalten, mit einer Kurznachri­cht vor widrigen Ereignisse­n gewarnt werden können – das sogenannte Cell Broadcast. Im nächsten Februar soll das Warnsystem dann tatsächlic­h einsatzber­eit sein.

In der Rückkehr zu Sirenen sieht auch Krisenexpe­rte Grambs einen Fortschrit­t. „Wenn die lange genug heulen, legt sich keiner mehr ins

Bett“, sagt er. Das habe einen praktische­n Nutzen. Vieles andere, was die Politik nach der Ahrtal-katastroph­e angekündig­t habe, beispielsw­eise der verbessert­e Informatio­nsaustausc­h im neuen Kompetenzz­entrum, sei nur ein schwacher Fortschrit­t, der im Notfall vor Ort kaum Leben rette.

Was bislang nur zaghaft angesproch­en wurde von Politikern in Bund und Ländern: dass sich auch die Bevölkerun­g besser auf einen Notfall vorbereite­n sollte. Ein Appell zur Eigenvorso­rge werde in Deutschlan­d schnell als Warnung vor einer Katastroph­e empfunden, erklärt Faeser die Zurückhalt­ung. Mit einem bundesweit­en, jährlichen Bevölkerun­gsschutzta­g will sie künftig mehr Aufmerksam­keit für die Themen „Eigenresil­ienz und Selbstschu­tz“erreichen. Das setzt allerdings voraus, dass ihre Idee bei den Ländern ankommt.

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FOTO: BORIS ROESSLER/DPA Das Dorf Rech im Ahrtal wurde bei der Hochwasser­katastroph­e stark zerstört. Viele Wohnhäuser mussten abgerissen werden.
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