Schwäbische Zeitung (Bad Waldsee / Aulendorf)
Lehren aus der Flutkatastrophe
Die Bevölkerung in Deutschland soll besser geschützt werden – Das sind die Probleme
- Die Bilder von zerstörten Häusern und Brücken im Ahrtal, von mitgerissenen Autos und Wohnwagen haben sich im vergangenen Juli ins Gedächtnis der Menschen eingebrannt. Mindestens 183 Tote waren in Rheinland-pfalz und Nordrheinwestfalen nach der Hochwasserkatastrophe zu beklagen. „Viele Leben hätten gerettet werden können, wenn nicht zum menschlichen Versagen auch noch organisatorische und strukturelle Versäumnisse gekommen wären“, kritisiert der Krisenexperte Wolfgang Grambs. Die Verantwortung für den Katastrophenschutz liegt in Deutschland bei den Ländern. Der Bund kann allerdings Amtshilfe leisten.
Grambs, ein früherer Bundeswehr-oberst, hat zehn Jahre lang die länderübergreifende Krisenmanagement-übungsserie „Lükex“koordiniert. Aus dieser Zeit kennt er die Besonderheiten der Länder im Umgang mit dem Katastrophenschutz. Rheinland-pfalz sei nicht gut vorbereitet gewesen – die Organisationsstrukturen im Katastrophenschutz seien dort sehr viel schlechter als beispielsweise in Baden-württemberg oder Bayern. Dass jedes Bundesland sein eigenes Süppchen kocht, hält Grambs für einen großen Missstand. „Um den Katastrophenschutz in Deutschland wirklich voranzubringen, braucht es eine Grundgesetzänderung“, fordert der Experte. Bei Katastrophen von nationaler Tragweite müsse der Bund zuständig sein – und nicht die Länder.
Genau das wollen die Landesregierungen aber nicht: Zuständigkeiten abgeben an den Bund. Auch Bundesinnenministerin Nancy Faeser schloss bei der Vorstellung ihres Programmes „für einen Neustart im Bevölkerungsschutz“aus, dass der Bund künftig mehr zu sagen habe beim Katastrophenschutz. An der grundsätzlichen Kompetenzverteilung werde sich nichts ändern, sagte die Spd-politikerin in Berlin. Sie setzt auf bessere Absprachen und mehr Zusammenarbeit mit den Ländern im „Gemeinsamen Kompetenzzentrum Bevölkerungsschutz“, das Anfang Juni gegründet wurde. Der Austausch in diesem Gremium soll dazu beitragen, auf einen Krisenfall schneller und besser reagieren zu können.
Die für Katastrophenschutz verantwortlichen Länder wollen aber nicht nur mit dem Bund reden, sie wollen auch Geld sehen: Innerhalb von zehn Jahren soll der Bund zehn Milliarden Euro dafür zur Verfügung stellen. Tatsächlich liegt in Deutschland vieles im Argen. Allein die Menschen hierzulande im Katastrophenfall zu informieren, ist eine Herausforderung, weil es schlicht keine Sirenen mehr gibt und andere Warnsysteme noch nicht am Start sind. Daran hat sich seit der Hochwasserkatastrophe im Ahrtal nicht viel geändert. Erst im Dezember dieses Jahres wird bei einem Sirenenwarntag getestet, ob künftig Handybesitzer, die sich in innerhalb einer Funkzelle aufhalten, mit einer Kurznachricht vor widrigen Ereignissen gewarnt werden können – das sogenannte Cell Broadcast. Im nächsten Februar soll das Warnsystem dann tatsächlich einsatzbereit sein.
In der Rückkehr zu Sirenen sieht auch Krisenexperte Grambs einen Fortschritt. „Wenn die lange genug heulen, legt sich keiner mehr ins
Bett“, sagt er. Das habe einen praktischen Nutzen. Vieles andere, was die Politik nach der Ahrtal-katastrophe angekündigt habe, beispielsweise der verbesserte Informationsaustausch im neuen Kompetenzzentrum, sei nur ein schwacher Fortschritt, der im Notfall vor Ort kaum Leben rette.
Was bislang nur zaghaft angesprochen wurde von Politikern in Bund und Ländern: dass sich auch die Bevölkerung besser auf einen Notfall vorbereiten sollte. Ein Appell zur Eigenvorsorge werde in Deutschland schnell als Warnung vor einer Katastrophe empfunden, erklärt Faeser die Zurückhaltung. Mit einem bundesweiten, jährlichen Bevölkerungsschutztag will sie künftig mehr Aufmerksamkeit für die Themen „Eigenresilienz und Selbstschutz“erreichen. Das setzt allerdings voraus, dass ihre Idee bei den Ländern ankommt.