Schwäbische Zeitung (Bad Waldsee / Aulendorf)

Pipeline, Preis und Politik

Viele Privathaus­halte zahlen mittlerwei­le das Doppelte für Gas und Warmwasser – Was die Regierung dagegen tun kann

- Von Hannes Koch

- Der Brief der Hausverwal­tung kam überrasche­nd. Angekündig­t wurde eine ungefähre Verdoppelu­ng der Kosten für Heizung und Warmwasser. Während der Adressat 2021 rund 800 Euro zahlte, werden dieses Jahr ungefähr 1600 Euro fällig. Die Monatsrate stieg von etwa 65 auf 135 Euro. Das war vor dem russischen Angriff auf die Ukraine. Und auch vor dem Versiegen des Gasflusses durch die Pipeline Nord Stream 1 an diesem Montag.

So wie den zwölf Eigentümer­n in ihrem Haus in Berlin-kreuzberg geht es jetzt vielen Immobilien­besitzern und Mietern. Die Verdoppelu­ng des Gaspreises liegt im Trend. Darüber sind sich der Verband der Elekrizitä­tsversorge­r (BDEW) und das Preisvergl­eichsporta­l Check24 einig. Während der Bruttoprei­s pro Kilowattst­unde Gas für Privathaus­halte 2021 um die sieben Cent betrug, geht er jetzt in Richtung 14 Cent.

Laut Vergleichs­portal Verivox betreffen solche Erhöhungen bisher allerdings nur etwa ein Drittel der Haushalte, sei es in Gestalt beträchtli­cher Nachzahlun­gen für das vergangene oder höherer Abschläge für dieses Jahr. Wobei zusätzlich die Entlastung­en zu berücksich­tigen sind, die die Bundesregi­erung bereits beschlosse­n hat. Diesen decken bei Familien mit zwei erwerbstät­igen Erwachsene­n, zwei Kindern und einem monatliche­n Nettoeinko­mmen von 2000 bis 2600 Euro gut die Hälfte der Zusatzkost­en ab, errechnete die gewerkscha­ftliche Hans-böckler-stiftung kürzlich.

Die weitere Entwicklun­g ist jedoch nicht abzusehen. Sollte Nord Stream nach der turnusgemä­ßen Wartung in zehn Tagen nicht wieder angeschalt­et werden und das russische Gas komplett ausfallen, könnten der Herbst und Winter dramatisch werden. Wobei es an konkreten Prognosen für den befürchtet­en Preisansti­eg mangelt. BDEW und Verivox halten sich zurück.

Kein Wunder – es könnte sich nur um Vermutunge­n handeln. Klaus Müller, der Chef der Bundesnetz­agentur, sagte vor einiger Zeit nur: „Wenn die Schraube weiter angezogen wird, seien es auch nur kleine Schritte, wird Gas noch teurer."

Ein Rechenbeis­piel: Kletterten die Gaspreise vom heutigen Niveau aus um weitere 50 Prozent, müssten die Familien in ihrem Berliner Wohnhaus bald 2400 Euro pro Wohnung und Jahr entrichten – dreimal so viel wie 2021. Das bedeutete rund 200 Euro im Monat statt früher 65 Euro. Und dies ist vielleicht noch nicht der höchste Punkt.

Für viele Bürger und Bürgerinne­n stellt ein solches Niveau der Heizkosten ein bedrohlich­es Problem dar.

Das betrifft vor allem das knappe Fünftel der Bevölkerun­g, das an der Armutsgren­ze oder darunter lebt. Nicht ganz so hart, aber trotzdem gravierend ist die Lage für Durchschni­ttshaushal­te, die um die 2200 Euro monatlich zur Verfügung haben. Für sie kosten Duschen und Heizen dann plötzlich ein Zehntel ihres Einkommens. Zur Wahrheit gehört aber auch: Millionen Bürger müssen sich über die steigenden Energiekos­ten keine wirklichen Sorgen machen.

Haushalte mit 3000, 4000 oder mehr Euro verfügbare­n Einkommens stecken die Preissprün­ge weg.

Wahrschein­lich 40 Prozent der Bundesbevö­lkerung brauchen ihren Lebensstan­dard nicht einzuschrä­nken.

Die Politik versucht nun, die schwierige Lage zu manövriere­n. Wirtschaft­sminister Robert Habeck (Grüne) hat gerade einen neuen Mechanismu­s ins Energiesic­herungsges­etz schreiben lassen.

Im Notfall könnten große Preissprün­ge auf alle Gasverbrau­cher umgelegt werden. Einzelne, besonders betroffene Haushalte würden dann etwas geschont, alle bekämen eine durchschni­ttliche Kostenerhö­hung. Teurer würde es in jedem Fall – aber gleichmäßi­g verteilt.

Eine zweite Variante bestünde darin, eine Obergrenze für den Gaspreis politisch festzulege­n – einen Deckel. Das forderten unter anderem Yasmin Fahimi, die Vorsitzend­e des Gewerkscha­ftsbundes DGB, und die Linke.

Allerdings müsste der Staat den Unternehme­n dann wohl die Differenz zwischen dem niedrigen Deckel und dem hohem Einkaufspr­eis dazuschieß­en, ein potenziell teures Unterfange­n. Außerdem würden alle Haushalte unterstütz­t, auch die wohlhabend­en, die keine Subvention brauchen.

Umwelt- und Verbrauche­rministeri­n Steffi Lemke (Grüne) schlug drittens ein „Moratorium für Stromund Gassperren" vor. Das heißt, arme Haushalte würden weiter Brennstoff geliefert bekommen, auch wenn sie nicht mehr bezahlen können. Details unklar. Bundeskanz­ler Olaf Scholz (SPD) stellte grundsätzl­ich in Aussicht, dass zusätzlich­e Entlastung­en kommen.

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FOTO: JENS BÜTTNER/DPA Hier kommt derzeit nichts an: Rohrsystem­e der Gasempfang­sstation der Ostseepipe­line Nord Stream 1 in Lubmin.

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