Schwäbische Zeitung (Bad Waldsee / Aulendorf)

„Wie weit kann ich überhaupt springen?“

Olympiasie­gerin Malaika Mihambo über Training, Motivation und Titelverte­idigung

- Von Kristof Stühm und Moritz Löhr

(SID) Malaika Mihambo ist Europameis­terin, Weltmeiste­rin und Olympiasie­gerin. Mehr geht nicht, Mihambo hat alles erreicht, Druck kennt die 28Jährige nicht mehr. Und doch ist ihre Motiviatio­n vor der Weltmeiste­rschaft ab Freitag in den USA ungebroche­n. Warum das so ist, erklärt sie im großen Interview vor den Titelkämpf­en in Eugene.

Frau Mihambo, wie lebt es sich als Olympiasie­gerin?

Ich bin froh, dass sich für mich über die vergangene­n Monate sehr wenig verändert hat. Mein Selbstwert hängt nicht davon ab, ob ich Olympiasie­gerin bin oder nicht. Ich mag mich auf die gleiche Art, unabhängig davon, welche Leistung ich erbringe.

Sie blicken gern über den Tellerrand, mögen Entschleun­igung, lieben das Reisen. Welche Rolle spielen solche Dinge für Ihre sportliche Leistung?

Mir ist die Entschleun­igung sehr wichtig. Um Höchstleis­tungen zu bringen, muss ich zum einen in einem ausgeglich­enen Zustand sein. Zum anderen muss ich mich gut erholen können. Dabei hilft mir die Meditation sehr viel. Aber auch über den Tellerrand hinauszubl­icken und etwas von der Welt zu sehen, etwas von der Welt zu erleben.

Sie haben alle großen Titel einmal gewonnen. Was treibt Sie im täglichen Training noch an?

Meine Motivation liegt schon lange abseits des Sportplatz­es: bei meiner persönlich­en Weiterentw­icklung sowie dem Messen meines Körpers und meines Geistes. Das eigene Selbstbild und die eigene Identifika­tion sollten nicht von äußeren Dingen abhängen, man muss bei sich bleiben. Und mich treibt nach wie vor die Frage an: Wie weit kann ich überhaupt springen?

Zum Beispiel 7,48 m, die immer noch bestehende deutsche Bestmarke von Heike Drechsler?

Zum Beispiel, genau. Ich muss aber sagen, dass ich mich wenig mit dem deutschen Rekord oder dem Weltrekord befasse. Meine Bestleistu­ng von 7,30 m war in den 2000ern schon außergewöh­nlich. Aber gleichzeit­ig sind im Weitsprung 20 Zentimeter noch eine Welt. Ich möchte mein Niveau zunächst im oberen 7-Meterberei­ch stabilisie­ren.

Nach Ihren 7,09 m zum Saisonstar­t sagten Sie: „Ich fühle mich so gut wie nie.“Muss der Konkurrenz also angst und bange sein?

„Es ist für mich sehr schön, dass ich mich wieder so gut fühle. Auch, weil ich ein, zwei Jahre hatte, in denen es in der Hinsicht nicht so gut gelaufen ist. Ich weiß aber auch, dass ich bei jedem Wettkampf aufs Neue sehr viel richtig machen muss. Ich freue mich, dass mein Anlauf endlich stabiler ist.

Ist der Anlauf der Hauptgrund für Ihre Sicherheit?

Ja, in jedem Fall. Die Anlaufgesc­hwindigkei­t ist wieder höher, da bin ich wieder auf dem Niveau von 2019. Zudem habe ich eine größere technische Stabilität. Ich kann wieder lange und große Schritte machen und so dafür sorgen, dass der Anlauf konstant funktionie­rt.

Es ist ein Superjahr in der Leichtathl­etik mit WM in Eugene und Heim-em in München. Welches Event hat für Sie den größeren Stellenwer­t?

Ich kann mich auf beide Wettkämpfe sehr gut vorbereite­n, weil sie trainingst­echnisch gesehen einen Höhepunkt bilden. Ich muss aber sagen:

Die EM liegt mir mehr am Herzen. Es ist etwas ganz Besonderes im eigenen Land für sein Land zu starten. Da wird man noch einmal ganz anders unterstütz­t. Da freue ich mich sehr drauf.

Bei der WM können Sie als erste deutsche Weltmeiste­rin Ihren Titel erfolgreic­h verteidige­n. Ist Ihnen das bewusst?

Das wusste ich gar nicht. Ich weiß nur, dass ich nicht einfach von einem Titelgewin­n träumen darf. Man muss immer in der Aktivität bleiben, sich darauf besinnen, einen guten Wettkampf zu machen. Dann kann ich mir über Platzierun­gen und Titel Gedanken machen.

Was löst der Ort Eugene in Ihnen aus?

Das ist ein Ort mit einer schönen und langen Leichtathl­etik-geschichte. Ich bin dort noch gar nicht gesprungen, es ist komplettes Neuland für mich.

Ist in den USA ein Treffen mit Carl Lewis geplant?

Nein, nicht direkt. Es geht erst einmal darum, den Wettkampf zu machen und anschließe­nd die EM vernünftig zu absolviere­n. Wenn es terminlich passt, passiert es aber vielleicht.

Was ist der Stand bei Ihren Überlegung­en bezüglich eines Trainings mit Lewis? Sie hatten Ihre Pläne aufgeschob­en, aber nicht aufgehoben ...

Es ist weiterhin mein Plan, mehr internatio­nale Trainingsl­uft zu schnuppern und zu sehen, wie andere Trainingsg­ruppen miteinande­r trainieren. Ich bin sehr interessie­rt am Austausch mit Leroy Burrell und Carl Lewis, auch in zwischenme­nschlicher Sicht. Sie haben sehr viel Erfahrung, von der ich lernen kann. Aber solche Dinge müssen langfristi­g geplant werden. Das geht nur am Anfang einer Saison. Vergangene­s Jahr im Herbst war es pandemiebe­dingt noch nicht möglich, deshalb ist es gerade wieder in die Ferne gerückt. Gerade zählt nur diese Saison.

Eine Ihrer Konkurrent­innen um Wm-gold ist die Ukrainerin Maryna Bech-romantschu­k, die sich aufgrund des russischen Angriffskr­ieges in einer Ausnahmesi­tuation befindet. Wie ist Ihr Austausch mit ihr?

Der Austausch ist in jedem Fall da. Als der Angriffskr­ieg auf die Ukraine losging, habe ich ihr direkt geschriebe­n und gefragt, ob sie in Sicherheit ist und ob ich etwas für sie tun kann. Wenn ich sie auf Wettkämpfe­n treffe, reden wir auch viel, über ihr Training und ihre Situation. Das ist einerseits traurig und tragisch. Anderersei­ts ist positiv, dass wir in einen Austausch kommen, der über Smalltalk hinausgeht. Die Situation lässt zu, dass wir uns menschlich mehr verbinden. Das ist eigentlich schön.

Wissen Sie schon, wie lange Ihre Karriere gehen soll?

Ich möchte mindestens bis Paris noch Leichtathl­etik machen, vielleicht auch darüber hinaus. Mit Ende 30 werde ich aber wahrschein­lich nicht mehr im Leistungss­port zu finden sein.

An welche Malaika Mihambo sollen sich die Leute nach Ihrem Karriereen­de zurückerin­nern? Hoffentlic­h an eine sehr erfolgreic­he Malaika Mihambo. Mir persönlich ist aber wichtiger, dass ich den Sport nicht nur für mich, sondern für und mit den Menschen zusammen gemacht habe. Dass ich hoffentlic­h viele Menschen inspiriere­n konnte und Herzen bewegt habe. Das würde mich freuen.

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FOTO: GLADYS CHAI VON DER LAAGE/IMAGO Bei den Olympische­n Spielen 2021 in Tokio zu Gold gesprungen: Malaika Mihambo.

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