Schwäbische Zeitung (Bad Waldsee / Aulendorf)
„Wie weit kann ich überhaupt springen?“
Olympiasiegerin Malaika Mihambo über Training, Motivation und Titelverteidigung
(SID) Malaika Mihambo ist Europameisterin, Weltmeisterin und Olympiasiegerin. Mehr geht nicht, Mihambo hat alles erreicht, Druck kennt die 28Jährige nicht mehr. Und doch ist ihre Motiviation vor der Weltmeisterschaft ab Freitag in den USA ungebrochen. Warum das so ist, erklärt sie im großen Interview vor den Titelkämpfen in Eugene.
Frau Mihambo, wie lebt es sich als Olympiasiegerin?
Ich bin froh, dass sich für mich über die vergangenen Monate sehr wenig verändert hat. Mein Selbstwert hängt nicht davon ab, ob ich Olympiasiegerin bin oder nicht. Ich mag mich auf die gleiche Art, unabhängig davon, welche Leistung ich erbringe.
Sie blicken gern über den Tellerrand, mögen Entschleunigung, lieben das Reisen. Welche Rolle spielen solche Dinge für Ihre sportliche Leistung?
Mir ist die Entschleunigung sehr wichtig. Um Höchstleistungen zu bringen, muss ich zum einen in einem ausgeglichenen Zustand sein. Zum anderen muss ich mich gut erholen können. Dabei hilft mir die Meditation sehr viel. Aber auch über den Tellerrand hinauszublicken und etwas von der Welt zu sehen, etwas von der Welt zu erleben.
Sie haben alle großen Titel einmal gewonnen. Was treibt Sie im täglichen Training noch an?
Meine Motivation liegt schon lange abseits des Sportplatzes: bei meiner persönlichen Weiterentwicklung sowie dem Messen meines Körpers und meines Geistes. Das eigene Selbstbild und die eigene Identifikation sollten nicht von äußeren Dingen abhängen, man muss bei sich bleiben. Und mich treibt nach wie vor die Frage an: Wie weit kann ich überhaupt springen?
Zum Beispiel 7,48 m, die immer noch bestehende deutsche Bestmarke von Heike Drechsler?
Zum Beispiel, genau. Ich muss aber sagen, dass ich mich wenig mit dem deutschen Rekord oder dem Weltrekord befasse. Meine Bestleistung von 7,30 m war in den 2000ern schon außergewöhnlich. Aber gleichzeitig sind im Weitsprung 20 Zentimeter noch eine Welt. Ich möchte mein Niveau zunächst im oberen 7-Meterbereich stabilisieren.
Nach Ihren 7,09 m zum Saisonstart sagten Sie: „Ich fühle mich so gut wie nie.“Muss der Konkurrenz also angst und bange sein?
„Es ist für mich sehr schön, dass ich mich wieder so gut fühle. Auch, weil ich ein, zwei Jahre hatte, in denen es in der Hinsicht nicht so gut gelaufen ist. Ich weiß aber auch, dass ich bei jedem Wettkampf aufs Neue sehr viel richtig machen muss. Ich freue mich, dass mein Anlauf endlich stabiler ist.
Ist der Anlauf der Hauptgrund für Ihre Sicherheit?
Ja, in jedem Fall. Die Anlaufgeschwindigkeit ist wieder höher, da bin ich wieder auf dem Niveau von 2019. Zudem habe ich eine größere technische Stabilität. Ich kann wieder lange und große Schritte machen und so dafür sorgen, dass der Anlauf konstant funktioniert.
Es ist ein Superjahr in der Leichtathletik mit WM in Eugene und Heim-em in München. Welches Event hat für Sie den größeren Stellenwert?
Ich kann mich auf beide Wettkämpfe sehr gut vorbereiten, weil sie trainingstechnisch gesehen einen Höhepunkt bilden. Ich muss aber sagen:
Die EM liegt mir mehr am Herzen. Es ist etwas ganz Besonderes im eigenen Land für sein Land zu starten. Da wird man noch einmal ganz anders unterstützt. Da freue ich mich sehr drauf.
Bei der WM können Sie als erste deutsche Weltmeisterin Ihren Titel erfolgreich verteidigen. Ist Ihnen das bewusst?
Das wusste ich gar nicht. Ich weiß nur, dass ich nicht einfach von einem Titelgewinn träumen darf. Man muss immer in der Aktivität bleiben, sich darauf besinnen, einen guten Wettkampf zu machen. Dann kann ich mir über Platzierungen und Titel Gedanken machen.
Was löst der Ort Eugene in Ihnen aus?
Das ist ein Ort mit einer schönen und langen Leichtathletik-geschichte. Ich bin dort noch gar nicht gesprungen, es ist komplettes Neuland für mich.
Ist in den USA ein Treffen mit Carl Lewis geplant?
Nein, nicht direkt. Es geht erst einmal darum, den Wettkampf zu machen und anschließend die EM vernünftig zu absolvieren. Wenn es terminlich passt, passiert es aber vielleicht.
Was ist der Stand bei Ihren Überlegungen bezüglich eines Trainings mit Lewis? Sie hatten Ihre Pläne aufgeschoben, aber nicht aufgehoben ...
Es ist weiterhin mein Plan, mehr internationale Trainingsluft zu schnuppern und zu sehen, wie andere Trainingsgruppen miteinander trainieren. Ich bin sehr interessiert am Austausch mit Leroy Burrell und Carl Lewis, auch in zwischenmenschlicher Sicht. Sie haben sehr viel Erfahrung, von der ich lernen kann. Aber solche Dinge müssen langfristig geplant werden. Das geht nur am Anfang einer Saison. Vergangenes Jahr im Herbst war es pandemiebedingt noch nicht möglich, deshalb ist es gerade wieder in die Ferne gerückt. Gerade zählt nur diese Saison.
Eine Ihrer Konkurrentinnen um Wm-gold ist die Ukrainerin Maryna Bech-romantschuk, die sich aufgrund des russischen Angriffskrieges in einer Ausnahmesituation befindet. Wie ist Ihr Austausch mit ihr?
Der Austausch ist in jedem Fall da. Als der Angriffskrieg auf die Ukraine losging, habe ich ihr direkt geschrieben und gefragt, ob sie in Sicherheit ist und ob ich etwas für sie tun kann. Wenn ich sie auf Wettkämpfen treffe, reden wir auch viel, über ihr Training und ihre Situation. Das ist einerseits traurig und tragisch. Andererseits ist positiv, dass wir in einen Austausch kommen, der über Smalltalk hinausgeht. Die Situation lässt zu, dass wir uns menschlich mehr verbinden. Das ist eigentlich schön.
Wissen Sie schon, wie lange Ihre Karriere gehen soll?
Ich möchte mindestens bis Paris noch Leichtathletik machen, vielleicht auch darüber hinaus. Mit Ende 30 werde ich aber wahrscheinlich nicht mehr im Leistungssport zu finden sein.
An welche Malaika Mihambo sollen sich die Leute nach Ihrem Karriereende zurückerinnern? Hoffentlich an eine sehr erfolgreiche Malaika Mihambo. Mir persönlich ist aber wichtiger, dass ich den Sport nicht nur für mich, sondern für und mit den Menschen zusammen gemacht habe. Dass ich hoffentlich viele Menschen inspirieren konnte und Herzen bewegt habe. Das würde mich freuen.