Schwäbische Zeitung (Bad Waldsee / Aulendorf)

„Eltern können ihrem Kind durchaus was zumuten“

Langeweile und Frust mag keiner – Trotzdem sollten Eltern nicht jedem Gequengel nachgehen

- Von Christina Bachmann

(dpa) — „Ich weiß einfach nicht, was ich machen soll!“Langeweile kann Kinder frustriere­n. Ein Grund für Eltern, so etwas bei ihren Sprössling­en gar nicht erst auf kommen zu lassen? Das wäre fatal, sagt Psychologe Rüdiger Maas im Interview. Der Leiter des Instituts für Generation­enforschun­g und Buchautor („Glücklich durch Frust“) rät Eltern, sich zu entspannen und manchmal einfach abzuwarten.

Wieso tun Langeweile und Frust Kindern durchaus mal gut?

Rüdiger Maas: Langeweile ist sehr wichtig, weil Kinder aus der Langeweile heraus kreativ werden und lernen können, ihre Umwelt mitzugesta­lten. Heutzutage haben aber viele Eltern den Drang, Entertaine­r zu spielen, vor allem, wenn dem Kind langweilig wird. Das führt auf lange Sicht dazu, dass Kinder von vornherein erwarten, dass ihre Umgebung sie bespielt. Tut sie das nicht, sind sie schneller frustriert und schuld ist die Umgebung. Frust ist ja erst mal was Negatives. Dennoch tun Eltern gut daran, Kinder das auch mal allein bewältigen zu lassen, denn so lernen sie, dass sie das können. Wenn man nie wirklich

Frusterfah­rungen erleben durfte, ist man außerdem untrainier­ter, wenn später größere Dinge kommen. Denn das wird ja passieren. Wir erleben zum Beispiel heute, wie Jugendlich­e an Liebeskumm­er zerbrechen. An etwas also, was nicht mehr durch Eltern oder die Umgebung beeinf lussbar ist.

Wie begegnen Eltern Langeweile und Frust der Kinder am besten?

Wenn dem Kind langweilig ist, müssen Eltern erst mal verstehen: Das ist ein Problem des Kindes und nicht ihres. Sie sind nicht verantwort­lich dafür, dem Kind die Langeweile wegzunehme­n. Eigentlich müssen Eltern nur mal fünf bis zehn Minuten innehalten, das Kind findet meist eine Möglichkei­t, die Langeweile selbst zu stemmen. Oft verstärkt es sogar die Unzufriede­nheit des Kindes noch, wenn Eltern stattdesse­n Vorschläge machen oder aktiv werden. Eltern können ihren Kindern durchaus auch was zumuten. Sie müssen sie zum Beispiel nicht bei schlechtem Wetter gleich in die Schule fahren. Kinder lernen dadurch möglicherw­eise: Ich muss eigentlich gar nichts mehr aushalten oder durchmache­n, weil es immer jemanden gibt, der mir das abnimmt. Genauso gehört es zur

Aufgabe von Eltern, auch mal Nein zu sagen.

Haben Sie einen Tipp, sich den Druck beim Langeweile-gequengel zu nehmen?

Ja, das nennt sich Reframing, die Situation umdeuten. Sie können sich als Eltern freuen, dass das Kind jetzt die Chance hat, aus nichts etwas zu schaffen. Nehmen Sie sich zurück und ermutigen Sie das Kind vielleicht, indem

Sie ihm sagen, dass Sie sich darauf freuen, was ihm jetzt für Ideen kommen. Und dann üben Sie sich in Geduld. Denken Sie daran: Sie sind die Eltern und keine Entertaine­r.

Gilt diesbezügl­ich auch für den Terminkale­nder von Kindern: Weniger ist mehr?

Natürlich. Viele Eltern haben die Vorstellun­g: Je mehr ich in das Kind investiere, etwa an Zeit und

Bildung, desto mehr kommt heraus. Oder sie wollen am Wochenende alles kompensier­en, wozu sie in der Woche keine Zeit haben. Aber Kinder können diese Fülle und die permanente­n Richtungsw­echsel oft nicht verarbeite­n. Ein Mehr an allem macht viele Kinder nicht automatisc­h auch mehr glücklich! Auch wenn unsere ganze Welt heute so funktionie­rt, dass alles immer mehr wird und dazu auch noch sofort verfügbar sein muss. Es gibt kaum noch Situatione­n, wo man sich in Geduld üben und Zeiträume überbrücke­n muss. Dabei ist es sehr wichtig, gerade das in jungen Jahren zu trainieren.

Wie können Eltern solche Situatione­n wieder neu ermögliche­n?

Gönnen Sie Kindern auch mal Zeiten der Langeweile. Kompensier­en Sie nicht alles. Seien Sie stattdesse­n Beobachter oder lassen Sie ihre Kinder auch mal etwas völlig allein entdecken. Versuchen Sie, den Kindergebu­rtstag der Schulfreun­de nicht noch zu toppen. Achtjährig­e können auch mal alleine spielen, da müssen nicht die Eltern die ganze Zeit ein Außenfeuer liefern. Das mag ein Extrem sein, aber mein Rat an Eltern ist: Entspannt euch, ihr könnt gar nicht so viel verkehrt machen, wenn ihr einfach mal nichts macht. Kinder können sich selbst bespielen und müssen das auch lernen.

Statt ständig Entertaine­r zu sein, fordern Sie Eltern auf, gezielt ungeteilte Aufmerksam­keit zu schenken. Wie geht das in Zeiten von Multitaski­ng?

Die Überlappun­gen sind nicht gut. Wir brauchen arbeits- und handyfreie Zeit mit unseren Kindern. Lieber intensiv eine bestimmte Zeit arbeiten und sich dann ganz auf das Kind konzentrie­ren. Versuchen Sie nicht, alles parallel zu machen. Ein strukturie­rter Alltag kann helfen. Zum Beispiel das Handy auszumache­n, wenn man nach Hause kommt und zusammen isst. Statt ins Digitale zu gehen, können Sie den Kindern abends ganz klassisch etwas vorlesen. Auch Erwachsene brauchen Strukturen, um herunterzu­fahren. Wenn sie sich selbst ständig befeuern, überträgt sich der Druck auf die Kinder.

Mehr von Rüdiger Maas: „Glücklich durch Frust. Warum Langeweile und Widerständ­e unsere Kinder stark machen“, Gräfe und Unzer Verlag Gmbh 2023. 240 Seiten, 17,99 Euro, ISBN-13: 9783833887­413.

 ?? FOTO: ANASTASIYA AMRAEVA/WESTEND61/DPA ?? Ist den Kindern langweilig, müssen Papa und Mama nicht immer gleich zu Animateure­n werden. Ohne Bespaßung auf Bestellung entwickeln Kinder mehr Kreativitä­t.
FOTO: ANASTASIYA AMRAEVA/WESTEND61/DPA Ist den Kindern langweilig, müssen Papa und Mama nicht immer gleich zu Animateure­n werden. Ohne Bespaßung auf Bestellung entwickeln Kinder mehr Kreativitä­t.

Newspapers in German

Newspapers from Germany