Schwäbische Zeitung (Bad Waldsee / Aulendorf)
Was hat Wurzach, was Waldsee nicht hat?
Ein geschichtlicher Vergleich der beiden Städte
- Bad Wurzach und Bad Waldsee liegen nur 13 Kilometer auseinander. Haben sie im Mittelalter und der frühen Neuzeit auch Ähnliches durchgemacht? Schwäbische.de durfte einen Blick in die Vergangenheit beider Städte werfen, denn: Die Städte haben zwei Stadtarchive aber einen gemeinsamen Stadtarchivar – Michael Tassilo Wild ist seit fünf Jahren für beide zuständig und verrät so manch spannende Entwicklung.
Im oberen Stockwerk am Klosterhof in Bad Waldsee hat Wild sein Reich. Die sensiblen Akten lagern in Uv-resistenten Schatullen, Spezialjalousien verdunkeln den Raum und schützen zusätzlich. Licht ist Gift für alte Dokumente.
Große Zinnkrüge stehen auf den alten Holzschränken, in denen Hunderte Jahre Stadtgeschichte, fein säuberlich auf Pergament in Latein oder Althochdeutsch geschrieben, lagern.
Wild holt einen hellblauen festen Karton und legt ihn auf den Tisch, darin ein Dokument mit einer Besonderheit. Das Siegel neben der samtenen Kladde hat den Durchmesser einer gespreizten Erwachsenenhand. „Damit wollte man imponieren“, erzählt Wild. „Dieser Mercedes unter den Urkunden lag dann ganz zufällig auf dem Schreibtisch, wenn die Herren aus Waldburg zu Besuch kamen.“Auch Hunderte Jahre später gelingt dem Siegel sein Imponiergehabe hervorragend.
Vom Archivraum im Jahr 2024 direkt ins Mittelalter. Wurzach und Waldsee erhielten Ende des 13. beziehungsweise im 14. Jahrhundert das Stadtrecht, was wichtig für die Selbstbestimmung der Bürgerinnen und Bürger
war. Waldsee im Jahr 1298, Wurzach wurde 1333 zur Stadt erhoben.
Doch da hört es mit den Gemeinsamkeiten auch schon fast auf. Während Waldsee sich Stück für Stück Privilegien aneignete, die fast einer Reichsstadt würdig waren, blieb Wurzach immer unter der Fuchtel der Herren von Waldburg. Diese wohnten in Schloss Zeil, in der unmittelbaren Nachbarschaft, und hatten wenig Interesse daran, den Bürgern viele
Freiheiten einzuräumen, so Historiker Wild.
Waldsee hingegen wurde 1331 an die Habsburger verkauft, somit wurde es habsburgischer Privatbesitz und der Kaiser höchstpersönlich war zuständig – was viele Vorteile für die Waldseer hatte. Er war Stadtherr und Landesherr zugleich. Da der Kaiser keine Zeit hatte, sich um jede Kleinigkeit zu kümmern, konnte die Stadt bei vielen Dingen selbst entscheiden. „Das bedeutete Macht“, betont Wild.
Zum Beispiel darüber, wer als Bürger in der Stadt leben durfte. War ein Apotheker gebraucht, erhielt er den Bürgerstatus, im Gegensatz vielleicht zu einem Tuchweber, von dem es bereits viele gab.
Wer durch Bad Waldsees Altstadt schlendert, dem fällt das Rathaus auf. „Eins der schönsten in ganz Oberschwaben“, ist Wild überzeugt. Doch nicht nur die besondere Fassade ist ein Hingucker. Ein Teil von ihr zeigt, wie wichtig die Rechte der Bürger im Mittelalter waren. „Das ist steingewordener Bürgerstolz.“Er lässt die Worte sacken und genießt die kurze Pause. „Ein politisches Statement“, setzt er nach.
598 Jahre ist das Rathaus alt. Die sogenannte Altane, der Kunstgiebel mit dem kleinen Podest ganz oben, überragt die Fassade und ist sogar höher als das Kirchenschiff in St. Peter und das Schloss. Das Stadtbild von Wurzach hat eine ganz andere Entwicklung genommen. Dort gibt es ein Amtshaus und dazugehörige Bedienstetenhäuser. Die Gebäude entstanden, als Wurzach Residenzstadt wurde.
Der Dreißigährige Krieg war für beide Städte ein dramatischer Einschnitt. Bad Wurzach wurde dem Erdboden gleichgemacht, die Zahl an Menschen, die noch offiziell dort lebte, wird von Wild mit fast schon lächerlichen neun angegeben. Es dauerte, bis Wurzach sich berappelte. Ein Projekt – Pöblierungsprojekt – um Menschen anzulocken, wurde von den Herren von Waldburg angestoßen – mit Erfolg.
Eine weitere einschneidende Umwälzung geschah, als Napoleon Europa komplett neu ordnete. Waldsee und Wurzach wurden Teil des Königreichs Württemberg, das „gewaltsam eine neue Verwaltungsstruktur aufzog. Große Konflikte waren die Folge“, so Stadtarchivar Wild.
Die beiden Städte gehen danach laut Wild einen unterschiedlichen Weg. Waldsee wird 1807 Oberamtsstadt mit der Verwaltung vor Ort. Es gibt etwas Industrie, die Größe wird auf circa 5000 Einwohner im 19. Jahrhundert geschätzt. Nach dem zweiten Weltkrieg wächst es sehr schnell. Dabei ist sein Kern dominanter als die Ortschaften. „Waldsee ist eine alte, selbstbewusste Stadt“, sagt Wild.
Wurzach hingegen wurde durch die Württemberger zuerst dem Oberamt Waldsee und später Leutkirch zugeordnet. Auch seine Struktur unterscheidet sich von Waldsee. Die zehn Teilorte machen f lächenmäßig einen Großteil aus und Wurzach hatte nicht die Macht, die Teilorte zu dominieren. Heute ist die Gemeinde flächenmäßig die drittgrößte in Baden-württemberg, nach Stuttgart und Baiersbronn.
Doch bei einem Punkt läuft Wurzach Waldsee eindeutig den Rang ab. Die kleinere Stadt war Trendsetter in Sachen Kurbetrieb. Den Zusatz „Bad“erhielt das älteste Moorheilbad Baden Württembergs 1950. Waldsee wurde erst sechs Jahre später offiziell zum Moorheilbad.