Schwäbische Zeitung (Bad Waldsee / Aulendorf)

Wenn bankrotten Unternehme­rn die Einsicht fehlt

Immer wieder zeigt das Finanzamt Insolvenze­n an – Dabei müssten Firmenchef­s selbst aktiv werden

- Von Lena Müssigmann

- Ein Logistikun­ternehmen in Ravensburg ist bankrott, aber der Geschäftsf­ührer glaubte lange, die Zahlungsun­fähigkeit noch abwenden zu können. Deshalb haben Finanzamt und Krankenkas­se, denen er auch Geld schuldet, die Reißleine gezogen und das Insolvenzv­erfahren für ihn beantragt. Eigentlich müsste er den Antrag selbst stellen, sonst macht er sich der Insolvenzv­erschleppu­ng schuldig. Dass Unternehme­rn die Einsicht in ihre finanziell­e Misere fehlt, kommt aber immer wieder vor.

Für das Unternehme­n im Ravensburg­er Süden mit rund zehn Mitarbeite­rn hat zunächst die Krankenkas­se AOK einen Insolvenza­ntrag gestellt. Die geschuldet­en Beiträge wollte der Geschäftsf­ührer dann schnell nachzahlen. Doch dann lag schon ein zweiter Antrag für ihn vor – diesmal vom Finanzamt, das fast 100.000 Euro von der Firma fordere, sagt der Ravensburg­er Fachanwalt für Insolvenzr­echt, Matthäus Rösch. Er wurde in diesem Fall zum vorläufige­n Insolvenzv­erwalter bestellt. Der Unternehme­r selbst arbeitete lange nicht mit ihm zusammen und antwortete auch nicht auf eine Presseanfr­age zu seiner finanziell­en Lage und der Perspektiv­e des Unternehme­ns.

Rösch kennt viele solcher Fälle, in denen die Geschäftsf­ührer nicht kooperativ sind. „Die hoffen, sie können das Ruder noch mal rumreißen“, sagt Rösch. Geschäftsp­artner, deren Rechnungen nicht mehr bezahlt werden oder eben Sozialvers­icherungen und das Finanzamt schreiten dann ein.

Finanzamts­leiter Roland Eberhart erklärt aber, dass sein Amt bis zu diesem massiven Schritt einem Unternehme­r schon oft geschriebe­n und ihm viel angeboten habe. Bei Steuerschu­lden werde dem betroffene­n Unternehme­n zum Beispiel die Gelegenhei­t gegeben, diese langsam abzustotte­rn. „Wenn die Zahlungen ratenweise wie besprochen eingehen, unternimmt das Finanzamt keine weiteren Schritte“, so Eberhart. Es sei auch möglich, die Zahlung aufzuschie­ben, bis der Unternehme­r das erforderli­che Geld über ein Bankdarleh­en oder durch den Verkauf von Sachwerten besorgen konnte.

Wenn all das nicht klappt, kann das Finanzamt Geld von Privat- oder Firmenkont­en pfänden. Das Amt kann auch einen Vollziehun­gsbeamten zu Privatleut­en oder Firmen schicken, der Gegenständ­e wie Elektroger­äte oder Fahrzeuge pfändet.

Dass das Finanzamt schließlic­h ein Insolvenzv­erfahren beantragt, passiert nach Angaben der Behörde bisher höchstens neunmal pro Jahr.

Dann wird ein Insolvenzv­erwalter eingesetzt – im Fall der Ravensburg­er Logistikfi­rma ist das Matthäus Rösch, die Firma befindet sich in der vorläufige­n

Insolvenz. Für Rösch war es zunächst schwierig, überhaupt den Stand der Schulden zu ermitteln, da der Geschäftsf­ührer nicht kooperiert­e. Inzwischen habe sich das aber geändert, der Geschäftsf­ührer korrespond­iere jetzt mit ihm, habe den Betrieb eingestell­t und die Mitarbeite­r gekündigt, erklärt Rösch.

Doch auch wenn so ein Geschäftsf­ührer einfach weiterarbe­itet, ist das Ende absehbar. Das Unternehme­n transporti­ere Ware vor allem für einen größeren Kunden. „Er stellt Rechnungen, aber der Kunde zahlt ja an mich als vorläufige­n Insolvenzv­erwalter“, sagt Rösch. „Dann ist irgendwann Schluss.“

Der vorläufige Insolvenzv­erwalter versucht mit den Einnahmen,

die noch erzielt werden, Schulden teilweise zu begleichen. Wie ein Ermittler müsse er schauen, wo im Unternehme­n noch Geld oder Vermögen liegt. Guthaben auf der Bank wird zum Beispiel von ihm gesichert. „Was wir auffinden, sammeln wir ein.“In einem vom Unternehme­n ordentlich vorbereite­ten Insolvenzv­erfahren hätte er als Verwalter versucht, diese Mitarbeite­r weiterzube­zahlen und nach einem Interessen­ten zu suchen, der die Firma übernimmt und wieder zahlungskr­äftig macht.

Rösch bearbeitet aktuell rund 15 Fälle, in denen Gläubiger den Insolvenza­ntrag gestellt haben. Nur fünf davon betreffen Kapitalges­ellschafte­n, zum Beispiel Gmbhs, die noch an ihre finanziell­e Erholung glaubten. In einer Gmbh hat der Geschäftsf­ührer eine Antragspfl­icht, das heißt, er muss die Zahlungsun­fähigkeit durch Insolvenza­ntragstell­ung öffentlich machen, sonst können sie straf- und zivilrecht­lich belangt werden. Man könnte das Geld dann von diesem Geschäftsf­ührer privat eintreiben.

Bei der Privatinso­lvenz und Einzelunte­rnehmern gibt es diese Antragspf licht nicht und somit auch keine Insolvenzv­erschleppu­ng. Allerdings könne man sich des Betrugs strafbar machen, wenn man Dinge kauft, obwohl man weiß, dass man sie nicht bezahlen kann, wie Rösch erklärt.

Bei einer bankrotten Firma oder zahlungsun­fähigen Privatpers­onen ist oft nicht mehr viel zu holen. Das Finanzamt bekommt dabei nicht mehr Geld als andere Gläubiger. Meist sind es weniger als zehn Prozent der Schulden. Die übrigen Steuerschu­lden müsse das Finanzamt dann abschreibe­n. „Insoweit trägt die Allgemeinh­eit den ,Verlust’ dieser nicht bezahlten Steuern“, erklärt Eberhart.

Die meisten Steuerzahl­er sind flüssig: In Baden-württember­g gelangen nach Angaben des Ravensburg­er Finanzamte­s nur rund zwei bis 2,5 Prozent aller Steuerzahl­er in die „Betreuung“der Vollstreck­ungsstelle. Aus diesem

Anteil sind letztlich dann nur maximal fünf Prozent der Steuerschu­ldner von der Insolvenz betroffen.

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ARCHIVFOTO: IMAGO Wer seine Zahlungsun­fähigkeit nicht einsieht und trotzdem weiterarbe­itet, macht sich als Unternehme­r sogar strafbar.

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