Schwäbische Zeitung (Bad Waldsee / Aulendorf)
Wenn bankrotten Unternehmern die Einsicht fehlt
Immer wieder zeigt das Finanzamt Insolvenzen an – Dabei müssten Firmenchefs selbst aktiv werden
- Ein Logistikunternehmen in Ravensburg ist bankrott, aber der Geschäftsführer glaubte lange, die Zahlungsunfähigkeit noch abwenden zu können. Deshalb haben Finanzamt und Krankenkasse, denen er auch Geld schuldet, die Reißleine gezogen und das Insolvenzverfahren für ihn beantragt. Eigentlich müsste er den Antrag selbst stellen, sonst macht er sich der Insolvenzverschleppung schuldig. Dass Unternehmern die Einsicht in ihre finanzielle Misere fehlt, kommt aber immer wieder vor.
Für das Unternehmen im Ravensburger Süden mit rund zehn Mitarbeitern hat zunächst die Krankenkasse AOK einen Insolvenzantrag gestellt. Die geschuldeten Beiträge wollte der Geschäftsführer dann schnell nachzahlen. Doch dann lag schon ein zweiter Antrag für ihn vor – diesmal vom Finanzamt, das fast 100.000 Euro von der Firma fordere, sagt der Ravensburger Fachanwalt für Insolvenzrecht, Matthäus Rösch. Er wurde in diesem Fall zum vorläufigen Insolvenzverwalter bestellt. Der Unternehmer selbst arbeitete lange nicht mit ihm zusammen und antwortete auch nicht auf eine Presseanfrage zu seiner finanziellen Lage und der Perspektive des Unternehmens.
Rösch kennt viele solcher Fälle, in denen die Geschäftsführer nicht kooperativ sind. „Die hoffen, sie können das Ruder noch mal rumreißen“, sagt Rösch. Geschäftspartner, deren Rechnungen nicht mehr bezahlt werden oder eben Sozialversicherungen und das Finanzamt schreiten dann ein.
Finanzamtsleiter Roland Eberhart erklärt aber, dass sein Amt bis zu diesem massiven Schritt einem Unternehmer schon oft geschrieben und ihm viel angeboten habe. Bei Steuerschulden werde dem betroffenen Unternehmen zum Beispiel die Gelegenheit gegeben, diese langsam abzustottern. „Wenn die Zahlungen ratenweise wie besprochen eingehen, unternimmt das Finanzamt keine weiteren Schritte“, so Eberhart. Es sei auch möglich, die Zahlung aufzuschieben, bis der Unternehmer das erforderliche Geld über ein Bankdarlehen oder durch den Verkauf von Sachwerten besorgen konnte.
Wenn all das nicht klappt, kann das Finanzamt Geld von Privat- oder Firmenkonten pfänden. Das Amt kann auch einen Vollziehungsbeamten zu Privatleuten oder Firmen schicken, der Gegenstände wie Elektrogeräte oder Fahrzeuge pfändet.
Dass das Finanzamt schließlich ein Insolvenzverfahren beantragt, passiert nach Angaben der Behörde bisher höchstens neunmal pro Jahr.
Dann wird ein Insolvenzverwalter eingesetzt – im Fall der Ravensburger Logistikfirma ist das Matthäus Rösch, die Firma befindet sich in der vorläufigen
Insolvenz. Für Rösch war es zunächst schwierig, überhaupt den Stand der Schulden zu ermitteln, da der Geschäftsführer nicht kooperierte. Inzwischen habe sich das aber geändert, der Geschäftsführer korrespondiere jetzt mit ihm, habe den Betrieb eingestellt und die Mitarbeiter gekündigt, erklärt Rösch.
Doch auch wenn so ein Geschäftsführer einfach weiterarbeitet, ist das Ende absehbar. Das Unternehmen transportiere Ware vor allem für einen größeren Kunden. „Er stellt Rechnungen, aber der Kunde zahlt ja an mich als vorläufigen Insolvenzverwalter“, sagt Rösch. „Dann ist irgendwann Schluss.“
Der vorläufige Insolvenzverwalter versucht mit den Einnahmen,
die noch erzielt werden, Schulden teilweise zu begleichen. Wie ein Ermittler müsse er schauen, wo im Unternehmen noch Geld oder Vermögen liegt. Guthaben auf der Bank wird zum Beispiel von ihm gesichert. „Was wir auffinden, sammeln wir ein.“In einem vom Unternehmen ordentlich vorbereiteten Insolvenzverfahren hätte er als Verwalter versucht, diese Mitarbeiter weiterzubezahlen und nach einem Interessenten zu suchen, der die Firma übernimmt und wieder zahlungskräftig macht.
Rösch bearbeitet aktuell rund 15 Fälle, in denen Gläubiger den Insolvenzantrag gestellt haben. Nur fünf davon betreffen Kapitalgesellschaften, zum Beispiel Gmbhs, die noch an ihre finanzielle Erholung glaubten. In einer Gmbh hat der Geschäftsführer eine Antragspflicht, das heißt, er muss die Zahlungsunfähigkeit durch Insolvenzantragstellung öffentlich machen, sonst können sie straf- und zivilrechtlich belangt werden. Man könnte das Geld dann von diesem Geschäftsführer privat eintreiben.
Bei der Privatinsolvenz und Einzelunternehmern gibt es diese Antragspf licht nicht und somit auch keine Insolvenzverschleppung. Allerdings könne man sich des Betrugs strafbar machen, wenn man Dinge kauft, obwohl man weiß, dass man sie nicht bezahlen kann, wie Rösch erklärt.
Bei einer bankrotten Firma oder zahlungsunfähigen Privatpersonen ist oft nicht mehr viel zu holen. Das Finanzamt bekommt dabei nicht mehr Geld als andere Gläubiger. Meist sind es weniger als zehn Prozent der Schulden. Die übrigen Steuerschulden müsse das Finanzamt dann abschreiben. „Insoweit trägt die Allgemeinheit den ,Verlust’ dieser nicht bezahlten Steuern“, erklärt Eberhart.
Die meisten Steuerzahler sind flüssig: In Baden-württemberg gelangen nach Angaben des Ravensburger Finanzamtes nur rund zwei bis 2,5 Prozent aller Steuerzahler in die „Betreuung“der Vollstreckungsstelle. Aus diesem
Anteil sind letztlich dann nur maximal fünf Prozent der Steuerschuldner von der Insolvenz betroffen.