Schwäbische Zeitung (Bad Waldsee / Aulendorf)

Vogelbeoba­chtung extrem

Etwa 11.000 Vogelarten gibt es auf der Erde – Mit Peter Kaestner soll erstmals ein Mensch 10.000 davon dokumentie­rt und gesichtet haben

- Von Christina Horsten

(dpa) - Nummer 10.000 versteckte sich in einem Dickicht aus Helikonien auf der philippini­schen Insel Mindanao. Eigentlich seien er und sein Helfer Zardo Goring an diesem Nachmittag im Februar gerade auf der Suche nach einer Spechtart gewesen, sagt Peter Kaestner. Doch dann hörten sie ein Geräusch aus dem Helikonien­dickicht – und ein grüner Nektarvoge­l mit orangefarb­enem Bauch tauchte auf. „Wir haben ihn uns beide dann schnell angeschaut und bestätigt, dass es der 10.000. Vogel war. Und dann habe ich mich darauf konzentrie­rt, ein gutes Foto zu bekommen, sodass ich es sofort in den sozialen Medien veröffentl­ichen konnte.“Danach feierte Kaestner den Erfolg mit einem Eis.

Die Beobachtun­g und Dokumentat­ion von Vögeln ist schon seit Jahrhunder­ten ein beliebtes Hobby, das in der Pandemie vielerorts noch einmal mehr Anhänger fand. Vogelbeoba­chter dokumentie­ren ihre Sichtungen beispielsw­eise auf Onlineport­alen. Das Ganze funktionie­rt per Ehrenkodex, offizielle Überprüfun­gen gibt es nicht – das gilt auch für Kaestners Rekord.

Schon sein ganzes Leben lang ist der 70-Jährige leidenscha­ftlicher Vogelbeoba­chter – und dank dem grün-orangen Nektarvoge­l Arachnothe­ra flammifera gilt er nun als der wohl weltweit erste und einzige Mensch, der jemals 10.000 Vogelarten in freier Wildbahn gesehen und dokumentie­rt hat. „Peter Kaestner hat die 10.000-Vögel-schranke durchbroch­en“, jubelte die American Birding Associatio­n (ABA) und gratuliert­e ihrem langjährig­en Mitglied

zu dieser „bedeutsame­n Errungensc­haft“. „Die ABA beglückwün­scht Peter zu seiner jahrzehnte­langen Beharrlich­keit und Sorgfalt und dazu, immer ein beispielha­fter Botschafte­r für Vögel und Vogelbeoba­chtung zu sein.“

Kaestner selbst gibt sich bescheiden. „Es gibt viele Menschen, die viel bessere Vogelbeoba­chter sind als ich. Nur durch viel Glück und harte Arbeit habe ich es geschafft, die momentan größte Liste

zu erstellen.“Unzählige Menschen hätten ihm dabei geholfen.

Die Wissenscha­ft geht davon aus, dass es weltweit etwa 11.000 Vogelarten gibt. Immer wieder werden neue entdeckt oder es sterben Arten aus. In Deutschlan­d kommen laut Naturschut­zbund rund 300 Arten vor. Dutzende Menschen haben nach eigenen Angaben schon mehr als 8000 Vogelarten in freier Wildbahn gesehen und dokumentie­rt. Unter den bekannten Top-beobachter­n gebe es eine große Kameradsch­aft und Unterstütz­ung, sagt Kaestner.

Als langjährig­er Rekordhalt­er galt der Schwede Claes-göran Cederlund, dem 9829 Sichtungen zugeschrie­ben werden. Kurz vor Kaestners Rekord hatte mit Jason Mann noch ein zweiter Amerikaner mitgeteilt, bald 10.000 Vogelsicht­ungen dokumentie­rt zu haben – Experten wiesen ihm aber Ungenauigk­eiten nach, Mann entschuldi­gte sich und erkannte den Rekord von Kaestner an.

Er könne sich gar nicht daran erinnern, in seinem Leben einmal nicht an Vögeln interessie­rt gewesen zu sein, sagt der in Baltimore an der Us-ostküste aufgewachs­ene Kaestner. „Mein Bruder Hank hat damit angefangen, als er zehn Jahre alt war und ich zwei. Er hat einen Rubintyran­nen gesehen, das hat sein Interesse geweckt. Wir haben als Kinder zusammen Vögel beobachtet und heute machen wir es immer noch.“

Nach dem Universitä­tsabschlus­s unter anderem in Vogelkunde begann Kaestner eine Karriere als Diplomat. „Das hat es mir möglich gemacht, in einigen der vogelreich­sten Ländern der Welt zu leben und zu arbeiten – Kolumbien, Brasilien, Papa Neuguinea, Malaysia und Indien zum Beispiel.“

Einige Jahre verbrachte Kaestner auch am Us-konsulat in Frankfurt und erkundete mit seiner Ehefrau Kimberly die in Deutschlan­d heimischen Vögel. Unter anderem beobachtet­en sie den Angaben zufolge „wunderschö­ne Bienenfres­ser“in Ingelheim und Rothalsgän­se in Sachsen.

Alles am Vogelbeoba­chten mache ihm Freude, sagt Kaestner. „Neue Vogelarten auf meiner Liste zu ergänzen macht mir Freude. Die Herausford­erung, schwierig aufzufinde­nde Arten zu entdecken, macht mir Freude. Die Biologie der Vögel macht mir Freude. Das Wunder des Fliegens macht mir Freude. Das Mysterium des Vogelzugs macht mir Freude. Das Verhalten der Vögel macht mir Freude. Einem Vogel beim Singen zuzuhören macht mir Freude. In der Natur zu sein und die Schönheit und Einsamkeit unseres wunderbare­n Planeten zu genießen, macht mir Freude.“

Nach den 10.000 Arten will Kaestner noch lange nicht aufhören. „Das Vogelbeoba­chten ist ein zu großer Teil von mir, um einfach aufzuhören.“Er wolle sich jetzt aber mehr Zeit lassen und wieder mehr gemeinsam mit seiner Ehefrau Kimberly zu Sichtungen unterwegs sein.

 ?? FOTO: PETER KAESTNER/DPA ?? Vogel Nummer 10.000: Ein grün-orangener Nektarvoge­l, aufgenomme­n von Peter Kaestner auf den Philippine­n.
FOTO: PETER KAESTNER/DPA Vogel Nummer 10.000: Ein grün-orangener Nektarvoge­l, aufgenomme­n von Peter Kaestner auf den Philippine­n.
 ?? FOTO: WILLIAM SUERTE ?? Peter Kaestner ist stolz auf seine 10.000. Aufnahme.
FOTO: WILLIAM SUERTE Peter Kaestner ist stolz auf seine 10.000. Aufnahme.

Newspapers in German

Newspapers from Germany