Schwäbische Zeitung (Biberach)
Blatter geht
Fifa-Chef stellt Amt zur Verfügung, will aber bis zur Wahl eines Nachfolgers bleiben
(SID) - Vier Tage nach seiner Wiederwahl und mitten in der tiefsten Krise hat Fifa-Präsident Joseph S. Blatter persönliche Konsequenzen gezogen und ist am Dienstagabend zurückgetreten.
Der 79-jährige Schweizer stellt sein Amt für Neuwahlen bei einem außerordentlichen Kongress des Fußball-Weltverbands zur Verfügung. „Ich will nur das Beste für die Fifa und den Fußball“, sagte der sichtlich mitgenommene Schweizer bei einer Pressekonferenz in Zürich am Dienstag. „Ich bin so sehr mit der Fifa und ihren Interessen verbunden. Ich möchte mich bei allen Unterstützern und Wegbegleitern bedanken“, sagte Blatter, der 17 Jahre Fifa-Boss war, und verließ den Saal, ohne Nachfragen zuzulassen.
Vor Blatters Erklärung war bekanntgeworden, dass sein Vertrauter, Generalsekretär Jérôme Valcke, ins Visier der Ermittler geraten sei.
Die Neuwahlen werden voraussichtlich zwischen Dezember 2015 und März 2016 abgehalten, bis dahin bleibt Blatter entgegen einer ursprünglichen Fifa-Mitteilung im Amt. Domenico Scala, Vorsitzender der Kontrollkommission, wurde von Blatter noch mit der Leitung eines „signifikanten“Reformprogramms beauftragt.
Blatters Ankündigung trifft die Fifa bis ins Mark. Die Fifa steht weltweit massiv in der Kritik – allen voran Blatter, der trotz allem am vergangenen Freitag in seine fünfte Amtszeit bestätigt worden war.
Blatters Gegner kommen vor allem aus Europa. Die Führungsriege der Europäischen Fußball-Union (Uefa), darunter auch DFB-Präsident Wolfgang Niersbach (64), hatte dem Fifa-Präsidenten in den Tagen vor der Wahl wiederholt den Rücktritt nahegelegt. Niersbach bezeichnete es mam Dienstagabend als ausgesprochen tragisch, dass Blatter diese Entwicklung nicht allen Beteiligten erspart hätte.
„Es war eine schwierige Entscheidung, eine mutige Entscheidung und die richtige Entscheidung“, sagte Michel Platini, der zwar im März als Uefa-Präsident bestätigt worden war, nun aber wieder in den Kandidatenkreis rücken wird.
Bundesaußenminister FrankWalter Steinmeier erklärte: „Die Diskrepanz zwischen den Funktionären und Fans war noch nie so groß wie jetzt. Dunkle Machenschaften und Geldgier auf der einen Seite,und Einsatz und Herzblut von Menschen, die sich gemeinnützig einsetzen, auf der anderen Seite.“Und Franz Beckenbauer, Ehrenspielführer des DFB, sagte: „Es war eine vernünftige Entscheidung von Sepp Blatter. Der Druck wurde zu groß. Er wäre nie mehr zur Ruhe gekommen, ob er Schuld an den Skandalen trägt oder nicht.“
Vor einer Woche waren kurz vor dem Fifa-Kongress sieben hochrangige Funktionäre verhaftet worden.. Die US- sowie die Schweizer Behörden setzten die Fifa mit zwei Untersuchungen enorm unter Druck. In den USA werden insgesamt 14 Personen in einer 161-seitigen Anklageschrift schwer belastet.
(dpa) - Nur Momente nach der sensationellen Rücktrittsankündigung von Joseph Blatter veröffentlichten die englischen Buchmacher schon die ersten Quoten für die möglichen Nachfolger. Ganz oben auf dieser Liste der Kandidaten für den neuen Fifa-Präsidenten: Michel Platini, Chef der Europäischen FußballUnion Uefa. Vor der vierten Wiederwahl Blatters hatte sich der Franzose geziert, gegen den früheren Freund und heutigen Widersacher anzutreten – seine mittelfristigen Ambitionen verhehlte er aber schon vor zehn Monaten nicht: „Es ist noch nicht an der Zeit, etwas anderes zu tun.“
Doch eine weltweite Unterstützung für den Blatter-kritischen Platini erscheint zumindest zum derzeitigen Zeitpunkt eher fraglich. Aber auch wenn der kürzlich als UefaBoss wiedergewählte frühere Weltstar sich erst in vier Jahren zu einem Anlauf entschließen sollte, stünden wohl ausreichend Bewerber um das höchste Amt im Weltfußball bereit. Die gegen Blatter unterlegenen Prinz Ali bin al-Hussein aus Jordanien und der Niederländer Michael van Praag erklärten schon am Dienstagabend, dass sie sich eine erneute Kandidatur zumindest offenhalten.
Was macht Europa?
Vor dem Champions-League-Finale in Berlin am kommenden Samstag stand schon vor der überraschenden Ankündigung Blatters ein Treffen der Mitgliedsverbände der Uefa auf der Agenda, bei dem die nächsten Schritte besprochen werden sollen. „Da werde ich mich mit anderen austauschen“, kündigte van Praag an. „Dann werde ich mir meine weiteren Pläne überlegen.“
Es wird eine spannende Zeit bis frühestens im Dezember erstmals seit 1998 wieder ein anderer Mann als der 79 Jahre alte Blatter an der Spitze der Fifa stehen wird. Zwischen dem letzten Monat dieses Jahres und März 2016 soll ein außerordentlicher Wahlkongress stattfinden, erklärte Domenico Scala, Vorsitzender der Audit- und Compliance-Kommission sowie Chef des Wahlkomitees.
Eigentlich war Jeffrey Webb als Fifa-Vize und Präsident des Verbands von Mittel- und Nordamerika für die Rolle des von Blatter auserkorenen Kronprinzen gehandelt worden. Doch dass der Mann von den Kaimaninseln nicht mehr zur Verfügung steht, ist eines der Kernprobleme des scheidenden Fifa-Chefs: Webb war wie sechs andere Funktionäre vergangene Woche in Zürich auf Antrag der US-Behörden im Korruptionsskandal verhaftet worden.
Auch der Name des höchst einflussreichen Sportfunktionärs und neuen Fifa-Exekutivmitglieds Ahmad al Fahad al Sabah wurde auf den Züricher Fluren als zukünftiger FifaTop-Mann geraunt.
Bis zur Wahl will Blatter ungeachtet des größten Skandals der Fifa-Geschichte das Amt weiterführen. Mit der Unterstützung von Scala sollen noch einige Reformen umgesetzt werden: „Wir brauchen einen tief verwurzelten Strukturwandel“, sag- te der Schweizer bei seiner Statement vor wenigen Journalisten in der Fifa-Zentrale.
Dabei soll nach seiner Vorstellung die Größe des Exekutivkomitees reduziert werden. Dessen Mitglieder sollen demnach künftig von den 209 Mitgliedsstaaten gewählt werden. Zudem müssten die ExkoMitglieder von der Fifa und nicht den Konföderationen auf Integrität geprüft werden. Zudem soll die Amtszeit nicht nur für die Vertreter in der Exekutive, sondern auch für den Präsidenten beschränkt werden. Dieses Vorhaben hatte zuletzt beim Kongress 2014 noch nicht einmal eine einfache Mehrheit geschafft.