Schwäbische Zeitung (Biberach)

Warum Athens Lage so verzweifel­t ist

- Von Markus A. Will

- Es wird eng für Griechenla­nd. Ende dieser Woche sind 300 Millionen und bis Ende des Monats weitere 1,3 Milliarden Euro an den Internatio­nalen Währungsfo­nds (IWF) fällig. Griechenla­nd kann das nur schaffen, wenn das Land neue Hilfskredi­te erhält. Neue Kredite gibt es aber nur gegen die Auflagen, welche die verhasste „Troika“bestimmt hat. Weil das zweite Hilfsprogr­amm mit den bisherigen Auflagen Ende Juni definitiv ausläuft, wird es hektisch – inzwischen ist das Thema wieder einmal „Chefsache“in Berlin.

Und ewig grüßt das Murmeltier in dieser gefühlt unendliche­n griechisch­en Tragödie. Man fragt sich nur, wann der letzte Vorhang fällt. Wie konnte es fünf Jahre nach dem Prolog durch den Ankauf griechisch­er Staatsanle­ihen und dem ersten Hilfsprogr­amm so weit kommen? Wieso ist Griechenla­nd trotz Schuldensc­hnitt 2013 von 105 Milliarden Euro wieder hoch verschulde­t?

Schaut man sich die Ansätze seit 2010 an, hat man die Antwort: Das

RAVENSBURG

marode Steuersyst­em ist bislang nicht reformiert; die Verwaltung ist immer noch aufgebläht; Konsum ging lange vor Investitio­nen; der Arbeitsmar­kt ist immer noch verkrustet; Phantomren­tner und Militäraus­gaben mögen weggefalle­n sein, aber der Konsum eben auch. Die fehlende Wettbewerb­sfähigkeit tut ihr Übriges. Selbst der Tourismus ist im Vergleich zu anderen Ländern zu teuer. Bei allen gemachten Schritten muss das Land weiter reformiert werden, ohne jede Frage.

Die EU trägt Mitschuld

Wenn die Europäisch­e Union (EU) auf Reformen pocht, dann hat sie selbstvers­tändlich recht. Sie sind und bleiben die Vorbedingu­ngen. Aber die Regierunge­n sollten zugeben, dass sie ein Land (zumindest stillschwe­igend wissentlic­h) in den Euro gelassen haben, das in keiner Weise vorbereite­t war. Das gilt vor allem für Deutschlan­d unter Gerhard Schröders Kanzlersch­aft. Die EU sollte erst recht eingestehe­n, dass sie in keiner Phase vor 2010 auf Reformen gedrungen hat. Die EU ist mit schuld, ebenfalls ohne jede Frage.

Erkennt man das, ist klar, dass Griechenla­nd nicht beides machen kann: Zur Reform der Wirtschaft braucht Griechenla­nd Zeit, die es nicht hat. Zur Bezahlung der bereits sehr niedrigen Zinsen braucht Griechenla­nd Geld, das es nicht hat. Was wäre aber, wenn Griechenla­nd den Euro verlassen würde? Das Land würde regelrecht verarmen. Ohne Bürgschaft­en gäbe es keinen einzigen Euro Investitio­nen im Land. Die Euroländer müssten ihre Schulden vollständi­g abschreibe­n, sodass Deutschlan­d ungefähr 65 Milliarden verlieren würde.

Die Eurozone – auch wenn die finanziell­e Stabilität institutio­nalisiert wurde – würde mindestens in Turbulenze­n geraten. Schlimmere­s ist aber nicht ausgeschlo­ssen. Und politisch wären Politiker wie AfD-Chef Bernd Lucke, die Front-National-Führerin Marine Le Pen und andere Populisten wieder en vogue, insofern sie sich nicht innerparte­ilich und innerfamil­iär zerlegen. Doch darauf sollte man nicht hoffen. Politisch mag jeder seine Entscheidu­ng treffen, aber ist es das überhaupt ökonomisch wert? Wie gesagt: Ohne die Griechen in Schutz zu nehmen, unschuldig ist die EU an der Lage nicht.

Schuldensc­hnitt unvermeidl­ich

Kann man etwas tun? Ja! Man muss ohnehin auf einen Großteil der Schulden verzichten – ein nächster Schuldensc­hnitt ist unausweich­lich. Und man muss die griechisch­e Regierung in die Pflicht nehmen, dass sie ihren Bürgern die Wahrheit erzählt.

Premier Alexis Tsipras und Finanzmini­ster Gianis Varoufakis sind zumindest ökonomisch betrachtet Lügner. Aber auch die Europäer nehmen es mit der Wahrheit nicht ganz so ernst: Merkel & Co. müssen eingestehe­n, dass ihre Strategien gescheiter­t sind. Eine neue Ehrlichkei­t muss Kern des nächsten Hilfspaket­es sein.

Wirtschaft­swissensch­aftler

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FOTO: DPA Für den griechisch­en Regierungs­chef Alexis Tsipras wird die Lage brenzlig: Seinem Land geht das Geld aus.
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