Schwäbische Zeitung (Biberach)
Prokon-Geschädigte haben die Wahl
Der Energiekonzern EnBW will sie auszahlen, ein Verein sie zu Genossen machen
- Um die Zukunft des insolventen Windparkbetreibers Prokon hat ein spannendes Bieterduell eingesetzt. Die etwa 100 000 Gläubiger sollen bei einer Gläubigerversammlung am 2. Juli in Hamburg entscheiden, ob das Unternehmen zur Genossenschaft wird – oder an den Energiekonzern EnBW geht. Welches Modell sich auch durchsetzt: Die Kleinanleger müssen mit Verlusten rechnen. Trotzdem werden sie kräftig umworben. Wie am Montagabend in Betzenweiler (Kreis Biberach), wo der Verein „Freunde von Prokon“für die Genossenschaft wirbt.
BETZENWEILER/STUTTGART
Wende mit handgemalten Herzen
Mehr als 40 Besucher sitzen im Gasthaus „Traube“in Betzenweiler, einer 700-Einwohner-Gemeinde zwischen Bussen und Federsee. Von den Deckenbalken hängt eine große Leinwand. Daneben heißt ein Flipchart die Gäste „herzlich willkommen“. Das Herz in „herzlich“ist gemalt. Alles wirkt ein wenig handgemacht. Bodenständig. Die „Freunde von Prokon“haben alles ehrenamtlich organisiert. Es gibt sie noch, die Prokon-Idealisten. Auch nachdem Medien und Verbraucherschutz vor Anlagen des Windkraftanbieters warnten und 2014 das Insolvenzverfahren eröffnet wurde – eines der spektakulärsten der deutschen Wirtschaftsgeschichte. Für Wolfgang Siegel ist Prokon weiter „ein Unternehmen, das die Energiewende will“. Der Vereinsvorsitzende der „Freunde von Prokon“– ein älterer Herr mit kariertem Hemd und Schildkappe – steht vor einem blühenden Rapsfeld, im Hintergrund drehen sich Windräder. Mit diesen Filmbildern wird auf die Rettungspläne eingestimmt.
Siegels Ziel: „Prokon soll die größte Energiegenossenschaft Deutschlands werden.“Doch nicht alle glauben das. Zu viel Vertrauen ist verloren gegangen. „Wenn ich Genossenschaftsanteile zeichne, gehe ich erneut ein Risiko ein und verzichte erneut auf mein Geld“, meldet sich ein aufgebrachter Herr zu Wort. Prokon habe zwar „immer eine schlechte Presse“gehabt, meint ein 56-jähriger Musiker, der eigens aus Nürtingen angereist ist, sei aber „eine rich- tig gute Firma mit total sympathischen Mitarbeitern“. Über die Entscheidung, Genosse von Prokon zu werden, wolle er noch mal schlafen. Die Pläne der EnBW ernten zwar auch bei ihm wenig Sympathien: „Aber eigentlich möchte man einfach sein Geld zurück.“
Forderungen zu Krediten
Das ganze Geld zurück gibt es wohl nicht. Aber einen Teil. Die EnBW stellt 52,2 Prozent bei Auszahlung der Gläubiger in Aussicht. Die Genossenschaft soll 6,7 Prozent mehr erhalten. Dafür sollen die Anleger aber Teile ihrer Forderungen in lang laufende Kredite wandeln. Der Rest soll ausgezahlt oder in Genossenschaftsanteile getauscht werden. Das Risiko: Geht die neue Prokon pleite, sind Anteile und Kredite wohl wertlos. Die Schutzgemeinschaft der Kapitalanleger (SdK) warnt vor einer Beteiligung an der Genossenschaft.
In der modernen Stuttgarter EnBW-City sitzt Portfolioentwickler Dirk Güsewell vor Zetteln voller Zahlen. Es ist das vom Konzern durchgerechnete Genossenschaftsmodell des Insolvenzverwalters. Vieles ist rot unterstrichen. Weil die Genossenschaft enorme Kredite abstottern muss, schmilzt laut Modell über Jahre das Eigenkapital weg. Folge: Es wird nicht investiert. Windparks veralten, Umsatz schrumpft, Stellen fallen weg. „Die Zukunft der Gesellschaft wäre im Genossenschaftsmodell alles andere als einfach“, sagt Güsewell. Das EnBW-Modell sei dagegen zukunftsträchtig: „Es ist eine Chance für beide Seiten“, sagt er. Prokon würde die OnshoreWindstromleistung der EnBW mehr als verdreifachen. Der Energieriese würde viel Geld und Wissen über Strommärkte einbringen. Passt perfekt, sagt Güsewell.
Es gebe zudem kein Interesse, die Firma zu filetieren, erklärt Güsewell: „Prokon ist schlagkräftig und verfügt über eine mittelständige pragmatische Struktur. Es macht überhaupt keinen Sinn, das Unternehmen zu zerschlagen.“
Am 10. Juni lädt nun die EnBW die Gläubiger ins Ulmer Stadthaus. Ab 14 Uhr (Einlass 13:30 Uhr) will man vor allem in den Dialog kommen. Denn die EnBW kann nicht direkt auf die Gläubiger zugehen – sie hat die Adressen nicht.