Schwäbische Zeitung (Biberach)
Die Rückkehr der Müßiggänger
Experten sehen im durchgetakteten Alltag eine Gefahr für Kreativität und Gesundheit
(dpa) - Ständige Erreichbarkeit und überlaufende Mail-Postfächer – viele Menschen klagen über den Stress der modernen Arbeit. Experten sinnieren über die besten Gegenstrategien – und entmotten im Kampf gegen Burn-out einen vergessen geglaubten Begriff: die Muße.
Es ist nicht bekannt, ob Isaac Newton (1643-1727) auf seine Gravitationstheorie gekommen wäre, hätte er damals am Laptop sein MailPostfach aufgeräumt. Der Legende nach beobachtete er, wie ein Apfel in einem Garten von einem Baum plumpste. Newton fragte sich, was da passiert war und entwickelte seine bahnbrechende Theorie.
Für den Wirtschaftswissenschaftler Norbert Rohleder ist der längst verblichene Brite eine Art Kronzeuge, wenn er die moderne Arbeitswelt analysiert. Jüngst hat er den Aufsatz „Muße für Manager“veröffentlicht. Er ist nicht der einzige Experte, der
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gerade ein Loblied auf die Muße singt. Welche Auswirkungen Druck am Arbeitsplatz hat, unterstrich kürzlich eine Studie der Bertelsmann-Stiftung. Demnach legt ein Viertel der befragten Vollzeit-Beschäftigten ein zu hohes Arbeitstempo vor. 18 Prozent stoßen oft an ihre Leistungsgrenzen, 23 Prozent ma- chen keine Pausen. „Wir haben ein großes Arbeitsvolumen und gleichzeitig ist der Zeitdruck gestiegen“, sagt Rohleder. Arbeitnehmer werden von Mails überschüttet, hetzen Terminen hinterher und vermengen Arbeit mit Freizeit. „Die chronische Überbelastung führt zu nachweisbaren Fehltagen“, sagt er.
Ulrich Schnabel hat ein Buch über die Muße geschrieben („Muße. Vom Glück des Nichtstuns“). Ein Problem sei, dass sich die gesellschaftlichen Wertvorstellungen verschoben hätten. „Geprägt haben den Begriff die alten Griechen. Das Interessante: Muße-Zeiten waren damals die eigentlich wichtigen im Leben. Die Arbeit war untergeordnet, um diese Zeiten zu ermöglichen“, sagt Schnabel. „Heute ist es umgekehrt: Heute sind Muße die kleinen Erholungszeiten, die wir uns gestatten, um wieder möglichst viel leisten zu können.“
Iris Hauth ist Präsidentin der Gesellschaft für Psychiatrie und Psychotherapie, Psychosomatik und Nervenheilkunde. Sie rät, feste Zeiten zum Abschalten einzuplanen. Wesentlich sei es, Muße zu haben ohne schlechtes Gewissen: „Einfach mal entspannen, wie zum Beispiel im Grünen sitzen und die Natur auf sich wirken lassen.“Dass Zeit im Grünen nicht unbedingt vertan sein muss, weiß man ja schon seit Newton.