Schwäbische Zeitung (Biberach)
Viele Wege führen nach Compostela
„Camino de Santiago“– Dokumentation über die Freuden und Leiden der Jakobspilger
ilgern ist längst ein Massenphänomen, vornehmlich auf dem Jakobsweg. In vielen Ländern gibt es einen wie Hape Kerkeling, der seine Pilgererlebnisse niedergeschrieben und andere damit zur Nachahmung inspiriert hat. Der Dokumentarfilm „Camino de Santiago“, der nun in die Kinos kommt, zeigt einen Querschnitt vom bunten Leben auf dem Jakobsweg.
Rentner und Studenten, Gläubige und Atheisten, Sportliche und Kulturinteressierte, Gruppen und Einzelpersonen machen sich Jahr für Jahr auf den Weg Richtung Santiago de Compostela. Der typische Pilger geht immer noch zu Fuß und trägt sein Gepäck selbst. Im Nordwesten von Spanien, wo die Gebeine des Heiligen Jakob begraben sind, endet der Camino de Santiago. Wo der Weg beginnt, entscheidet jeder selbst. Mehr als 200 000 Menschen aus der ganzen Welt machen sich jährlich auf den Weg.
Ein Weg, tausend Schicksale, tausend Lebens- und Leidensgeschich- ten. Die Autoren erzählen von einem Koreaner, der sich „zum ersten Mal im Leben nicht beeilen muss“, und von einem Franzosen, der nicht gedacht hat, „dass mich ein warmer Kaffee und eine Dusche so glücklich machen können“.
Wer schon einmal gepilgert ist, erfährt nicht viel Neues und staunt nicht über „den Luxus des Zeithabens“oder „die wunderbare Gemeinschaft“. Wer allerdings schon immer wissen wollte, was am Pilgern so toll sein soll, darf sich wundern. Über einen, der sich „vom Staub des Weges reinigen lässt“und einen anderen, der beim Wandern täglich drei Säcke Müll sammelt, weil dieser Weg für ihn ein „göttlicher“ist.
Eines ist sicher: Die Schweizer Regisseure Jonas Frei und Manuel Schweizer haben nichts inszeniert, weder die schrägen Ansichten von Aussteigern noch die abendlichen Blasensalbungen in den Herbergen - und schon gar nicht die schnarchgeschwängerte Stockbettenatmosphäre. Sie haben sich auf den Weg begeben und die Menschen, die ihnen begegnet sind, erzählen lassen. Von Muskelkater und Hunger, vom Getriebensein und zur Ruhe kommen, von Glaube, Liebe und Hoffnung.
Traumhafte Landschaftsbilder und passende Musik begleiten die vielen Geschichten und Gesichter. Und machen vor allem eines deutlich: Dass Wandern nicht gleich Wandern und Pilgern etwas ganz Individuelles ist. Wann sonst, fragt eine junge Frau, hat man den Luxus, sich den ganzen Tag nur mit sich selbst zu beschäftigen? Der Film verschweigt aber nicht, dass genau das auch eine Belastung sein kann.