Schwäbische Zeitung (Biberach)
Nationalheld mit kranker Seele
Die Akte Tschaikowsky (Mi. 22.05, Arte) -
Der Komponist Peter Tschaikowsky (1840-1893) ist in Russland ein Nationalheld. Dass er homosexuell war, wird oft verschwiegen. Nicht nur in Russland ist das immer noch ein Tabu. Dieser Dokumentarfilm erzählt Tschaikowskys Geschichte als eine Art Videotagebuch, das auf Selbstaussagen des Komponisten beruht. Im Mittelpunkt stehen Tschaikowskys Beziehungen, seine Ehe, mit der er den Schein zu wahren versuchte und die auch für seine Frau zur Hölle wurde, sowie seine vielen Liebschaften mit Männern. Briefe und Tagebuchnotizen zeugen von einer zerrissenen Seele und liefern den Stoff für das Psychogramm. Angetrieben von den Analysen der Tschaikowsky-Experten schickt der Filmemacher Ralf Pleger den Komponisten auf eine Reise durch das heutige Berlin. Ob schwule Community, Verführung vorm Kamin oder ein Abstecher nach Florenz: Es entsteht eine Welt, gesehen mit Tschaikowskys Augen, durch das Objektiv seiner Handycam. Mit diesem filmischen Kunstgriff rückt die Aktualität von Tschaikowskys Schicksal in den Mittelpunkt, ebenso wie die oft verkannte Modernität seiner emotional berührenden Musik. Auch schwule Künstler wie der exzentrische Organist Cameron Carpenter kommen zu Wort. Ein interessanter Versuch, eine 150 Jahre alte menschliche Tragödie des Andersseins auf moderne Zeiten zu übertragen.