Schwäbische Zeitung (Biberach)
Rennradhelden der 1920er-Jahre
Forschungen über hiesige Radlerkultur fördern in Biberach Überraschendes zutage
BIBERACH(
sz) - Die Radfahrerkultur hat in Oberschwaben bis 1933 das sportliche und gesellschaftliche Leben wesentlich geprägt. Bis zum Verbot durch die Gleichschaltung im NS-Regime gab es zwischen Donau und Bodensee rund 150 Radfahrvereine. Da sie in unterschiedlichen Verbänden agierten, gab es auch in Biberach wie in anderen Städten bis zu drei Radlervereine. Ludwig Zimmermann, gebürtig aus Baustetten und wohnhaft in Mochenwangen, ist seit Jahren der Geschichte dieser Radfahrbewegung auf der Spur.
Die Bemühungen von Ludwig Zimmermann, Geschichtslehrer im Ruhestand, durch sein Heimatbuch den Blick auf die heute fast vergessene Epoche der Radlerkultur zu schärfen, fördern nun auch im Raum Biberach Überraschendes zutage. Zum Beispiel haben die Nachfahren des einst legendären Rennfahrers Hugo Langenstein (1901–1982) den Kontakt zum Buchautor gesucht.
Fotos, Diplome und Orden
Bei Langensteins im Ahornweg in Biberach erwartet den langjährigen Vereinsforscher wertvolles Archivgut im Untergeschoss. Zahlreiche historische Aufnahmen finden sich dort, zwei von Hugo Langenstein angelegte Alben mit weiteren Fotos und Zeitungsberichten, Diplome, Orden und Ehrenzeichen bei Meisterschaften, ein Protokollbuch und das gut erhaltene Banner der 1913 gegründeten „Concordia“, dekoriert mit dem Biberwappen und dem Radlergruß „All Heil“samt christlichem Ehrenzeichen auf der Rückseite – daran befestigt Fahnenbänder des Patenvereins Ummendorf, gewidmet zur Bannerweihe 1922.
Die älteste der Aufnahmen erinnert an das Fest der Standartenweihe des Radfahrervereins Biberach anno 1893. Am Fuße des „Gugelhupf“auf dem Gigelberg zeigt sich neben zahlreichen Festdamen die Bürgergesellschaft um den Vorstand, Verwaltungsaktuar Bayer, Kassier Straub und Schriftführer Gloz. Es ist die Zeit, als das nun moderne Niederrad die einst bestaunten Velozipeds (Hochräder) ablöste.
Radler feierten Standartenweihe
Drei Tage wurde damals groß gefeiert. Am Samstagabend, 5. August, fand im Vereinslokal „Württemberger Hof“ein Empfang statt. Der Sonntag begann um 10.30 Uhr mit einem Frühschoppenkonzert im „Biberkeller“mit der Kapelle des Feldartillerie-Regiments König Karl Nr. 13. Anschließend war Abfahrt am „Mohrenkeller“zum Rennplatz „entlang des rühmlichst bekannten Jordanbads“. Das Rennen und der durch die Stadt zurück zum „Biberkeller“führende Festkorso wurde gleichfalls von der Musik begleitet. Nach der Preisverteilung begann eine „italienische Nacht“mit brillantem Feuerwerk und Tanzvergnügen. Eine Stadtbesichtigung mit Frühschoppen im „Gasthof Hasen“und die Aus- fahrt zur zwölf Kilometer entfernten Heinrichsburg mit Alpenblick brachte den gelungenen Abschluss.
Bereits 1898 gab es in Biberach eine Radfahrhalle, auf deren Rundbahn spannende Rennprogramme über 1000 Meter für Erst- und Vereinsfahrer (vier Runden) und 2500 Meter fürs Hauptfahren (etwa zehn Runden) abgewickelt wurden. Die Startgebühren betrugen stattliche zwei beziehungsweise drei Goldmark. Welche bedeutende Rolle Biberach damals in der oberschwäbischen Radszene spielte, belegt die Tatsache, dass es am 24. Juli 1898 in dieser Radfahrhalle bei einem Delegiertentreffen zur „Neu-Organisierung des Oberschwäbischen Verbands“kam.
Einer der erfolgreichsten Fahrer war damals der Biberacher Joseph Kundrath, der Begründer des heutigen Autohauses. Dennoch bekamen um die gleiche Zeit auch in Biberach die bürgerlichen Radler Konkurrenz durch den sozialistisch geprägten Arbeiter-Radfahrer-Verein „Frisch auf“, der sein Lokal im „Wilden Mann“hatte. Durch seine kritische Haltung gegenüber den Autoritäten in Staat und Kirche und der Aufgeschlossenheit für die neuen Ideen der damals aufkommenden Jugendbewegung erhielt diese kritisch beäugte Vereinigung bald viel Zulauf aus der jungen Generation. Es gab also bereits vor dem Ersten Weltkrieg in Biberach drei untereinander konkurrierende Radfahrvereine.
Langenstein war der Schnellste
Hugo Langensteins große Stunden schlugen dann in den 1920er-Jahren. Bei 55 Starts erspurtete sich der Kolpingbruder 35 erste und zehn zweite Preise. In den Jahren 1922 bis 1926 wurde er dreimal sowohl Bezirkssieger als auch Gaumeister in Oberschwaben. Lediglich 1925 schnappte Alois Borgenheimer aus Warthausen ihm diesen Titel weg. Mit einem prächtigen Siegerkranz geehrt wurde der spätere Fliesenlegermeister Langenstein am 27. Juli 1924, als ihm der Sieg bei der Fernfahrt von Ravensburg nach Aalen gelang. Die 152 Kilometer lange Strecke schaffte er in fünf Stunden und zehn Minuten. Beim Großen Straßenpreis 1925 in München erreichte er nach 215 Kilometern trotz Raddefekt noch den siebten Platz und bei der Fernfahrt Mannheim – Freiburg über 207 Kilometer verpasste er mit Platz vier das Siegerpodest nur knapp.
Bedeutsame Funde kamen auch in Winterstettenstadt, Attenweiler und Betzenweiler ans Tageslicht. Auf einem Dachboden stieß Karin Schöntag, Mitautorin des Vereinsblatts „Der Winterstetter“, auf einen verstaubten Wäschekorb, in dem sich neben Protokollbüchern das gut erhaltene Banner des Radsportvereins „Concordia“von 1921, Wimpel, Fahnenbänder und Utensilien anderer Vereine in Augenschein nehmen ließen. Auch in Attenweiler und Betzenweiler tauchten die einstigen Banner der Radlervereine auf. In Betzenweiler erinnern nun zudem prächtige eingerahmte Siegerurkunden, handgeschriebene Diplome, an die Blütezeit der Concordia-Kultur in den 1920er-Jahren.
Auskünfte
Weitere bei Ludwig Zimmermann unter Telefon 07502/2127 oder per E-Mail an
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