Schwäbische Zeitung (Biberach)
„Ulm kann auch ohne Titel überleben“
Basketballer Per Günther über Grenzen des Erfolgs, persönliche Ziele und seine Rolle als Identifikationsfigur
- Im deutschen Profibasketball ist es durchaus üblich, dass sich die Mannschaften Jahr für Jahr fast komplett neu zusammensetzen. Ratiopharm Ulm macht da keine Ausnahme. Fast schon ein Exot ist daher Spielmacher Per Günther, der seit 2008 in Ulm unter Vertrag steht und beim Bundesligisten unlängst um zwei Jahre verlängerte. Thorsten Kern sprach mit dem 27-jährigen Nationalspieler über die Saison und das Los, sich immer wieder auf neue Mitspieler einstellen zu müssen.
ULM Platz fünf in der Hauptrunde, fünf Spiele im Play-off-Viertelfinale gegen Bonn und dann das Aus im Halbfinale gegen Bamberg. Wie fällt Ihr Fazit aus, Herr Günther?
Wenn man sich das auf dem Papier anschaut, dann würde ich sagen: Voll im Soll, es war eine erfolgreiche Saison. Perfekt wäre vielleicht der vierte Platz gewesen. Wir sind auf einem Niveau mit Bonn, und sie haben zwei Siege mehr als wir. Das können wir uns vorwerfen. Da wir die Serie aber gewonnen haben, ist das unerheblich. Von den großen drei (Bamberg, Berlin und Bayern München, die Red.) waren wir ein Stück entfernt.
War in der Hauptrunde mehr drin? Was hat im Saisonverlauf gefehlt?
Wir haben als Fünfter ein negatives Korbverhältnis. Wir haben viele Spiele gewonnen, die wir eigentlich nicht hätten gewinnen müssen. Es gab Monate, relativ früh in der Saison, in denen wir gewonnen, aber nicht gut gespielt haben. Ich kann mich erinnern, dass wir sechs Spiele in Folge gewonnen und dann in Göttingen verloren haben, da war bei uns fast Krisenstimmung. Das habe ich so auch noch nicht erlebt, dass dann Fragen kommen, ob alles in die richtige Richtung geht.
Im Halbfinale gegen Bamberg war schnell Schluss. Ein Heimsieg war drin, ist es daher ein bitteres 0:3?
Mit einem Sieg hätte es anders ausgesehen. Es wäre schön gewesen, noch ein Heimspiel zu haben. Aber vor den eigenen Fans rauszufliegen, fühlt sich nie gut an.
Kann Ratiopharm Ulm überhaupt eine Serie gegen die übermächtigen Bamberger gewinnen?
Ich weiß nicht, ob diese spezielle Ulmer Mannschaft gegen diese spezielle Bamberger Mannschaft eine Serie gewinnen kann. Aber die Bamberger hatten im Vorjahr Probleme gegen uns. Vielleicht sieht das in der neuen Saison auch wieder so aus.
Sie haben diese Saison im Schnitt 12,6 Punkte erzielt und 4,7 Assists gegeben. Sind Sie damit zufrieden?
Klar, das sind Bestwerte. Dennoch hatte auch ich im Winter eine Phase, in der es schwierig war. Es war keine einfache Saison für mich. Es gab Aspekte in meinem Spiel, mit denen ich sehr zufrieden war. Aber ich hatte auch körperliche Probleme, die ich so noch nicht kannte. Da musste ich mich erst mal dran gewöhnen. Ich war in der Vorbereitung gut drauf, dann kam die Operation am Knie. Du kommst aus der OP raus und hast gleich zwei Spiele pro Woche, da kannst du nicht einfach Grundlagentraining machen. Nach zwei, drei Monaten bin ich dann in ein kleines Loch gefallen. Das ist aber auch normal.
Sie gelten als Identifikationsfigur des Vereins. Werden die Erwartungen an Sie immer größer?
Das glaube ich nicht. Dass ich jetzt bester deutscher Scorer und Assistgeber bin, hatte man vor drei Jahren noch nicht gedacht. Im Grunde wird aber die Erwartungshaltung an die Mannschaft größer, nicht unbedingt nur an mich persönlich.
Sie haben jüngst Ihren Vertrag in Ulm um zwei weitere Jahre verlängert. Warum eigentlich?
Ich bin hier glücklich. Ich hätte zwar auch woanders unterkommen können, aber es gab jetzt nicht das riesengroße Zerren um mich. Ich muss mich jetzt nicht so mit diesen Dingen auseinandersetzen, wie es Tim Ohlbrecht machen muss. Ich habe ein super Verhältnis zu Thomas Stoll (Ulms Manager, die Red.) – und ich habe hier eine Rolle, in der ich mich sehr wohlfühle. Ich habe ein hohes Maß an Verantwortung. Wenn ich zwei, drei Wochen schlecht spiele, haben wir mitunter Probleme, Spiele zu gewinnen. Das wäre anderswo nicht so. Ich genieße es, ein Teil davon zu sein.
Per Günther
Mit dem Umzug von der Kuhberghalle in die Ratiopharm-Arena hat der Verein einen Quantensprung hingelegt. Spielt Ulm dennoch immer am oberen Limit? Ist das Halbfinale fast das Maximum?
Ich glaube, dass wir zwei Jahre lang über unserem Limit gespielt haben mit Platz zwei und drei. Es muss halt in einer Saison alles klappen. Quakenbrück ist mal Pokalsieger geworden, Oldenburg war Meister. Realität in Ulm ist, dass du Fünfter oder Sechster werden musst. Alle zwei Jahre sollte mehr drin sein. In diesem Jahr haben wir aber gegen Bamberg, Berlin, München und Oldenburg eine Bilanz von 0:12. Ab und zu solltest du zumindest zwei Heimspiele gegen die großen Mannschaften gewinnen. Das haben wir in diesem Jahr nicht geschafft.
Sie waren in Ulm schon Vizemeister und zweimal Vizepokalsieger. Kann oder muss der Standort Ulm in den kommenden fünf Jahren ei-
nen Titel gewinnen?
Ulm kann den Pokal gewinnen. Meister zu werden, wird sehr schwierig. Da musst du überragend spielen, und die Top 3 müssen in den entscheidenden Wochen im Sommer schwächeln. Da muss aber viel zusammenkommen. Der Standort Ulm kann auch ohne Titel überleben – mit attraktivem Basketball, Platz fünf oder sechs und vielleicht ab und zu dem Pokalfinale. Da würden andere Standorte schnell mit uns tauschen wollen.
Wie schwierig ist es dabei, sich Jahr für Jahr auf neue Mitspieler einzustellen? Schließlich sind Sie die einzige Konstante seit 2008.
Das ist nicht einfach, sowohl vom Spielerischen als auch vom Emotionalen her. Ich habe Mannschaften lieber gehabt, da ist es mir schwer gefallen, mich von ihnen zu trennen, und es hat Mannschaften gegeben, da war es keine große Sache. Du gehst mit zehn, elf neuen Spielern über neun Monate eine Bindung ein, erlebst Höhen und Tiefen mit ihnen. Da ist es dann schon manchmal schwierig, sich immer wieder auf etwas Neues einzulassen.
Ist es im Basketball überhaupt möglich, eine Mannschaft über Jahre zusammenzuhalten?
Ja, aber da muss man Risiken eingehen. Fakt ist, dass du sechs Ausländerpositionen hast. Wir haben Will Clyburn für zwei Jahre verpflichtet. Wenn du das noch mit zwei weiteren Positionen machst und die aber falsch besetzt sind, dann bist du zwei Jahre lang nicht auf dem Niveau, auf dem du sein möchtest. Bekommen die Spieler nur Ein-Jahres-Verträge und sind Granaten, dann kann man sie nicht weiterverpflichten.
Bei Tim Ohlbrecht, Brion Rush oder auch Clyburn ist es fraglich, ob sie in der kommenden Saison in Ulm spielen. Ian Vougioukas wird ganz sicher nicht zurückkehren. Wie schätzen Sie da die Lage ein?
Es wird wohl wieder einen Umbruch geben. Will hat sich super weiterentwickelt. Dass wir Tim für weit weniger Geld bekommen haben, als sein Marktwert hergegeben hätte, war schon ein Segen. Dass wir Ian nur geliehen haben, war klar. Das hatte ein Ablaufdatum.
„Wir haben zwei Jahre über unserem
Limit gespielt.“
Wenn Spieler wie John Bryant von Ulm nach München wechseln, verdienen sie da eher 500 Euro mehr oder doch eher 5000 Euro?
Das kann ich jetzt gar nicht an John Bryant festmachen, aber es hat sicher schon Spieler gegeben, die beim neuen Verein ihr Gehalt verdoppelt oder sogar verdreifacht haben.
Nach all den Jahren in Ulm, fühlen Sie sich da schon als Ulmer. Können Sie sich vielleicht sogar Ihre Hochzeit im Münster vorstellen?
Nein, die Hochzeitspläne sind schon gemacht, das wird in meiner Heimat Hagen sein. Aber klar ist Ulm inzwischen zu einer Art zweiten Heimat geworden. Ich freue mich immer, wenn ich nach neun Monaten das Auto packe und nach Hagen fahre. Genauso freue ich mich dann aber auch, wenn ich nach dem Sommer das Auto packe und wieder zurück nach Ulm fahre.