Schwäbische Zeitung (Biberach)
Das System Maccari
Biberacher Rechtsanwalt bereicherte sich auf Kosten anderer – Christlicher Wohnstiftkonzern fordert 160 Millionen Euro zurück
- Alles hat angefangen mit einem anonymen Brief, abgestempelt in Ravensburg am 10. Februar 2014. Ein bislang Unbekannter hatte darin nüchtern und sachlich Details offenbart, die nur ein Insider kennen konnte – einer, der nicht aus dem Augustinum stammte. Empfänger war, wie die „Süddeutsche Zeitung“schreibt, ein Aufsichtsratsmitglied des evangelischen Sozialkonzerns Augustinum, der 23 Seniorenstifte in ganz Deutschland betreibt.
Der Aufsichtsrat war alarmiert. Denn der anonyme Briefschreiber wusste von ungeheuerlichen Vorgängen zu berichten, von denen im Augustinum niemand wusste – oder zumindest niemand außer den Tatverdächtigen. Inzwischen ermittelt die Staatsanwaltschaft München I nachweislich gegen den Biberacher Kurt Wilkin, ehemaliger Geschäftsführer des Augustinum, gegen Dietmar Schwenn, einen von zwei Geschäftsführern eines kleinen norddeutschen Immobilienverwalters namens Nordic Kontor, sowie gegen Oliver Böckmann, der als Vertreter von Nordic Kontor und Mittelsmann in Erscheinung trat. Im Zentrum der Verschwörung steht aber der inzwischen verstorbene Biberacher Anwalt Artur Maccari, der bis zu seinem Tode im Januar 2014 Aufsichtsratsvorsitzender des Augustinum war. Insider sprechen von einem „System Maccari“.
RAVENSBURG
Hochangesehener Mann
Artur Maccari war zu Lebzeiten ein von vielen geachteter Mann mit hoher Reputation. Er war noch in mehr Aufsichtsräten vertreten, wie im Unternehmensbeirat der Biberacher Firma Handtmann oder auch im Gesellschafterbeirat des Medienhauses Schwäbischer Verlag GmbH & Co. KG, wurde von der Theologisch-Philosophischen Hochschule Vallendar bei Koblenz zum Ehrensenator ernannt und war Stipendiengeber für die Deutschlandstipendien an der Universität Ulm. Doch was nun Stück für Stück zu Tage tritt, wirft ein anderes Licht auf sein Leben.
Es geht um Betrug, Bestechung und Veruntreuung in Höhe von weit über 700 Millionen Euro: Dazu zählen betrügerische Immobiliengeschäfte im Wert von 662 Millionen Euro, beiseitegeschaffte Schmiergelder in Höhe von mindestens weiteren 65 Millionen Euro, ein Geflecht von Briefkastenfirmen in der Schweiz und in Deutschland, ein dubioser Immobilienmakler, der als „schick“und „mit dickem Porsche mit Schweizer Kennzeichen“beschrieben wird, teure Luxusdiners im Gesamtwert von 150 000 Euro. Um all das wurde allein schon das Augustinum betrogen. Doch die Staatsanwaltschaft und die Anwälte des evangelischen Hauses graben weiter.
Gegen alle drei noch lebenden Verdächtigen liegen Haftbefehle vor, die aber gegen strenge Auflagen ausgesetzt sind. „Bestechlichkeit im geschäftlichen Verkehr, gemeinschaftlicher Betrug, jeweils in besonders schwerem Fall und Untreue in besonders schwerem Fall“, so lauten die Verdachtsmomente gegen Schwenn und Böckmann, wie aus einem Gerichtsdokument hervorgeht, das der „Schwäbischen Zeitung“vorliegt. Kurt Wilkin saß bereits neun Monate in Untersuchungshaft und wurde Anfang Mai 2015 – vermutlich nur vorerst – wieder freigelassen.
350 Millionen Euro Schulden
Auch andere wurden betrogen. Die Witwe Artur Maccaris, Barbara Maccari, hat wegen der hohen Forderungen sogar ein Nachlassinsolvenzverfahren beantragt. Dieses läuft seit 11. März 2015. 20 Gläubiger haben sich seither bei dem Insolvenzverwalter Michael Winterhoff gemeldet. Insgesamt soll Maccari seinen Gläubigern knapp 350 Millionen Euro schulden, wie zuerst das Wochenblatt „Südfinder“, später auch die „Süddeutsche Zeitung“berichteten.
Zu den Gläubigern Maccaris zählen neben der Witwe selbst und dem Augustinum mit einer Forderung von 160 Millionen Euro auch der Bauunternehmer Schmid aus Baltringen, der das Augustinum in Meersburg gebaut hatte, oder die Schweizer Platinum Real Estate AG, bei der als Direktor Oliver Böckmann eingetragen ist. Auch die Raiffeisenbank Dellmensingen oder die Kreissparkasse Ravensburg haben noch offene Forderungen. Während Insolvenzverwalter Winterhoff nun prüft, wie viel Vermögen noch vorhanden ist und welche Forderungen überhaupt rechtens sind, sind die Staatsanwaltschaft München und die Anwälte der international anerkannten Kanzlei CMS Hasche Sigle im Auftrag des Augustinum damit befasst, ein Geflecht von Firmen und Beteiligungen, heimlichen Geldströmen und undurchsichtigen Darlehen zu durchforsten. Maccari, Wilkin und Böckmann gelten dabei als die treibenden Kräfte.
Wie die „Schwäbische Zeitung“erfuhr, bestätigte Oliver Böckmann im Frühjahr 2014 in verschiedenen Gesprächen gegenüber Vertretern des Augustinum – ohne zu wissen, dass hier die internen Untersuchungen bereits gestartet waren – Millionenzahlungen an Artur Maccari. Er
Landgericht Lübeck über den Verdacht gegen Dietmar Schwenn
und Oliver Böckmann selbst, so sagte Böckmann, habe bei den Transaktionen einen Betrag von rund 32 Millionen Euro erhalten. Die hat er offensichtlich vertragswidrig verwendet und, wie das Augustinum inzwischen weiß, zwischen den Beteiligten aufgeteilt: Böckmann selbst, dem damaligen Augustinum-Geschäftsführer Kurt Wilkin, den beiden Nordic Kontor-Geschäftsführern Dietmar Schwenn und Alexander Mayer-Groth sowie Artur Maccari.
Und das ging so: Die Gebäude von 14 der 23 Nobel-Seniorenstifte sollten in einem sogenannten Sale-andlease-back-Verfahren an eine Immobilienfirma verkauft werden und dann sofort vom Augustinum zurückgemietet werden. Das ist nicht unüblich. So spart man sich den Ärger mit der Instandhaltung der Gebäude. Doch wenn Geschäftsführer und Aufsichtsratschef unter einer Decke stecken, dann ist es schwierig, dahinter zu kommen, wenn etwas in den Verträgen nicht stimmt. Und hier stimmte einiges nicht. Die Gebäude wurden deutlich unter Wert verkauft und besonders pikant: Der Kaufpreis im Gesamtwert von 662 Millionen Euro wurde Nordic Kontor, die mit einem bescheidenen Eigenkapital von 25 000 Euro in den Büchern steht, vom Augustinum als Darlehen zur Verfügung gestellt. Die Zinsen sollten dann aus den Mieteinnahmen, die ebenfalls das Augustnium an Nordic Kontor zahlte, bedient werden.
„Darlehen“ist ein beliebtes Wort
Geschickt eingefädelt, in getrennt laufenden Notarterminen zur Unterschrift vorgelegt, flossen bei einem Großteil der Verkäufe der betroffenen Wohnstifte, zu denen auch das Augustinum Überlingen am Boden- see sowie das Augustinum StuttgartSillenbuch zählten, jeweils zwischen fünf und acht Millionen Euro an sogenannten Investitionskosten-Darlehen an einen Schweizer Treuhänder – „zur Absicherung“, wie Maccari und Wilkin gegenüber dem Konzernchef des Augustinum, Markus Rückert, und dem Aufsichtsrat erklärten. Dieser Schweizer Treuhänder war die Pilatus AG, ein Unternehmen, das Oliver Böckmann zuzu- schreiben ist. Insgesamt summieren sich diese „Investitionskosten-Darlehen“auf gut 65 Millionen Euro. „Darlehen“ist ein beliebtes Wort bei korrupten Geschäftsleuten.
Wie die Anwälte von CMS Hasche Sigle ermitteln konnten, gingen von dieser Pilatus AG Zahlungen an den Käufer der Wohnstift-Immobilien: Nordic Kontor. Doch als man dort die Konten überprüfte, war das Geld bis auf 400 Euro verschwunden. Insgesamt weitere 2,4 bis 2,8 Millionen Euro landeten in den Taschen Maccaris und Wilkins. Böckmann überwies das Geld an verschiedene andere Firmen, die zum Geflecht zählten, wie zum Beispiel an die Pontius Investment AG, oder die Platinum Real Estate AG (PRE AG). Maccari hat demnach Anwaltsberatungshonorare über Millionenbeträge bei der PRE AG in Rechnung gestellt. Dabei war die PRE AG nie Klient bei seiner Anwaltskanzlei „Maccari und Partner“gewesen.
Zwei weitere Millionen Euro hat Maccari direkt vom Augustinum überwiesen bekommen und offensichtlich veruntreut. Das Augustinum überwies das Geld an Maccaris Kanzlei, damit eine Rechnung des Bauunternehmers Schmid für das Bauvorhaben Meersburg beglichen werden konnte. Doch vor einem Jahr habe Schmid nach dem Verbleib dieser zwei Millionen Euro beim Augustinum nachgefragt. Diese seien nie bei ihm angekommen. Die Anwälte forschten nach. Die Witwe Maccari habe behauptet, das Geld sei wohl auf ein Kanzleikonto eingegangen und nicht bei ihr. Doch dort wusste auch niemand von dem Verbleib des Geldes. Wie sich zeigte, ging das Geld auch nicht an die Kanzlei „Maccari und Partner“, sondern an „Maccari und Kollegen“– ein Unternehmen, das es gar nicht gibt. Die verschwundenen zwei Millionen sind inzwischen Teil der 160 Millionen Euro, die das Augustinum vom Nachlass Maccaris zurückfordert.
Den richtig großen Reibach wollten Böckmann, Maccari und Wilkin laut „Süddeutscher Zeitung“aber erst noch machen. Und zwar, indem sie die 14 Wohnstifte an das seriöse Immobilienhaus GWG zu einem angemessenen Preis veräußerten – die 662 Millionen für die 14 Wohnstifte waren nämlich laut Augustinum weit unter Wert veranschlagt gewesen. Mehr als 200 Millionen hätten dabei für die privaten Taschen der mutmaßlichen Betrüger herausspringen sollen, wird vermutet. Doch dazu kam es nicht mehr.
Auf dem Rücken der Senioren
Stück für Stück kommen die vielen dunklen Geschäfte ans Licht, die offenbar einer haltlosen Gier zuzuschreiben sind. Die beiden Geschäftsführer von Nordic Kontor
„Bestechlichkeit im geschäftlichen
Verkehr, gemeinschaftlicher Betrug, jeweils in besonders schwerem Fall und Untreue in besonders schwerem
Fall.“
trieben es jedoch noch weiter. Anfang 2015 drohten sie mit der Räumung des Wohnstifts Aumühle in Hamburg. Der Vorwurf in der Räumungsklageschrift, anhängig beim Gericht Lübeck: Das Augustinum sei im Verzug mit den Mietzahlungen.
Seit Herbst 2014 zahlt das Augustinum tatsächlich keine Miete mehr an Nordic Kontor – und zwar nicht nur für Aumühle, sondern auch für die übrigen 13 Wohnstifte. Der Grund: Durch Betrug erworbene Immobilien gehören einem nicht. Deshalb hat der Sozialkonzern Rückauflassungsverfahren an elf Landgerichten in ganz Deutschland für seine Wohnstifte veranlasst. Sobald die Staatsanwaltschaft München die Vorgänge in einem Prozess offengelegt hat und es zu einer Anklage und Verurteilung der mutmaßlichen Betrüger gekommen ist, können die Grundstücke wieder an das Augustinum zurückübertragen werden. Mit der Räumungsklage plante Dietmar Schwenn von Nordic Kontor offenbar, die Bewohner des Seniorenwohnheims gegen das Augustinum aufzubringen und somit Druck zu machen. Doch das Gericht in Lübeck will das Strafverfahren gegen Schwenn und Böckmann (Az. 401 Js 160054/14) abwarten. Bis dahin ist die Räumungsklage ausgesetzt. In Anwaltskreisen rechnet man mit einer Anklageerhebung noch in diesem Sommer. Der Prozess könnte dann im Herbst beginnen.