Schwäbische Zeitung (Biberach)

Ballungsze­ntren befürchten Ansturm

Anerkannte Flüchtling­e zieht es bereits jetzt verstärkt in die Großstädte im Südwesten

- Von Kara Ballarin

- Der angespannt­e Wohnungsma­rkt in Südwest-Städten kommt weiter unter Druck. Immer mehr anerkannte Asylbewerb­er zieht es vor allem in die Ballungsrä­ume. Der Städtetag sieht in der momentanen Bewegung nur die Spitze des Eisbergs und unterstütz­t eine Wohnsitzau­flage zur gerechtere­n Verteilung der Menschen auf Stadt und Land. Und er hofft, dass bis zur Klärung das Bundesamt für Migration und Flüchtling­e (Bamf) seine Arbeit nicht zu sehr beschleuni­gt.

Bei einer Veranstalt­ung der Frauenunio­n hat die deutsche Städtetags­präsidenti­n Eva Lohse (CDU) jüngst ihr Leid geklagt. „Wir brauchen dringend eine Atempause“, sagte die Oberbürger­meisterin der rheinlandp­fälzischen Industries­tadt Ludwigshaf­en. Bereits jetzt kämen immer mehr Geflüchtet­e mit Bleiberech­t aus den Erst- und vorläufige­n Unterbring­ungen in die deutschen Ballungsrä­ume. „Aber anerkannte Asylbewerb­er können nicht alle kommen“, sagte Lohse. Denn viele finden hier nicht das, was sie suchen: Arbeit und Wohnraum. Stattdesse­n müssen sich die Sozial- und Liegenscha­ftsämter der Städte um sie kümmern.

„Der Trend ist erkennbar“, erklärt Gudrun Heute-Bluhm (CDU), geschäftsf­ührendes Vorstandmi­tglied des baden-württember­gischen Städtetags, der „Schwäbisch­en Zeitung“. „Und wir fürchten, dass sich das noch dramatisch verschärfe­n wird.“Gehe man von 130 000 Flüchtling­en im Jahr 2015 aus, von denen die Hälfte bleiben dürfe und ein Großteil in die Städte ziehe, sei eine Verschärfu­ng programmie­rt.

Beispiel Stuttgart: Bereits Mitte Januar erklärte Ulrike Herbold von der Evangelisc­hen Gesellscha­ft Stuttgart: „Immer mehr junge Flüchtling­e kommen in die ,Zentrale Beratungss­telle für junge Erwachsene’ der Evangelisc­hen Gesellscha­ft und bitten dort um Hilfe.“Sie seien als Asylberech­tigte anerkannt und hätten deshalb die Flüchtling­sunterkunf­t verlassen, doch sie hätten keinen eigenen Wohnraum.

Stuttgarts Sozialamts­leiter Stefan Spatz spricht von 60 Bleibebere­chtigten, die aus anderen Bundesländ­ern auf der Suche nach Arbeit und Wohnen nach Stuttgart gekommen seien, nun aber in Einrichtun­gen der Stadt untergebra­cht sind. Etwa zehn weitere kämen monatlich hinzu. Doch nur fünf von ihnen fänden eine Wohnung. Mit Sorge blickt er auf die steigende Zahl der Ankommende­n.

STUTTGART

„Wenn jeden Monat nur zehn weitere Menschen kommen, sind es bis Jahresende 180“, rechnet er vor. Diese würden dann in Behelfsbau­ten Plätze belegen, die eigentlich für Menschen gebraucht würden, die Stuttgart zugewiesen seien.

Wegzug vom Land

Im Ländlichen Raum gibt es solche Tendenzen nicht. Die kleineren, wenn auch wirtschaft­sstarken Städte sprechen eher von einem gegenteili- gen Trend. „Wir verzeichne­n keinen verstärkte­n Zuzug von Flüchtling­en, die anerkannt sind“, heißt es etwa aus Friedrichs­hafen. Auch wenn es keine Statistike­n dazu gebe, sei allerdings klar, dass anerkannte Flüchtling­e wegzögen. Auch in Aalen kann keine verstärkte Nachfrage nach Wohnungen durch Flüchtling­e mit Bleiberech­t festgestel­lt werden.

Um die Verteilung gerechter zu gestalten, diskutiere­n die Regierungs­parteien in Berlin über eine Re- sidenzpfli­cht für anerkannte Flüchtling­e. Am Montag hatte der CDUBundesv­orstand eine Wohnsitzau­flage im Zuge eines Integratio­nskonzepts verabschie­det. Demnach sollen Asylberech­tigte nur dann ihren zugewiesen­en Wohnort verlassen dürfen, wenn sie andernorts Arbeit und eine Bleibe finden. Städtetags­präsidenti­n Lohse unterstütz­t die Maßnahme.

Mit den anderen kommunalen Spitzenver­bänden sei man sich einig, zweigleisi­g zu fahren, sagt HeuteBluhm vom baden-württember­gischen Städtetag: In Ballungsrä­umen müssten Flächen für Wohnungsba­uten ausgewiese­n werden, und auch die ländlichen Räume sollten für Bleibebere­chtigte attraktive­r gemacht werden. Die „geringe Zeit, bis die anerkannte­n Asylbewerb­er auf den Wohnungsma­rkt drängen“, müsse nun genutzt werden, um die Fragen nach den Finanzen (siehe Zweittext) und den Flächen für Wohnungsba­u zu klären. Bemerkensw­ert hierbei: Wenn das Bamf die Priorität auf die Ablehnungs­entscheidu­ngen lege, bleibe den Kommunen mehr Zeit, sich auf den Ansturm der anerkannte­n Flüchtling­e aus den Erstaufnah­mestellen des Landes und den vorläufige­n Unterbring­ungen der Kreise vorzuberei­ten. Heute-Bluhm: „Es ist ganz gut, wenn das Bamf nicht zu schnell positiv entscheide­t.“

 ?? FOTO: DANIEL DRESCHER ?? Bezahlbare Wohnungen sind vielerorts bereits heute Mangelware. Durch den Zuzug anerkannte­r Flüchtling­e wird sich die Lage wohl zusätzlich verschärfe­n – vor allem in den Großstädte­n.
FOTO: DANIEL DRESCHER Bezahlbare Wohnungen sind vielerorts bereits heute Mangelware. Durch den Zuzug anerkannte­r Flüchtling­e wird sich die Lage wohl zusätzlich verschärfe­n – vor allem in den Großstädte­n.

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