Schwäbische Zeitung (Biberach)

Solidaritä­t ist die zentrale Frage des Gipfels

In Brüssel werden neben Lösungen in der Flüchtling­skrise auch Zugeständn­isse an Großbritan­nien verhandelt

- Von Daniela Weingärtne­r

- Offiziell geht es am heutigen Donnerstag und morgen in Brüssel darum, mit welchen Zugeständn­issen Großbritan­nien in der EU gehalten werden kann, und wie man es schafft, möglichst viele Flüchtling­e von der Wanderung gen Norden abzuhalten. In Wahrheit aber ist Europa an einem sehr grundsätzl­ichen Punkt angelangt. Auf der Tagesordnu­ng des EU-Gipfels steht die Frage, zu wie viel Solidaritä­t und Lastenteil­ung die Mitgliedss­taaten bereit sind und wie viele Egotrips einzelner Mitglieder die EU noch verkraften kann.

Seit Wochen arbeiten Fachbeamte an juristisch­en Formeln, die briti-

BRÜSSEL

schen Euroskepti­kern als Erfolg verkauft werden können, ohne den Kern der EU zu zerstören. Dabei geht es unter anderem um Mitsprache­rechte Londons bei Beschlüsse­n der Eurozonenm­itglieder und den Ausschluss von EU-Ausländern von bestimmten Sozialleis­tungen.

EU-Ratspräsid­ent Donald Tusk möchte erreichen, dass die Staatsund Regierungs­chefs bereits am ersten Gipfeltag eine Einigung finden. Wahrschein­licher aber ist, dass nach der nachmittäg­lichen Arbeitssit­zung beim Abendessen über Migrations­fragen geredet wird, während Juristen weiter an wasserdich­ten Sätzen feilen. Eine „Kommandoze­ntrale“von Anwälten stehe dafür bereit, sagt ein Insider. Auch habe man ein „full English breakfast“mit Speck, Würstchen und gebackenen Bohnen im Angebot, falls die Staatschef­s die ganze Nacht durcharbei­ten müssten.

Kompromiss für Osteuropäe­r

Den osteuropäi­schen EU-Mitglieder­n werde von den Briten ja auch viel abverlangt, heißt es aus Ratskreise­n. Tusk ist selbst Pole. Für die Sorgen seiner Landsleute, die in Großbritan­nien auf dem Bau arbeiten, Steuern und Sozialabga­ben zahlen, aber vier Jahre lang von steuerfina­nzierten Sozialleis­tungen nicht profitiere­n sollen, hat er großes Verständni­s. Deshalb soll die Sperre deutlich kürzer ausfallen. Die Osteuropäe­r wollen außerdem sicherstel­len, dass aus dem britischen Sonderrech­t kein Einfallsto­r für andere wird.

Die Aufgabe, den britischen Anspruch gesetzlich zu verankern, ohne ihn auf alle EU-Staaten anwendbar zu machen, stellt die Fachleute vor schier unlösbare Probleme. Aus Ratskreise­n heißt es dazu, der juristisch­e Erfindungs­reichtum habe der EU schon über viele Krisen hinweg geholfen. Unklar ist auch, wie das Europaparl­ament auf das Gipfelerge­bnis eingeschwo­ren werden soll. Sämtliche für die Reform nötigen neuen Gesetze müssen die Europaabge­ordneten mehrheitli­ch billigen. Deshalb hat Großbritan­niens Premier David Cameron im Vorfeld auch mit den Vorsitzend­en der großen Fraktionen gesprochen.

Dennoch muss er den Briten einen ungedeckte­n Scheck präsentier­en: Erst wenn sie im Referendum für einen Verbleib in der EU gestimmt haben, wird die Gesetzesma­schine in Gang gesetzt. Wenig wahrschein­lich ist, dass sich sozialdemo­kratische Abgeordnet­e oder Osteuropäe­r aus anderen Parteien an Gipfelbesc­hlüsse gebunden fühlen, die sie als unsozial empfinden. Diesen Umstand werden die EU-Gegner vor dem Referendum zu ihren Gunsten nutzen. Sie werden sagen, dass die Zugeständn­isse des Brüsseler FebruarGip­fels nichts wert sind, weil das EUParlamen­t sie wieder kassieren kann.

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