Schwäbische Zeitung (Biberach)
Hoffnungsschimmer für Bosnien
ie Europäische Union hat den Beitrittsantrag BosnienHerzegowinas nicht aus dem Grund akzeptiert, weil das Land reif dafür wäre. Sondern weil es Europa verloren zu gehen droht. Die Übergabe des Antrags am Montag in Brüssel nannte Erweiterungskommissar Johannes Hahn zwar diplomatisch „einen großen Tag für Bosnien-Herzegowina“. Viel mehr Gewicht hat indes der Zusatz: „Aber es ist erst der Beginn einer langen Reise.“
Vorläufig kann Bosnien-Herzegowina wenig vorweisen, was einen Beitrittskandidaten auszeichnet. Mehr als zwei Jahrzehnte nach Kriegsende ist die ethnische Spaltung tiefer statt geringer geworden. Die politischen Parteien üben sich in Reformverweigerung, wechselseitigen machttaktischen Blockaden und im Korruptionssumpf. Die Wirtschaft lahmt, Kredite des Währungsfonds (IWF) und EU-Zuschüsse halten den Staat über Wasser.
Und doch hat Brüssel den Beitrittsantrag angenommen, er soll jetzt die Politiker unter Reformdruck setzen und der lethargisch gewordenen Bevölkerung einen Hoffnungsschimmer geben. Doch bei 420 Euro monatlichem Durchschnittslohn, über 30 Prozent Arbeitslosigkeit und parteipolitischer Abhängigkeit denken viele Bosnier ans Auswandern.
Perspektive Europa
In einem offenen Brief warnte eine Gruppe von Intellektuellen die Politiker, die Perspektive Europa nicht zu verspielen. Man solle endlich aufhören „mit der Politisierung und Monopolisierung“von Parlament, Verwaltung und Justiz und die nötigen Reformen umsetzen. Andernfalls werde das Land noch weiter „in eine wirtschaftliche und soziale Misere getrieben“.
Diese düstere Aussicht dürfte für die EU einer der wichtigsten Beweggründe gewesen sein, die Beitrittsperspektive trotz widrigster Umstände zu eröffnen. Das Land droht nämlich an seinen ethnischen Bruchstellen zu zerreißen, wobei die tektonischen Kräfte verstärkt von außen kommen.
So zeigt die Türkei ein auffälliges Investitionsinteresse am muslimischen Teil Bosniens. Dessen Anführer Bakir Izetbegovic ist ein gern gesehener Gast im Palast des türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan. Zudem gibt es in letzter Zeit vermehrt Anzeichen, dass die arabische Terrormiliz „Islamischer Staat“Bosnien als europäischen Brückenkopf im Visier hat. Ganze Dörfer werden von radikalen Islamisten aufgekauft; als logistische Basen für Terroranschläge in Europa.
Stark gewachsen ist auch das strategische Interesse Russlands am Balkan, dazu zählt der serbische Teil Bosniens, die Republika Srpska (RS). Präsident Wladimir Putin schielt nach Stützpunkten in Europa. Gebannt blickt die Welt auf den SyrienKrieg, wo sich die Türkei und Russland als Kriegsparteien immer mehr ins Gehege kommen. Dass beide Mächte auch in Bosnien-Herzegowina ihre Interessen ausfechten, ist noch kaum ins europäische Bewusstsein gedrungen, obwohl die Gefahr stetig wächst, dass das Balkanland Europa verloren gehen könnte.