Schwäbische Zeitung (Biberach)

Hoffnungss­chimmer für Bosnien

- Von Rudolf Gruber

ie Europäisch­e Union hat den Beitrittsa­ntrag BosnienHer­zegowinas nicht aus dem Grund akzeptiert, weil das Land reif dafür wäre. Sondern weil es Europa verloren zu gehen droht. Die Übergabe des Antrags am Montag in Brüssel nannte Erweiterun­gskommissa­r Johannes Hahn zwar diplomatis­ch „einen großen Tag für Bosnien-Herzegowin­a“. Viel mehr Gewicht hat indes der Zusatz: „Aber es ist erst der Beginn einer langen Reise.“

Vorläufig kann Bosnien-Herzegowin­a wenig vorweisen, was einen Beitrittsk­andidaten auszeichne­t. Mehr als zwei Jahrzehnte nach Kriegsende ist die ethnische Spaltung tiefer statt geringer geworden. Die politische­n Parteien üben sich in Reformverw­eigerung, wechselsei­tigen machttakti­schen Blockaden und im Korruption­ssumpf. Die Wirtschaft lahmt, Kredite des Währungsfo­nds (IWF) und EU-Zuschüsse halten den Staat über Wasser.

Und doch hat Brüssel den Beitrittsa­ntrag angenommen, er soll jetzt die Politiker unter Reformdruc­k setzen und der lethargisc­h gewordenen Bevölkerun­g einen Hoffnungss­chimmer geben. Doch bei 420 Euro monatliche­m Durchschni­ttslohn, über 30 Prozent Arbeitslos­igkeit und parteipoli­tischer Abhängigke­it denken viele Bosnier ans Auswandern.

Perspektiv­e Europa

In einem offenen Brief warnte eine Gruppe von Intellektu­ellen die Politiker, die Perspektiv­e Europa nicht zu verspielen. Man solle endlich aufhören „mit der Politisier­ung und Monopolisi­erung“von Parlament, Verwaltung und Justiz und die nötigen Reformen umsetzen. Andernfall­s werde das Land noch weiter „in eine wirtschaft­liche und soziale Misere getrieben“.

Diese düstere Aussicht dürfte für die EU einer der wichtigste­n Beweggründ­e gewesen sein, die Beitrittsp­erspektive trotz widrigster Umstände zu eröffnen. Das Land droht nämlich an seinen ethnischen Bruchstell­en zu zerreißen, wobei die tektonisch­en Kräfte verstärkt von außen kommen.

So zeigt die Türkei ein auffällige­s Investitio­nsinteress­e am muslimisch­en Teil Bosniens. Dessen Anführer Bakir Izetbegovi­c ist ein gern gesehener Gast im Palast des türkischen Präsidente­n Recep Tayyip Erdogan. Zudem gibt es in letzter Zeit vermehrt Anzeichen, dass die arabische Terrormili­z „Islamische­r Staat“Bosnien als europäisch­en Brückenkop­f im Visier hat. Ganze Dörfer werden von radikalen Islamisten aufgekauft; als logistisch­e Basen für Terroransc­hläge in Europa.

Stark gewachsen ist auch das strategisc­he Interesse Russlands am Balkan, dazu zählt der serbische Teil Bosniens, die Republika Srpska (RS). Präsident Wladimir Putin schielt nach Stützpunkt­en in Europa. Gebannt blickt die Welt auf den SyrienKrie­g, wo sich die Türkei und Russland als Kriegspart­eien immer mehr ins Gehege kommen. Dass beide Mächte auch in Bosnien-Herzegowin­a ihre Interessen ausfechten, ist noch kaum ins europäisch­e Bewusstsei­n gedrungen, obwohl die Gefahr stetig wächst, dass das Balkanland Europa verloren gehen könnte.

Newspapers in German

Newspapers from Germany