Schwäbische Zeitung (Biberach)
Menü aus der Mülltonne
Ulmer Studenten holen unverkäufliche Nahrungsmittel aus den Abfalleimern der großen Supermärkte
- Täglich landen tonnenweise Lebensmittel im Müll – und das, obwohl sie oft nur einen kleinen Schönheitsfehler haben: Hat die Banane einen kleinen braunen Fleck, ist sie nicht mehr für den Verkauf geeignet und wird aussortiert. Die Verbraucherzentralen fordern deshalb nun gesetzliche Regelungen, die Händler dazu verpflichten, unverkäufliche Lebensmittel zu spenden oder weiterzuverarbeiten.
Im Kreis Neu-Ulm spenden bereits viele Supermärkte ihre B-Ware an Tafelläden. Dass aber immer noch tonnenweise Lebensmittel im Müll landen, können zwei Ulmer bestätigen, die einen ganz besonderen Einblick in die Abfälle der Supermärkte haben: Gemeinsam mit Dutzenden anderen „containern“sie, schleichen sich auf Supermarkt-Areale und suchen im Abfall nach Essbarem.
Die beiden 20- und 24-jährigen Ulmer sind keineswegs so bedürftig, dass sie sich die Lebensmittel nicht leisten können – im Gegenteil: „Ich wohne in einer durchschnittlichen Studenten-WG und hab weder Geldsorgen noch führe ich ein Leben abseits der Gesellschaft“, sagt Lisa Müller, die seit eineinhalb Jahren „containert“und so der Nahrungsverschwendung entgegenwirken will. Student Thomas Fröhlich macht es seit drei Jahren. Die Namen der beiden haben wir geändert, denn legal ist ihr „Hobby“nicht.
REGION
Suche im Abfallcontainer
Wenn es dunkel ist, schleichen sich Müller oder Fröhlich auf den Hinterhof des Supermarkts, suchen in den Abfallcontainern nach noch verpacktem oder brauchbarem Essen, stecken es in Tüten oder Rucksäcke und fahren nach Hause: „Die ersten Male hab ich mich dabei gefühlt, wie in einem Krimi. Ist halt doch nicht legal, das Ganze“, sagt die Studentin, die offenbar nur eine von vielen ist, die „containern“ihr Hobby nennen.
Tatsächlich bewegen sich Leute wie Müller in einer Art juristischer Grauzone: Denn wie aus Justizkreisen zu erfahren war, sei nicht ganz eindeutig, ob Supermärkte die Lebensmittel wegwerfen, somit ihr Eigentum aufgeben und die Sachen zur freien Verfügung stellen. Ist das eindeutig nicht der Fall, wäre „containern“Diebstahl. Menschen wie Lisa Müller blüht im schlimmsten Fall ei- ne hohe Geldstrafe oder bis zu fünf Jahre Haft. In den meisten Fällen aber ist es Hausfriedensbruch. Dieser müsste von den Chefs der Supermärkte angezeigt werden.
Eine von diesen ist Bettina Mändle, die die Rewe-Filiale in Pfuhl leitet. Sie weiß von den Leuten, die nachts Container durchsuchen. Das sei ein paar Mal vorgekommen, heute allerdings nicht mehr: „Wir haben unser Areal mit Kameras und einem Zaun ausgestattet“, sagt Mändle, die auf andere Weise dafür sorgt, dass die ausrangierten Lebensmittel noch eine Verwendung finden: Sie und andere ihrer Rewe-Kollegen sortieren nach Feierabend die unverkäufliche Ware aus, räumen sie in Kisten und stellen sie dem Ulmer Tafelladen zur Verfügung. „So können wir anderen Leuten noch etwas Gutes tun, mit der Ware, die es nicht mehr in den Verkauf schafft“, sagt Mändle, die generell eine gesetzliche Regelung für Einzelhändler befürworten würde.
Tafelläden froh über Spenden
Tafelladenbetreiber wie Ulrike Tiefenbach in Illertissen oder Stefan Kast vom Roten Kreuz, das die Läden Neu-Ulm und Weißenhorn betreibt, sind froh über solche Spenden. „Durch die Tafel-Idee wird nicht nur Bedürftigen geholfen, zudem werden Lebensmittel vor der Vernichtung bewahrt.“Auch Thomas Fröhlich und Studentin Lisa Müller verfolgen diesen „grünen Gedanken“: Zum einen geben sie zu, dass sie „containern“, um „die Kosten für Lebensmittel theoretisch gegen Null zu senken“, zum anderen habe das auch eine „ideologische Komponente“, sagt Fröhlich.
Er und Müller finden, es sei immer noch Standard, Überflüssiges einfach wegzuwerfen. „Das macht mich wirklich wütend“, sagt Müller, die vor allem die Schuld beim Konsumenten sucht: „Obstpackungen, in denen ein Teil schimmelt, kauft eben keiner, genauso wie Gemüse, das einen Schönheitsfehler hat“, sagt die 20-Jährige.
Auch Fröhlich ist der Meinung: „Den Supermärkten kann auf keinen Fall eine Alleinschuld gegeben werden.“Er findet, dass bereits bei der Produktion vieles auf dem Feld zurückgelassen wird, zum Beispiel, weil es nicht der Norm entspricht. Auch das Mindesthaltbarkeitsdatum kritisiert er: „Wenn man sich ein Mindesthaltbarkeitsdatum für Wasser oder Joghurt ansieht – beides ist oft viel länger haltbar als angegeben.“Und auch die Kunden, die zu jeder Zeit eine volle Auslage vorfinden möchte, kritisiert er.
Alles Mögliche im Müll gefunden
Daher landen tonnenweise Lebensmittel im Müll, an dem sich die beiden Ulmer bedienen: „Manche Betriebe werfen superviel Salat und Obst weg. Andere eher viel Joghurt oder Blumensträuße“, sagt Fröhlich. „Bisher habe ich fast alles containert. Konservendosen, Milchprodukte, Backwaren, Fertiggerichte, Säfte, aber auch kuriose Dinge wie eine Krücke oder Hausschuhe.“
Fröhlich hält eine gesetzliche Regelung für „erstrebenswert“, auch wenn er befürchtet, dass Supermärkte immer Schlupflöcher finden, um der Regelung zu entkommen. Müller aber glaubt, dass eine Regelung, wie in Frankreich dafür sorgen würde, „dass nur im Müll landet, was wirklich Müll ist. Klar, ich persönlich müsste dann mehr einkaufen gehen, aber das wäre es mir wert.“