Schwäbische Zeitung (Biberach)
Auszeit für pflegende Angehörige
Ehrenamtliche Helfer bieten in Ingoldingen Betreuung für Menschen an.
- Einen Angehörigen zu pflegen, ist eine wichtige, aber auch herausfordernde Aufgabe. Um den Angehörigen etwas Zeit für sich selbst zu schenken, bietet das ehrenamtliche Team der „Morgenröte“in Ingoldingen immer mittwochs eine ganztägige Betreuung für Menschen mit gesundheitlichen Einschränkungen an.
Mittwochnachmittag, 15 Uhr. Es ist Kaffeezeit. Der Tisch in den Räumlichkeiten des „Morgenröte“Teams ist mit Liebe gedeckt, Kerzen brennen, bunte Blumen lassen den Frühling erahnen. Am Tisch sitzen die Pflegefachkraft Marianne Köberle, die Ehrenamtlichen Christine Schmid und Roswitha Wieland. Acht Gäste sind heute Nachmittag in den Außenpavillons der Schule in Ingoldingen erschienen. Sie alle leben in Ingoldingen, einem der Teilorte oder in Bad Schussenried. Heinz Mader ist mit 69 Jahren der jüngste Gast, zwei Plätze neben ihm sitzt eine kleine zierliche Frau, die auf Nachfrage verrät, dass sie schon 96 Jahre alt ist.
Jeden Mittwoch ein Motto
Wie an jedem Mittwoch gibt es auch heute ein Motto: Briefe. Christine Schmid hat wahre Schätze von zu Hause mitgebracht. Auf dem Tisch stapeln sich alte Briefe aus durchsichtigem Luftpostbriefpapier, Brie- fe in Sütterlinschrift, alte Postkarten und ein altes Tintenfass aus Holz. Sogar ein Schulmäppchen aus Holz, inklusive Rechenschieber mit Holzperlen, hat Schmid irgendwo aufgetrieben. Gemeinsam mit den Gästen nimmt sie die Gegenstände in die Hand und versucht, ein Gespräch in Gang zu bringen. „An wen habt ihr früher Briefe geschrieben?“, will sie von den Anwesenden wissen. Nach einem kurzen Zögern erinnert sich mancher, dass einst Briefe an den Geliebten im Krieg geschrieben wurden oder an die Eltern zu Hause.
Aufmerksam hören die Ehren- amtliche zu, fragen nach und erzählen auch von sich selbst. Ziel der Gesprächsrunde ist, wie fast alle Aktivitäten an diesem Tag, die Gäste zur Interaktion zu animieren. Das klappt manchmal mehr, manchmal weniger. Je nachdem, ob die Gäste an Demenz leiden oder andere Beeinträchtigun- gen haben, können sie noch gut reden oder hören lieber zu. Andere leben auf, wenn die Gruppe bastelt, alte Volkslieder singt oder Gymnastik macht. Die Ehrenamtlichen bemühen sich, jeden Mittwoch ein buntes Programm zusammenzustellen.
Gemeinsame Zeitungslektüre
Wer bereits morgens um neun Uhr kommt, mit dem frühstücken die Ehrenamtlichen, es wird gemeinsam Zeitung gelesen, gespielt und Mittagessen gekocht. Wer will, kann sich danach in einem Ruheraum ausruhen. Am Nachmittag kommen weitere Gäste dazu. „Im Moment kommen meist zwischen sechs und neun Gäste, doch das kann sich schnell ändern“, erklärt Köberle. Und obwohl es das Betreuungsangebot bereits seit mehr als zehn Jahren gebe, wüssten nicht alle Ingoldinger davon.
Sie hofft, dass das Angebot auch weiterhin so gut angenommen wird wie jetzt. „Wir glauben, dass es für Angehörige oder auch die ausländischen Pflegekräfte wichtig ist, sich ab und zu eine Auszeit zu gönnen“, sagt Köberle. Und, genauso wichtig: Auch die Senioren sollen in ihrem Leben etwas Abwechslung erfahren. Vor Kurzem besuchte die Gruppe daher gemeinsam die Seniorenfasnet im Dorf. Und wenn das Wetter schön ist, werden die Stühle vor die Türen des Pavillons gestellt – und die Nase in die Sonne gereckt.