Schwäbische Zeitung (Biberach)
Der Angreifer
FDP-Spitzenkandidat Hans-Ulrich Rülke will seine FDP im Stuttgarter Landtag stärken, aber nicht um jeden Preis an die Macht
- Uli Rülke auf dem Rand seiner Badewanne in Pforzheim, beim Bürgerempfang in Nürtingen, beim Aktenblättern in Stuttgart, beim Filmdreh in Stuttgart. Wer bei dem vor allen bei Jüngeren angesagten Online-Fotoalbum Instagram vorbeiklickt, kann den Wahlkampfalltag des FDP-Spitzenkandidaten auf Schritt und Tritt verfolgen. Manchmal sogar im Wortsinn, wenn der 54-Jährige mit einem Bild seiner Turnschuhe die nächste Joggingrunde im Wald oder auf dem Laufband ankündigt. Mit mehr als 800 RülkeFotos hat das junge FDP-Wahlkampfteam Instagram inzwischen geflutet, um den Bürgern ihren Spitzenmann menschlich näher zu bringen.
STUTTGART
Im Krawallmodus
Keine leichte Aufgabe, denn Rülke galt lange als rhetorisches Fallbeil der Landespolitik. Während die 60köpfige CDU-Fraktion 2011 nach der verlorenen Landtagswahl noch in Selbstmitleid badete, schaltete der FDP-Fraktionschef mit seinen verbliebenen sieben Parlamentariern in den Krawallmodus. Bei wortbildreichen Verbalattacken auf die grün-rot Regierenden wirkten manche Attacken skurril, wie die auf den „Tsatsiki“-Landeshaushalt von „Winfridos Kretschmannakis“.
Manchmal landete er aber auch rhetorische Volltreffer: Wie Pech klebt seit Jahren der von Rülke erfundene Beiname „der kleine Nils“am SPD-Finanzminister Schmid. Doch Beinamen gehen in beide Richtungen: Nach einer denkwürdigen Landtags-Schreiattacke Ende 2012 tauften die Regierenden den lautstarken Oppositionspolitiker mit Igelfrisur in „Brülke“um. Landtagswahl
2016
Freizeit? Habe keine
„Ich glaube, Brülke stammt vom kleinen Nils. Damit kann ich aber gut leben“, sagt Rülke. Sowieso zählt er sich für „einigermaßen robust“und „nicht das klassische Mobbingopfer“. Wer nur austeilen und nicht einstecken könne, sei in der Politik sowieso fehl am Platz. Trotzdem habe er Spaß am politischen Betrieb: „Ich halte nichts von Sprüchen wie: Politik macht Sinn, aber nicht Spaß.“Rülke schöpft Freude aus der Politik, auch wenn man ihm das nicht immer ansieht und der Job ihm in der Woche 16- bis 18-Stunden-Tage beschert (am Wochenende sind es nur bis zu zwölf Stunden täglich). Und obwohl er auf die Frage: „Was machen Sie in Ihrer Freizeit?“, antwortet: „Habe keine.“
Das Interesse an der praktischen Politik sei allerdings erst nach der Entscheidung für die FDP gekommen. Und auch die ist eher ungewöhnlich, denn Rülke stammt aus einem wenig begüterten klassischen sozialdemokratischen Haushalt in Singen. „Mein Vater hat bis zu seinem Tod SPD gewählt. Er hätte sich von mir nicht bekehren lassen“, sagt Rülke. Die Mutter wähle inzwischen FDP – aus Liebe zu ihrem Sohn.
Lieber Tennis als Schach
Doch Rülke findet mehr Gefallen am Wettbewerbsgedanken. Er spielt lieber Tennis als Schach – da es beim Schach so oft auf Unentschieden herausläuft. Er hat Spaß am Sport, solange er sich messen kann, spielt am Ende Tennis in der Regionalliga. Die FDP versteht Rülke als „Partei der Lebenschancen“.
1984 wird der junge Germanistikstudent von Ralf Dahrendorf zu den Liberalen geholt. Der ehemalige Bundestagsabgeordnete, EG-Kommissar, Soziologe und eben auch FDP-Politiker lehrt an der Uni Konstanz, an der Rülke auf Lehramt studiert. „Dahrendorf war eine außerordentlich beeindruckende und anregende Persönlichkeit“, sagt Rülke. 1985 tritt er in die FDP ein.
„Ich hatte damals nicht im Hinterkopf, politische Karriere zu machen“, betont der inzwischen zum Fraktionschef aufgestiegene Politiker. Rülke macht 1991 seinen Doktor über Klopstocks „Gottesbild und Poetik“, 1993 wird er Lehrer an einem Pforzheimer Gymnasium. 1996 wird er Chef des dortigen FDP-Ortsver- bandes – und macht ab dann Parteikarriere. 2009 übernimmt er den Fraktionsvorsitz der Landtags-FDP. Ein Sprungbrett für einen Posten als Wirtschaftsminister in der Wiederauflage der schwarz-gelben Koalition unter seinem persönlichen Freund Stefan Mappus (CDU). Doch Mappus verliert die Wahl krachend und wird innerhalb der CDU zur Unperson. Und Rülke findet sich auf der Oppositionsbank wieder.
Immer Sonnendeck zu langweilig
Es gibt viele im politischen Stuttgart, die sich Rülkes Ehrgeiz und Verbissenheit mit den geplatzten Träumen von 2011 erklären. „Er will um jeden Preis Wirtschaftsminister werden und ordnet dem alles unter“, sagt ein politischer Gegner. Dass Rülke inzwischen weniger larmoyant auftritt und sein graumeliertes Haar seriös gescheitelt trägt, ist für viele der Beleg. Dem widerspricht Rülke vehement: Er sei gerne Fraktionschef und brauche die Pfründe eines Ministeramts nicht. „Ich bin gerne im Maschinenraum der Politik und habe keine Berührungsängste mit dem Ruß. Nur Sonnendeck wäre mir auf Dauer zu langweilig“, sagt er.
Dass er ruhiger wirkt, habe einen einfachen Grund: Als Chef der winzigen FDP-Fraktion habe er öfter zuspitzen müssen, um überhaupt in den Medien wahrgenommen zu werden. Als Spitzenkandidat habe er nun von vornherein mehr Aufmerksamkeit. Ein Lebenstraum sei Wirtschaftsminister mitnichten, der Job als Fraktionschef mitunter vielseitiger: Sowieso, Traum: „Ich rede nicht über Träume, sondern über Ziele. Mein Ziel ist es, die FDP in die Regierung zu führen. Aber nicht um jeden Preis.“Ein anderes Ziel ist, die Landtagsfraktion mit ihren nur sieben Abgeordneten bei der Wahl am 13. März deutlich zu vergrößern.
Dass die einst totgesagte Partei inzwischen in Umfragen bei acht Prozent notiert, gibt den Liberalen zusätzliches Selbstbewusstsein: Sie gefallen sich in der Vorstellung, dass nach der Wahl am 13. März gegen das klassische Waagscheißerle FDP keine Regierung im Land möglich sein könnte und sonnen sich im Medieninteresse. Beim Parteitag am Wochenende in Pforzheim tritt die FDP mit breiter Brust auf und stellt möglichen Bündnispartnern hohe Hürden hin. Regieren um jeden Preis wolle er nicht, im Gegenteil: „Wenn ich unsere Inhalte nicht umsetzen kann, bleibe ich halt in der Opposition.“
Inhalt vor Posten
Als Rülke und Theurer am 2. November 2013 bei einem Parteitag in Filderstadt um den Landesvorsitz streiten, hält Rülke die weit bessere Rede, doch Theurer gewinnt am Ende. Inzwischen herrscht zwischen beiden Arbeitsteilung: Theurer kümmert sich um die Vernetzung der Südwestliberalen in Berlin und Brüssel, Rülke ist der landespolitische Angreifer. Dass der eine Ambitionen auf den Posten des anderen hat, ist nicht mehr zu erkennen. Die Doppelspitze funktioniert.
Dass Rülke kantiger ist als Theurer, wissen auch die Wahlkämpfer der FDP. Und sie wollen es vermarkten: „Du kannst Rülke nicht ändern. Aber Rülke etwas im Land“, haben die Liberalen plakatieren lassen. Im Internet posten sie freche „Best of Rülke“Sprüche. Und bei Instagram stellen sie dieses Foto ein, das den 19-Jährigen lässig in mächtig knapper Badehose am italienischen Strand zeigt. Die bremische FDP-Vorsitzende Lencke Steiner schwärmt angesichts des offenherzigen Fotos vom „James Bond Baden-Württembergs“, Rülke interpretiert das Gelb-magentafarbene der Bademode als „Ursprung der neuen FDP“.
Droht die Partei in den Spaßwahlkampf alter Zeiten zurückzufallen? Rülke winkt ab. Ein bisschen Spaß muss sein, nur die Dosis muss stimmen, das sei die Lehre aus früheren Wahlkämpfen: „Das Guidomobil war in Ordnung. Die 18 auf der Schuhsohle war zu viel.“Dass zur Spitzenkandidatur auch ein bisschen Entblößung gehört, sei klar: „Wenn man bereit ist, den Karren zu ziehen, muss man auch bereit sein, den Blick auch ins Persönliche zuzulassen.“
Doch klar sei ihm auch, dass Politik unbarmherzig sein kann. Nicht erst seit dem Absturz seines Freundes Stefan Mappus: „Wenn man in die Politik geht, um Freunde zu suchen, sollte man einen berühmten Satz von Lyndon B. Johnson beherzigen: Wenn du in Washington einen Freund brauchst, kauf dir einen Hund.“Anders als der einstige USPräsident Johnson hat Rülke keinen Hund: „Ich lebe aber auch nicht in Washington.“ Hans-Ulrich Rülke über seine Arbeit
als Fraktionschef der FDP Es gibt gute Argumente für die Rülke-Doktrin, derzufolge eine FDP-Regierungsbeteiligung nur möglich ist, wenn man inhaltlich viel durchsetzen kann. Selbst Parteichef Christian Lindner stützt den Kurs: Nachdem die letzte Koalition in Berlin die Liberalen aus dem Bundestag verjagt hat, geht es um inhaltliche Erfolge. „Politische Glaubwürdigkeit ist wichtiger als Ämter“, sagt Rülke. Und seine Frau Karin droht in Pforzheim im Falle eines Umkippens: „Wenn du das machst, lasse ich mich scheiden.“Damit ist es geschwätzt: Er möge seine Partei sehr, aber seine Ehe noch viel lieber. Dafür gibt es ein Küsschen von der Mutter seiner drei Söhne.
Grüne und Rote in Stuttgart verdrehen die Augen bei der Vorstellung, nach dem 13. März mit Rülke über Koalitionen verhandeln zu müssen. „Mit dem Theurer wäre das kein Problem“, stöhnt ein hochrangiger Grüner. Nicht nur, dass knapp fünf Jahre Schlagabtausch im Parlament Wunden geschlagen haben. Auch gilt der FDP-Landeschef Theurer als grundsätzlich offener gegenüber neuen Farbkonstellationen. Michael Theurer ist eine Art Gegenbild Rülkes. Er ist kleiner, wirkt runder und gemütlicher: Der EU-Abgeordnete mag nicht so präzise und pointiert sprechen wie Rülke. Doch seine joviale Art aus seiner Zeit als Lokaljournalist in Schramberg und Oberbürgermeister in Horb hat ihm viele Freunde beschert.
Doppelspitze funktioniert
„Ich bin gerne im Maschinenraum der Politik und habe keine Berührungsängste mit
dem Ruß.“