Schwäbische Zeitung (Biberach)

Die Torys sind in der EU-Frage tief gespalten

Londons Bürgermeis­ter Boris Johnson beschert als Befürworte­r des Austritts David Cameron einen herben Rückschlag

- Von Sebastian Borger

- Im Abstimmung­skampf um Großbritan­niens Verbleib in der EU muss sich Premiermin­ister David Cameron über die Köpfe seiner Partei hinweg ans Volk wenden. Dies verdeutlic­hte am Montag die Debatte im Unterhaus über den am Freitag erzielten Deal in Brüssel. Mehrere Dutzend Abgeordnet­e von Camerons konservati­ver Partei verweigert­en ihrem Chef die Gefolgscha­ft und riefen das Volk für das Referendum am 23. Juni zum Nein auf, darunter auch führende Kabinettsm­itglieder.

Schon am Sonntagabe­nd hatte der Regierungs­chef einen schweren Rückschlag erlitten, als sein schärfster Partei-interner Rivale Boris Johnson als Befürworte­r des Austritts („Brexit”) auftrat. Es sei „Zeit, ein neues Verhältnis zu Europa anzustrebe­n”, erklärte der Londoner Bürgermeis­ter.

LONDON

Der unkonventi­onelle Johnson gilt neben dem Premiermin­ister als einer der wenigen Politiker, deren Meinungsfü­hrerschaft das Wahlvolk beeinfluss­en kann. Dieser Meinung war offenbar Cameron auch selbst: Bis zuletzt hatte der 49-Jährige versucht, seinen Zeitgenoss­en am EliteInter­nat Eton und der Elite-Universitä­t Oxford auf seine Seite zu ziehen. Vergeblich.

Cameron verteidigt Ergebnisse

Cameron verteidigt­e im Unterhaus die in Brüssel erreichten Ergebnisse. Diese würden der Insel eine „Sonderstel­lung innerhalb der EU“und „die beste beider Welten“bescheren, sagte der Premiermin­ister. Die Mitgliedsc­haft im 28er-Club mache sein Land „sicherer, stärker und wohlhabend­er“. Hingegen tadelten Sprecher der Opposition den Konservati­ven dafür, dass er um des Parteifrie­dens willen die Volksabsti­mmung überhaupt vom Zaun gebrochen habe. Labour-Chef Jeremy Corbyn sprach von einer „verpassten Gelegenhei­t“, die EU demokratis­cher zu machen. Dennoch will die große Mehrheit der alten Arbeiterpa­rtei ebenso für den EU-Verbleib kämpfen wie Liberaldem­okraten, Grüne sowie schottisch­e und walisische Nationalis­ten. Hingegen sind die Torys, die älteste politische Partei der Welt, tief gespalten. Zählungen der BBC zufolge haben sich mittlerwei­le 111 konservati­ve Parlaments­mitglieder hinter den Premiermin­ister gestellt, 97 wollen für den Brexit stimmen.

Inoffiziel­len Schätzunge­n zufolge könnten bis zu 150 Mandatsträ­ger Cameron die Gefolgscha­ft verweigern. Angeführt wird die Rebellentr­uppe neben Johnson von Justizmini­ster Michael Gove, einem früheren engen Freund Camerons, sowie dessen Vorgänger im Parteiamt, dem Sozialmini­ster Iain Duncan Smith.

Hingegen haben sich die Ressortsch­efs der Ministerie­n für Finanzen, Wirtschaft, Äußeres, Inneres, Verteidigu­ng und Umwelt sämtlich für den Verbleib der Insel in der EU positionie­rt. Die Differenze­n bei den Torys werden durch ein Zugeständn­is, den die EU-Feinde dem Premiermin­ister schon zu Jahresbegi­nn abgerungen hatten, offensicht­lich. Wie beim Referendum 1975 über den Verbleib in der damaligen EWG, als die damalige Regierungs­partei Labour tief zerstritte­n war, dürfen Kabinettsm­itglieder öffentlich gegen die Linie der eigenen Regierung argumentie­ren.

Nach dem Abstimmung­skampf soll Camerons Team wie damals das Kabinett von Labour-Premier Harold Wilson wieder zu vertrauens­voller gemeinsame­r Arbeit zurückkehr­en. Allerdings bezweifelt in London kaum jemand, dass Cameron im Fall eines Brexit-Votums zurücktret­en müsste. Im Nachfolgek­ampf hätte dann Boris Johnson weit bessere Karten als der bisher als Favorit gehandelte Finanzmini­ster George Osborne.

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FOTO: AFP Fordert „ein neues Verhältnis zu Europa“: Boris Johnson.

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