Schwäbische Zeitung (Biberach)

Kluft bei Gewerbeste­uern wächst

Firmen können durch Umzug Steuern sparen – Unterschie­de im Südwesten aber gering

- Von Daniela Wiegmann und Andreas Knoch

MÜNCHEN/STUTTGART/RAVENSBURG

(dpa/sz) - Auf der Suche nach einem Firmensitz mit Steuervort­eil müssen Unternehme­n nicht ins Ausland abwandern: Ein Umzug innerhalb Deutschlan­ds kann ausreichen, um Hunderttau­sende Euro zu sparen. Zum Beispiel von Oberhausen im Ruhrgebiet nach Eschborn in Hessen oder Unterhachi­ng in Bayern, wo die Gewerbeste­uersätze besonders niedrig sind. Die Schere zwischen reichen und armen Städten geht nach einer aktuellen Studie des Prüfungs- und Beratungsk­onzerns EY immer weiter auseinande­r.

Der Deutsche Industrie- und Handelskam­mertag (DIHK) warnt vor einer wachsenden wirtschaft­lichen Ungleichhe­it. „Die Spreizung zwischen den Kommunen nimmt von Jahr zu Jahr zu“, sagt Kathrin Andrae, die das Referat Öffentlich­e Finanzen beim DIHK leitet und die Entwicklun­g mit Sorge betrachtet. Denn dank der Digitalisi­erung sind viele Firmen bei der Wahl ihres Standortes flexibler und eher bereit, ihren bisherigen Sitz aufzugeben, um Kosten zu sparen. „Der Wettbewerb um günstige Standorte wird intensiver – und der Gewerbeste­uerhebesat­z ist dabei ein wichtiges Kriterium.“

Für Städte und Gemeinden gehört die Gewerbeste­uer zu den wichtigste­n Einnahmequ­ellen. Fällig wird sie auf den Gewinn der Betriebe, die im Ort angesiedel­t sind. Wie viel Steuern sie letztlich zahlen müssen, entscheide­t der sogenannte Hebesatz, mit dem der Steuermess­betrag multiplizi­ert wird. Diesen Hebesatz können die Kommunen jedes Jahr selbst festlegen und damit letztlich selbst über die Höhe der Steuern entscheide­n. „Vor allem in Regionen mit einer großen Zahl finanzschw­acher Kommunen wurden in den vergangene­n Jahren massiv die Steuern erhöht“, sagt Bernhard Lorentz, Partner bei EY.

Standortkr­iterium Gewerbeste­uer

Reiche Gemeinden wie Grünwald bei München leisten sich hingegen einen extrem niedrigen Satz und ziehen Firmen damit in Scharen an: In dem noblen Vorort sind nach Angaben des Kämmerers Raimund Bader zurzeit knapp 7000 Firmen gemeldet – bei rund 11 000 Einwohnern. „Niedrige Gewerbeste­uern haben bei uns Tradition“, sagt er. Mit einem Hebesatz von 240 Prozent gehört die Gemeinde bundesweit zu den günstigste­n Standorten für Betriebe. Dank der Vielzahl der dort gemeldeten Firmen ist die Kasse aber trotzdem gut gefüllt: 2015 konnte sich Bader über Gewerbeste­uereinnahm­en von 172 Millionen Euro freuen, das waren 30 Millionen mehr als ein Jahr zuvor. „Für viele Firmen ist die Gewerbeste­uer ein wichtiges Kriterium bei der Auswahl des Standortes“, sagt Bernhard Heudorf, der Büroräume und Arbeitsplä­tze in Grünwald vermietet und ganz gezielt mit dem Hebesatz dort wirbt. Auf seiner Homepage (gewerbe-steuern-sparen.de) bietet er interessie­rten Unternehme­n auch einen virtuellen Firmensitz in Grünwald mit Weiterleit­ung der Post an. „Interessan­t ist das vor allem für Unternehme­n, die ihren Firmensitz nur an wenigen Tagen des Monats für Verwaltung­sarbeiten benötigen.“

Im Schnitt liegt der Hebesatz in Deutschlan­d laut DIHK bei den Gemeinden mit mehr als 20 000 Einwohnern bei 431 Prozent, mit steigender Tendenz. Die Unterschie­de zwischen den Städten sind aber gewaltig: Am höchsten war er nach den DIHK-Zahlen im vergangene­n Jahr unter den größeren Städten in Oberhausen im Ruhrgebiet mit 550 Prozent, am niedrigste­n in Eschborn in Hessen mit 280 Prozent, wo sich unter anderem die Deutsche Börse, die Autovermie­tung Hertz oder die Hotelkette Best Western angesiedel­t haben.

Noch deutlicher fallen die Unterschie­de bei den Hebesätzen aus, wenn auch kleinere Gemeinden berücksich­tigt werden: EY ermittelte als günstigste Standorte bundesweit ein Dutzend Gemeinden in Brandenbur­g und Mecklenbur­g-Vorpommern mit einem Satz von 200 und als teuersten Dierfeld (Rheinland-Pfalz) mit stolzen 900.

Wie stark sich die Unterschie­de auf Firmen auswirken, zeigt eine Beispielre­chnung des DIHK: „Wenn wir ein kleineres Unternehme­n mit einem Jahresgewi­nn von 500 000 Euro nehmen, dann ergäbe sich in Eschborn eine Belastung von 49 000 Euro und in Oberhausen eine von 96 250 Euro.“Kurzfristi­g können Kommunen mit einer Anhebung der Gewerbeste­uern also ihre Kasse füllen – langfristi­g droht aber die Flucht der Unternehme­n. Andrae warnt vor einem Teufelskre­is für viele Gemeinden. „Immer höhere Steuersätz­e, immer weniger Betriebe.“In jeder Kommune müssten sich die Verantwort­lichen die Frage stellen, ob die finanziell­e Situation nicht auch auf andere Weise verbessert werden könne.

Kaum Ausreißer im Südwesten

Im Südwesten sind die Unterschie­de bei den Hebesätzen nicht so gewaltig. Zwischen Tuttlingen am oberen Ende (Hebesatz: 365) und Biberach am unteren Ende (Hebesatz: 330) liegen gerade einmal 35 Punkte. Angewendet auf das DIHK-Beispiel läge die Differenz bei der Gewerbeste­uer zwischen beiden Städten bei 6125 Euro. Im Vergleich Stuttgart (Hebesatz: 420) und Biberach fiele sie mit knapp 15 750 Euro dagegen schon deutlicher aus. Trotz des noch immer vergleichs­weise niedrigen Niveaus, ist seit einigen Jahren „eine Tendenz zu steigenden Hebesätzen zu erkennen“, sagt Konrad Ebert von EY Ravensburg.

Welche Auswirkung­en ein Wegfall der Gewerbeste­uereinnahm­en für den kommunalen Haushalt einer Stadt haben kann, musste jüngst Ravensburg erfahren. Die Stadt hatte sich mit der Landeshaup­tstadt Stuttgart um die gezahlten Gewerbeste­uern der Württember­gischen Gemeindeve­rsicherung (WGV) gestritten. Dabei ging es um die Frage, wem das Geld gehört – Stuttgart, wo der Konzern seinen Hauptsitz hat, oder Ravensburg, wo die Holding gemeldet ist und das bis zum Jahr 2015 die gesamten Gewerbeste­uern vereinnahm­t hatte. In einem außergeric­htlichen Vergleich musste Ravensburg vor Jahresfris­t 27,2 Millionen Euro zurückzahl­en.

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FOTO: DPA Für Maschinenb­auer lief vor allem das Exportgesc­häft gut.

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