Schwäbische Zeitung (Biberach)
„Es ist jetzt nicht die Zeit für Höhenflüge“
Rainer Dulger, Präsident des Arbeitgeberverbandes Gesamtmetall, tritt vor der anstehenden Tarifrunde auf die Euphoriebremse
- Die IG Metall will in der anstehenden Tarifrunde Lohnsteigerungen von 4,5 bis fünf Prozent durchsetzen. Die Metall-Arbeitgeber kritisieren die Forderung und warnen vor aus ihrer Sicht überhöhten Abschlüssen. Im Gespräch mit Rasmus Buchsteiner erklärt Rainer Dulger warum.
BERLIN Die IG Metall verlangt bis zu fünf Prozent mehr Lohn in der Metallund Elektroindustrie. Wie bewerten Sie diese Lohnforderung?
Es ist jetzt nicht die Zeit für Höhenflüge. Die IG Metall hat den Ernst der Lage nicht erkannt. Es werden gegenüber den Beschäftigten völlig falsche Erwartungen geweckt. Seit der Fi- nanzkrise 2008 sind die Löhne in unserer Industrie um 20 Prozent gestiegen, die Produktivität aber nur um zwei Prozent. Das sind 18 Prozent höhere Lohnstückkosten in nur wenigen Jahren – das ist schon eine erschreckende Entwicklung. Unser Standort bröckelt massiv. Die Arbeitskosten spielen für die Wettbewerbsfähigkeit Deutschlands die entscheidende Rolle.
Wie groß wäre denn der Verteilungsspielraum für die Metall- und Elektroindustrie?
Um über Zahlen zu spekulieren, ist es noch viel zu früh. Wir warten jetzt erst einmal ab, welche Lohnforderung Ende des Monats beschlossen wird und beginnen dann mit den Verhandlungen.
Wird es in jedem Fall Reallohnerhöhungen für die Beschäftigten geben?
Ein Tarifvertrag ist immer ein Wechsel auf die Zukunft. Wir können nicht genau sagen, wie sich die Situation entwickelt. Deshalb mahnen wir zu größter Vorsicht und Sorgfalt. Ich würde mir wünschen, dass die IG Metall wieder auf den Boden der Realität findet und erkennt, auf welchem wackligen Fundament Wachstum und Beschäftigung in der Metall- und Elektroindustrie stehen.
Die IG Metall zeichnet ein deutlich besseres Bild der Lage der Branche als Sie, spricht von guten Erträgen und steigender Produktivität. Warum sollten die Beschäftigten keinen fairen Anteil am Erwirtschafteten erhalten?
Wir erleben in der Metall- und Elektroindustrie einen Scheinaufschwung. Das Wachstum bleibt mit 0,6 Prozent 2015 minimal. Es ist noch nicht einmal selbst erarbeitet, sondern ist durch externe Faktoren begründet. Ohne günstigen Ölpreis, den Eurokurs und die niedrigen Zinsen hätten wir bereits größte Probleme. Die Entscheidung, ob die externen Faktoren bleiben, liegt nicht bei Herstellern und Kunden, sondern in den Händen der Notenbanken.
Was würde es bedeuten, wenn Sie die Lohnforderung der IG Metall eins zu eins übernehmen würden?
Wir zahlen jährlich etwas mehr als 200 Milliarden Euro an Lohn und Gehalt. Fünf Prozent mehr würden für unsere Industrie zehn Milliarden Euro an zusätzlicher Belastung bedeuten. Das ist nicht verkraftbar. Ein zu hoher Abschluss würde zu Stellenabbau und zu einer schleichenden Standortverlagerung führen.