Schwäbische Zeitung (Biberach)
In die richtige Richtung
Skispringer Karl Geiger hat manches Tal durchlebt – jetzt meldet er sich gefestigt zurück
icht immer sagen Zahlen alles. Von Karl Geiger etwa, dem 23-jährigen Skispringer aus Oberstdorf, erfährt man beim Blick in die Statistiken: Der Mann hat 48 Weltcup-Wettbewerbe absolviert (plus drei im Team), den ersten am 24. November 2012 in Lillehammer. Von Karl Geiger weiß man auch, dass Weltcup Nr. 48 sein bislang bester war: Podestplatz (solo der erste), allein Österreichs Michael Hayböck sprang weiter – all das am Sonntag in Lahti, Salpausselkä-Schanzen, die mittlere, Hill Size 100 Meter. Karl Geiger strahlte in alle Kameras danach; nicht überliefert ist, ob und wie oft er sich zwickte an diesem 21. Februar 2016. War das wirklich wahr?
Es war, und da greift die Geschichte hinter den Zahlen. Es ist die Geschichte eines sehr geerdeten, sehr ruhigen Sportlers, der „eigentlich immer so ein bisschen Nachzügler“gewesen ist. Sagt Werner Schuster, der Bundestrainer. Gut dreidreiviertel Jahre ist es her, dass der Nachzügler jäh Vorspringer wurde. Ein Sommer (jener 2012), ein paar gemeinsame Lehrgänge quer durch alle Skiverbandskader, und Karl Geiger war mit den Arrivierten auf Augenhöhe. Blieb es auch. Eine „Riesen-Leistungsexplosion“attestiert Werner Schuster ihm für jene Zeit; „gute körperliche Voraussetzungen“hatte der Student der Energie- und Umwelttechnik an der Hochschule Kempten sowieso. Der Bundestrainer holte ihn in sein Weltcup-Team.
Schnell ging das alles. Karl Geiger steckte „viel harte Arbeit rein“, bekam Weltcup-Punkte zurück, dann – ein Höhepunkt – Rang sechs beim Olympia-Test-Weltcup in Sotschi. Die Spiele aber erlebte er 14 Monate später am TV-Schirm. Und an den Bakken von Brotterode. Die Kollegen sprangen zu Mannschaftsgold, Karl Geiger sprang Continental Cup. Wurde Erster, Zweiter, Erster in Thüringen. Fortan sah man ihn häufiger in der Wettkampfserie unterhalb des Weltcups. Nur: nicht mehr so häufig auf dem Podest. „Das Bittere ist, wenn’s im Springen nicht hinhaut.“Wenn man analysiert, tüf- telt, modifiziert ... und doch verliert. „Man versucht immer, seinen Sprung weiterzuentwickeln. Das hat halt überhaupt nicht mehr funktioniert, das ging eher in die andere Richtung.“
Zweifeln? Verzweifeln? Karl Geiger trainierte weiter. Beharrlich. Verbissen mitunter auch. Erarbeitete sich seine alte (Absprung-)Stärke zurück, peu à peu stimmiger wurde sein System. Mittlerweile grinst er, wenn er – „ganz grob zusammengefasst“– das Fehlerbild skizziert, das ihn so nachhaltig einbremste: „Ich wollt’ ein paar Sachen im Flug verändern und hab’ im Endeffekt vergessen abzuspringen.“
Tut Karl Geiger nicht mehr. Zwei Continental-Cup-Vergleiche gewonnen diesen Winter, zwei zweite Plätze, einmal Dritter! Die Vierschanzentournee durchgesprungen, in Vikersund erstmals die 200-Meter-Marke überflogen, dann die persönliche Bestweite sogleich auf 215,5 Meter gesteigert, jetzt in Lahti Zweiter geworden. Die Nerven hielten, als zu starker Wind Versuch Nummer zwei ewig verzögerte: „Ich bin ruhiger geworden, je länger ich warten musste.“Der Absprung passte, die Luftfahrt, die Weite. 99,5 Meter – nach zuvor 96. „Cool!“Und vielleicht nur möglich durch das, was hinter den Zahlen steht. Das aber, hatte Karl Geiger schon bei der Vierschanzentournee gesagt, „das ist jetzt Vergangenheit“.
Aus der, Werner Schuster bemerkte es in Lahti, ist Karl Geiger als „reifere Persönlichkeit“zurückgekommen. „Und als besserer Skispringer.“