Schwäbische Zeitung (Biberach)
Denkzettel aus Karlsruhe
Bundesverfassungsgericht erklärt, was im Anti-Terror-Kampf erlaubt ist und was nicht
- Jubel und Zufriedenheit bei den Klägern, Enttäuschung und Sorge in den Reihen der Regierung. Bundesinnenminister Thomas de Maizière machte am Mittwoch aus seinem Ärger keinen Hehl: Der Kampf gegen den internationalen Terrorismus werde durch diese Entscheidung aus Karlsruhe jedenfalls nicht erleichtert, knurrte der CDU-Politiker in die Mikrophone. „Leben müssen wir damit trotzdem“, sagte de Maizière und blickte schon wieder nach vorn. Man werde den Spielraum nutzen, den die obersten Richter gewährt hätten.
Das Bundesverfassungsgericht hat das sogenannte BKA-Gesetz, das den Ermittlern des Bundeskriminalamtes weitreichende Befugnisse einräumt, in Teilen für verfassungswidrig erklärt. Die Karlsruher Richter sehen darin einen unverhältnismäßigen Eingriff in die Grundrechte der Bürgerinnen und Bürger und folgten in weiten Teilen den Klägern, darunter dem früheren Bundesinnenminister Gerhart Baum und dem ehemaligen NRW-Innenminister Burkhard Hirsch (beide FDP), aber auch Grünen-Bundestagsabgeordneten und anderen. Sie hatten bereits 2009 Verfassungsbeschwerde eingelegt. Am Mittwoch fiel schließlich die Entscheidung.
Mit der schwarz-roten Regierungsmehrheit hatte der Bundestag 2008 das Gesetz beschlossen. „Der Staat hat in der Privatsphäre nichts zu suchen“, pochte Ex-Innenminister Baum am Mittwoch auf die Wahrung der Grundrechte. Ein Sieg der Freiheit und Bürgerrechte oder eine Niederlage für die Sicherheit, ein Rückschlag für die Ermittlungsbehörden im Kampf gegen die terroristische Bedrohung? Auf der einen Seite steht der Wunsch der Ermittler, möglichst früh im Vorfeld und umfassend mögliche Gefahren zu erkennen und aufzuklären. Auf der anderen Seite könnten auch Unbeteiligte Gegenstand der Ermittlungen werden, Unbescholtene zu Unrecht verfolgt und ihre Grundrechte verletzt werden. Der Streit über die höchstrichterliche Entscheidung und die notwendigen Konsequenzen ging am Mittwoch quer durch die Reihen der Parteien.
BERLIN Zwei Jahre Zeit für Überarbeitung
Vorerst kann das Gesetz weiter angewendet werden. Bis 2018, so die Richter, muss der Gesetzgeber nachbessern, vor allem beim Datenschutz und der Übermittlung von personenbezogenen Informationen an ausländische Ermittler sicherstellen, dass diese „nicht zu menschenrechtswidrigen Zielen missbraucht“würden, wie es heißt. Gelbe Karte aus Karlsruhe – zwar halten die Richter das Gesetz in Teilen für verfassungswidrig. Doch kassierten sie es nicht ein, geben der Bundesregierung Gelegenheit, es zu überarbeiten und in den nächsten zwei Jahren verfassungskonform zu gestalten. Dabei gibt es allerdings strikte Vorgaben. Bei der Überwachung von privaten Wohnräumen etwa schreibt das Verfassungsgericht dem Gesetzgeber mehr Kontrolle und Transparenz vor. Vor Auswertung der Daten durch das BKA müsse dies zunächst von unabhängiger Stelle geprüft werden. Stärkere richterliche Kontrolle und Vorbehalte, klare Regeln und Grenzen für die Die Karlsruher Richter haben im Wesentlichen nicht die Ausweitung der BKA-Ermittlungsbefugnisse als solche für verfassungswidrig erklärt, sondern deren Ausgestaltung. Es geht also in den meisten Vorschriften nicht darum, ob dem Bundeskriminalamt derartige Befugnisse zur Abwehr terroristischer Gefahren überhaupt eingeräumt werden dürfen, sondern wie diese in der Anwendungspraxis konkret Ermittlungsarbeit und die Pflicht die Parlamentarischen Kontrollgremien zu informieren – so lautet der Arbeitsauftrag aus Karlsruhe an die Bundesregierung.
Kameraüberwachungen und Abhöraktionen bis hinein in private Schlafzimmer und Bäder, Onlinefahndung im Internet und Bespitzelung von unbeteiligten Kontaktpersonen, Datensicherung und Weitergabe Sowohl bei Maßnahmen zur Gefahrenabwehr als auch bei der Strafverfolgung kann man leider nie ganz ausschließen, dass auch unbescholtene, rechtstreue Bürger von bestimmten Maßnahmen betroffen sein können. Insbesondere strafrechtliche Ermittlungsverfahren dienen ja auch dem Zweck, zu ermitteln, ob sich ein bestimmter Anfangsverdacht bestätigt oder nicht. der Ermittlungsergebnisse an ausländische Behörden – all das ist zur Abwehr terroristischer Gefahren im BKA-Gesetz geregelt und erlaubt. Zwar seien Eingriffe in die Persönlichkeitsrechte grundsätzlich zulässig, wenn es um die Abwehr von Terrorgefahr gehe. Allerdings müsse dabei die Verhältnismäßigkeit streng beachtet werden, so die Mahnung der Richter.