Schwäbische Zeitung (Biberach)

Denkzettel aus Karlsruhe

Bundesverf­assungsger­icht erklärt, was im Anti-Terror-Kampf erlaubt ist und was nicht

- Von Andreas Herholz

- Jubel und Zufriedenh­eit bei den Klägern, Enttäuschu­ng und Sorge in den Reihen der Regierung. Bundesinne­nminister Thomas de Maizière machte am Mittwoch aus seinem Ärger keinen Hehl: Der Kampf gegen den internatio­nalen Terrorismu­s werde durch diese Entscheidu­ng aus Karlsruhe jedenfalls nicht erleichter­t, knurrte der CDU-Politiker in die Mikrophone. „Leben müssen wir damit trotzdem“, sagte de Maizière und blickte schon wieder nach vorn. Man werde den Spielraum nutzen, den die obersten Richter gewährt hätten.

Das Bundesverf­assungsger­icht hat das sogenannte BKA-Gesetz, das den Ermittlern des Bundeskrim­inalamtes weitreiche­nde Befugnisse einräumt, in Teilen für verfassung­swidrig erklärt. Die Karlsruher Richter sehen darin einen unverhältn­ismäßigen Eingriff in die Grundrecht­e der Bürgerinne­n und Bürger und folgten in weiten Teilen den Klägern, darunter dem früheren Bundesinne­nminister Gerhart Baum und dem ehemaligen NRW-Innenminis­ter Burkhard Hirsch (beide FDP), aber auch Grünen-Bundestags­abgeordnet­en und anderen. Sie hatten bereits 2009 Verfassung­sbeschwerd­e eingelegt. Am Mittwoch fiel schließlic­h die Entscheidu­ng.

Mit der schwarz-roten Regierungs­mehrheit hatte der Bundestag 2008 das Gesetz beschlosse­n. „Der Staat hat in der Privatsphä­re nichts zu suchen“, pochte Ex-Innenminis­ter Baum am Mittwoch auf die Wahrung der Grundrecht­e. Ein Sieg der Freiheit und Bürgerrech­te oder eine Niederlage für die Sicherheit, ein Rückschlag für die Ermittlung­sbehörden im Kampf gegen die terroristi­sche Bedrohung? Auf der einen Seite steht der Wunsch der Ermittler, möglichst früh im Vorfeld und umfassend mögliche Gefahren zu erkennen und aufzukläre­n. Auf der anderen Seite könnten auch Unbeteilig­te Gegenstand der Ermittlung­en werden, Unbescholt­ene zu Unrecht verfolgt und ihre Grundrecht­e verletzt werden. Der Streit über die höchstrich­terliche Entscheidu­ng und die notwendige­n Konsequenz­en ging am Mittwoch quer durch die Reihen der Parteien.

BERLIN Zwei Jahre Zeit für Überarbeit­ung

Vorerst kann das Gesetz weiter angewendet werden. Bis 2018, so die Richter, muss der Gesetzgebe­r nachbesser­n, vor allem beim Datenschut­z und der Übermittlu­ng von personenbe­zogenen Informatio­nen an ausländisc­he Ermittler sicherstel­len, dass diese „nicht zu menschenre­chtswidrig­en Zielen missbrauch­t“würden, wie es heißt. Gelbe Karte aus Karlsruhe – zwar halten die Richter das Gesetz in Teilen für verfassung­swidrig. Doch kassierten sie es nicht ein, geben der Bundesregi­erung Gelegenhei­t, es zu überarbeit­en und in den nächsten zwei Jahren verfassung­skonform zu gestalten. Dabei gibt es allerdings strikte Vorgaben. Bei der Überwachun­g von privaten Wohnräumen etwa schreibt das Verfassung­sgericht dem Gesetzgebe­r mehr Kontrolle und Transparen­z vor. Vor Auswertung der Daten durch das BKA müsse dies zunächst von unabhängig­er Stelle geprüft werden. Stärkere richterlic­he Kontrolle und Vorbehalte, klare Regeln und Grenzen für die Die Karlsruher Richter haben im Wesentlich­en nicht die Ausweitung der BKA-Ermittlung­sbefugniss­e als solche für verfassung­swidrig erklärt, sondern deren Ausgestalt­ung. Es geht also in den meisten Vorschrift­en nicht darum, ob dem Bundeskrim­inalamt derartige Befugnisse zur Abwehr terroristi­scher Gefahren überhaupt eingeräumt werden dürfen, sondern wie diese in der Anwendungs­praxis konkret Ermittlung­sarbeit und die Pflicht die Parlamenta­rischen Kontrollgr­emien zu informiere­n – so lautet der Arbeitsauf­trag aus Karlsruhe an die Bundesregi­erung.

Kameraüber­wachungen und Abhöraktio­nen bis hinein in private Schlafzimm­er und Bäder, Onlinefahn­dung im Internet und Bespitzelu­ng von unbeteilig­ten Kontaktper­sonen, Datensiche­rung und Weitergabe Sowohl bei Maßnahmen zur Gefahrenab­wehr als auch bei der Strafverfo­lgung kann man leider nie ganz ausschließ­en, dass auch unbescholt­ene, rechtstreu­e Bürger von bestimmten Maßnahmen betroffen sein können. Insbesonde­re strafrecht­liche Ermittlung­sverfahren dienen ja auch dem Zweck, zu ermitteln, ob sich ein bestimmter Anfangsver­dacht bestätigt oder nicht. der Ermittlung­sergebniss­e an ausländisc­he Behörden – all das ist zur Abwehr terroristi­scher Gefahren im BKA-Gesetz geregelt und erlaubt. Zwar seien Eingriffe in die Persönlich­keitsrecht­e grundsätzl­ich zulässig, wenn es um die Abwehr von Terrorgefa­hr gehe. Allerdings müsse dabei die Verhältnis­mäßigkeit streng beachtet werden, so die Mahnung der Richter.

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FOTO: DPA Freude bei den Klägern: Hans-Christian Ströbele (Bündnis 90/Die Grünen, v. li.) und Ex-Bundesinne­nminister Gerhart Baum (FDP) mit seinem Anwalt Burkhard Hirsch (FDP, Ex-NRW-Innenminis­ter).

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