Schwäbische Zeitung (Biberach)
Weder Durchbruch noch Versagen
Der Weltklimavertrag wird am Freitag in New York unterzeichnet – Für Experten ist die Umsetzung eine historische Herausforderung
- Wenn der Weltklimavertrag am Freitag in New York von 130 Staaten unterzeichnet wird, ist das für Umweltexperten und Naturschützer nur ein Anfang. Den Vertrag durchzusetzen, sei das eigentliche Kunststück, hieß es bei der Buchvorstellung „Unter 2 Grad? Was der Weltklimavertrag wirklich bringt“in Berlin. „Ob dieses Abkommen wirklich der nötige historische Durchbruch ist, wird sich erst zeigen, wenn die dazu notwendigen Maßnahmen umgesetzt werden“, sagt Jörg Sommer, Vorsitzender der Deutschen Umweltstiftung.
Die Experten sagen ein zähes Ringen voraus, um die Begrenzung der Erderwärmung auf maximal zwei Grad mehr im Verhältnis zur vorindustriellen Zeit zu erreichen, wenn möglich nur um 1,5 Grad. Um
BERLIN
0,8 Grad ist die Temperatur bereits gestiegen. Der Zug, das 1,5 Grad-Ziel noch zu erreichen, ist nach Meinung von Klimaforscher Professor Mojib Latif, schon längst abgefahren. Selbst das Zwei-Grad-Ziel ist ehrgeizig. „Ein grundlegender Umbau der Weltwirtschaft ist dazu nötig“, sagt Jochen Flasbarth, der deutsche ChefUnterhändler des Weltklimavertrages aus dem Umweltministerium. Anton Hofreiter, Grünen-Fraktionsvorsitzender, hält die Umsetzung des Pariser Abkommens im Kern für die nächste industrielle Revolution.
Flasbarth meint, ein Zwei-GradZiel würde die vollständige Dekarbonisierung der Wirtschaft erfordern. Passend dazu meldete sich ein Bündnis aus 40 Umwelt-, Verkehrsund Entwicklungsorganisationen in Deutschland zu Wort, das den Ausstieg aus der Braunkohle bis 2035 fordert. Dieses Bündnis hält es für erforderlich, die nationalen Klimaschutzziele nachzuschärfen.
Auch für Latif ist es ungeheuer wichtig, dass ein Land den Kohleausstieg vormacht. Er weist darauf hin, dass das Wort Dekarbonisierung im Weltklimavertrag fehlt, dass statt dessen nur von Balance die Rede sei. „Wir haben uns national mit dem Klimaschutzplan 2050 auf den Weg gemacht“, sagt auch Flasbarth, und man müsse jetzt die Illusion zerstören, dass irgendjemand ausgenommen sei, dass es einen Restsektor gebe, ein Fleckchen, bei dem die neuen Ziele noch nicht eingehalten werden müssen. Den Ausbau der erneuerbaren Energien einzudämmen, hält er für einen Fehler. Außerdem macht er darauf aufmerksam, dass Klimaschutz sich einbetten muss in die Bekämpfung von Armut und den Kampf für mehr Gerechtigkeit. „Nur in der Zusammenschau sind wir erfolgreich“, so Flasbarth.
Größere Anstrengungen sind auch nach Ansicht von Professor Latif nötig. „Wir kämen derzeit nur auf eine Begrenzung der Erderwärmung von knapp drei Grad“, so Mojib Latif. Er könne keine Erfolge erkennen, wenn seit Anfang der 1990-er-Jahre der CO2-Ausstoß weltweit um 60 Prozent gestiegen sei.
Michael Müller, Vorsitzender der Naturfreunde und früherer SPDFraktionsvize, erinnert daran, dass sich der deutsche Bundestag schon 1988 auf ein Erwärmungsziel von maximal 1,5 Grad festgelegt hat. Stattdessen sei die Zahl der Autos in Deutschland 2014 aber um 2,5 Prozent gestiegen und die der „Vorstadtpanzer“, der SUVs, sogar um 43 Prozent, beklagt Müller.
Der Weltklimavertrag, der jetzt in New York von 130 Ländern unterzeichnet wird, tritt in Kraft, wenn er von 55 Ländern, die mindestens 55 Prozent der globalen Treibhausemissionen erbringen, ratifiziert wird. Die Chancen dafür stehen gut.