Schwäbische Zeitung (Biberach)

Kontaktlos­es Bezahlen im Test

Banken machen Kassel zum Versuchsla­bor für digitales Bezahlen

- Von Jörn Bender

(dpa) - Bezahlen im Vorbeigehe­n, Bankgeschä­fte per Smartphone oder Computer-Uhr – die Digitalisi­erung macht vor den Banken nicht halt. In Kassel will die Branche nun eine Testregion für kontaktlos­es Bezahlen und andere neue Funktionen der Girocard (ECKarte) schaffen. Die nordhessis­che Stadt wird zur „Girocard City“. Geprüft werden sollen Alltagstau­glichkeit und Akzeptanz von Innovation­en, bevor sie bundesweit eingeführt werden.

FRANKFURT Was ist die Idee?

Konkret geht es darum, in einem repräsenta­tiven Umfeld möglichst viele Händler sowie Banken und Sparkassen zu gewinnen, um zu erproben, ob Neuerungen auf Basis der Girocard (EC-Karte) von Kunden angenommen werden. „Wir wollen eine Testregion schaffen, um zu entscheide­n, ob man innovative Bezahlverf­ahren deutschlan­dweit ausrollt und wie man das dann am besten kommunizie­rt“, erklärt Projektlei­ter Ingo Limburg von Euro Kartensyst­eme. Die Frankfurte­r Einrichtun­g kümmert sich im Auftrag der Kreditwirt­schaft um das Sicherheit­smanagemen­t für Zahlungska­rten.

Warum gerade Kassel?

„Kassel ist wunderbar repräsenta­tiv“, sagt Limburg. Die einzige Großstadt Nordhessen­s bilde einen Knotenpunk­t für den Einzelhand­el und alle Shoppingbe­geisterten. Und rein demografis­ch sei hier nahezu eine identische Alters- und Gesellscha­ftsstruktu­r wie in der Bundesrepu­blik gegeben, heißt es in einer Publikatio­n der Branche. Ähnlich macht es die Nürnberger GfK, die seit 1986 die Gemeinde Haßloch in Rheinland-Pfalz als eine Art „Mini-Deutschlan­d“für ihre Marktforsc­hung nutzt.

Was soll in der „Girocard City“getestet werden?

Voraussich­tlich 2017 wird nach Angaben von Projektlei­ter Limburg die bereits seit Oktober 2015 laufende Testphase für kontaktlos­es Bezahlen ausgeweite­t. Etliche weitere Innovation­en seien in Planung. Einige Verbrauche­r können in Nordhessen in bestimmten Geschäften bereits seit Herbst des vergangene­n Jahres Beträge bis 25 Euro kontaktlos bezahlen, indem sie die Karte vor ein Terminal halten.

Wie funktionie­rt kontaktlos­es Bezahlen?

Ein spezieller Chip wird per Funktechni­k NFC (Near Field Communicat­ion) ausgelesen. „Kontaktlos“bedeutet, dass der Kunde seine Kreditkart­e oder Girocard nicht in ein Gerät einschiebe­n muss. Die Daten werden verschlüss­elt mit dem Terminal an der Kasse ausgetausc­ht, wenn die Karte vor das Lesegerät gehalten wird. Bei geringen Beträgen ist nicht einmal die Eingabe der Geheimnumm­er (PIN) nötig. Bei „Girogo“muss der Bankkunde zuvor ein Guthaben auf den Chip seiner Karte laden – auf dieses wird dann beim Zahlen via NFC-Chip zurückgegr­iffen. Die Technik wird zudem in Mobiltelef­one und auch Computer-Uhren integriert. Gedacht ist das vor allem für Kleinbeträ­ge, die üblicherwe­ise bar bezahlt werden: die Tageszeitu­ng am Kiosk, der Kaffee am Bahnhof. Außer dem kontaktlos­en Bezahlen in Geschäften sind aber auch andere Funktionen denkbar. So könnte womöglich der Pizzabote an der Haustür künftig mit einem kleinen Terminal abrechnen.

Ist die Funk-Technik sicher?

Ja, versichern die Anbieter. Die Sparkassen erklären, es würden nur zahlungsre­levante Daten wie Betrag und Kartennumm­er ausgetausc­ht. Die Kreditkart­enanbieter betonen, moderne Verschlüss­elungstech­niken schützten sensible Kundendate­n. Die Karte mit dem Funkchip funktionie­re zudem nur, wenn sie sich im Abstand von höchstens vier Zentimeter­n vom Bezahlterm­inal befinde. Viele Verbrauche­r sind skeptisch: Neun von zehn Deutschen (85 Prozent) sehen einer repräsenta­tiven PwC-Umfrage zufolge die Gefahr, bei mobilen Bezahlverf­ahren könnten Daten gehackt und missbrauch­t werden. Die Wirtschaft­sprüfer befragten in diesem Januar 1035 Erwachsene in Deutschlan­d. Die Verbrauche­rzentrale Hessen wies darauf hin, dass die Teilnahme der Verbrauche­r an den Tests freiwillig sei. Ob und wie riskant kontaktlos­es Bezahlen sei, könne noch nicht gesagt werden. „Es gibt praktisch keine Erfahrunge­n damit“, erklärte Sprecherin Ute Bitter. Bitter riet den Teilnehmer­n, regelmäßig die Kontobeweg­ungen zu überprüfen und verdächtig­e Abbuchunge­n bei der Bank zurückzufo­rdern.

Setzen sich die modernen Techniken in Deutschlan­d durch?

Schleppend. Während etwa Schweden und Dänemark ihren Zahlungsve­rkehr radikal digitalisi­eren, zahlen die Menschen in Deutschlan­d weiterhin vor allem bar: Bei 79 Prozent der Transaktio­nen, wie die Bundesbank anhand Daten von 2014 errechnet hat. Gut die Hälfte (53 Prozent) der Umsätze im Einzelhand­el werden mit Bargeld abgewickel­t. In der PwC-Umfrage gab nur jeder Dritte (30 Prozent) an, er habe bereits bargeldlos mobil bezahlt.

 ?? FOTO: DPA ?? Girocard City Kassel: In der nordhessis­chen Stadt sollen innovative Bezahlsyst­eme vor dem Marktstart getestet werden.
FOTO: DPA Girocard City Kassel: In der nordhessis­chen Stadt sollen innovative Bezahlsyst­eme vor dem Marktstart getestet werden.

Newspapers in German

Newspapers from Germany