Schwäbische Zeitung (Biberach)
Kontaktloses Bezahlen im Test
Banken machen Kassel zum Versuchslabor für digitales Bezahlen
(dpa) - Bezahlen im Vorbeigehen, Bankgeschäfte per Smartphone oder Computer-Uhr – die Digitalisierung macht vor den Banken nicht halt. In Kassel will die Branche nun eine Testregion für kontaktloses Bezahlen und andere neue Funktionen der Girocard (ECKarte) schaffen. Die nordhessische Stadt wird zur „Girocard City“. Geprüft werden sollen Alltagstauglichkeit und Akzeptanz von Innovationen, bevor sie bundesweit eingeführt werden.
FRANKFURT Was ist die Idee?
Konkret geht es darum, in einem repräsentativen Umfeld möglichst viele Händler sowie Banken und Sparkassen zu gewinnen, um zu erproben, ob Neuerungen auf Basis der Girocard (EC-Karte) von Kunden angenommen werden. „Wir wollen eine Testregion schaffen, um zu entscheiden, ob man innovative Bezahlverfahren deutschlandweit ausrollt und wie man das dann am besten kommuniziert“, erklärt Projektleiter Ingo Limburg von Euro Kartensysteme. Die Frankfurter Einrichtung kümmert sich im Auftrag der Kreditwirtschaft um das Sicherheitsmanagement für Zahlungskarten.
Warum gerade Kassel?
„Kassel ist wunderbar repräsentativ“, sagt Limburg. Die einzige Großstadt Nordhessens bilde einen Knotenpunkt für den Einzelhandel und alle Shoppingbegeisterten. Und rein demografisch sei hier nahezu eine identische Alters- und Gesellschaftsstruktur wie in der Bundesrepublik gegeben, heißt es in einer Publikation der Branche. Ähnlich macht es die Nürnberger GfK, die seit 1986 die Gemeinde Haßloch in Rheinland-Pfalz als eine Art „Mini-Deutschland“für ihre Marktforschung nutzt.
Was soll in der „Girocard City“getestet werden?
Voraussichtlich 2017 wird nach Angaben von Projektleiter Limburg die bereits seit Oktober 2015 laufende Testphase für kontaktloses Bezahlen ausgeweitet. Etliche weitere Innovationen seien in Planung. Einige Verbraucher können in Nordhessen in bestimmten Geschäften bereits seit Herbst des vergangenen Jahres Beträge bis 25 Euro kontaktlos bezahlen, indem sie die Karte vor ein Terminal halten.
Wie funktioniert kontaktloses Bezahlen?
Ein spezieller Chip wird per Funktechnik NFC (Near Field Communication) ausgelesen. „Kontaktlos“bedeutet, dass der Kunde seine Kreditkarte oder Girocard nicht in ein Gerät einschieben muss. Die Daten werden verschlüsselt mit dem Terminal an der Kasse ausgetauscht, wenn die Karte vor das Lesegerät gehalten wird. Bei geringen Beträgen ist nicht einmal die Eingabe der Geheimnummer (PIN) nötig. Bei „Girogo“muss der Bankkunde zuvor ein Guthaben auf den Chip seiner Karte laden – auf dieses wird dann beim Zahlen via NFC-Chip zurückgegriffen. Die Technik wird zudem in Mobiltelefone und auch Computer-Uhren integriert. Gedacht ist das vor allem für Kleinbeträge, die üblicherweise bar bezahlt werden: die Tageszeitung am Kiosk, der Kaffee am Bahnhof. Außer dem kontaktlosen Bezahlen in Geschäften sind aber auch andere Funktionen denkbar. So könnte womöglich der Pizzabote an der Haustür künftig mit einem kleinen Terminal abrechnen.
Ist die Funk-Technik sicher?
Ja, versichern die Anbieter. Die Sparkassen erklären, es würden nur zahlungsrelevante Daten wie Betrag und Kartennummer ausgetauscht. Die Kreditkartenanbieter betonen, moderne Verschlüsselungstechniken schützten sensible Kundendaten. Die Karte mit dem Funkchip funktioniere zudem nur, wenn sie sich im Abstand von höchstens vier Zentimetern vom Bezahlterminal befinde. Viele Verbraucher sind skeptisch: Neun von zehn Deutschen (85 Prozent) sehen einer repräsentativen PwC-Umfrage zufolge die Gefahr, bei mobilen Bezahlverfahren könnten Daten gehackt und missbraucht werden. Die Wirtschaftsprüfer befragten in diesem Januar 1035 Erwachsene in Deutschland. Die Verbraucherzentrale Hessen wies darauf hin, dass die Teilnahme der Verbraucher an den Tests freiwillig sei. Ob und wie riskant kontaktloses Bezahlen sei, könne noch nicht gesagt werden. „Es gibt praktisch keine Erfahrungen damit“, erklärte Sprecherin Ute Bitter. Bitter riet den Teilnehmern, regelmäßig die Kontobewegungen zu überprüfen und verdächtige Abbuchungen bei der Bank zurückzufordern.
Setzen sich die modernen Techniken in Deutschland durch?
Schleppend. Während etwa Schweden und Dänemark ihren Zahlungsverkehr radikal digitalisieren, zahlen die Menschen in Deutschland weiterhin vor allem bar: Bei 79 Prozent der Transaktionen, wie die Bundesbank anhand Daten von 2014 errechnet hat. Gut die Hälfte (53 Prozent) der Umsätze im Einzelhandel werden mit Bargeld abgewickelt. In der PwC-Umfrage gab nur jeder Dritte (30 Prozent) an, er habe bereits bargeldlos mobil bezahlt.